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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

schlagen^ daß sie nicht zu Händen käme, will ich mich das nicht lassen auf¬
halten. Natleute sollen treu sein, so soll ein Bischof seinein Hof ordnen, daß
für ihn komme, was kommen soll. Gott gebe Ew. seine Gnade zu rechtem
Sinn lind Willen. Gegeben in meiner Wüstung. Sonntag nach dem Tage
Se. Katharina Anno 1521."

Und der Kardinal-Kurfürst schickte dem gebannten Mönche nicht etwa den
kurfürstlich sächsischen Staatsanwalt oder den Neichsanwalt auf den Hals, sondern
er übersandte eine de- und wehmütige Abbitte, die mit den Worten beginnt:
"Lieber Herr Doktor. Ich habe euren Brief empfangen und verlesen und zu
Gnaden und allem Guten angenommen, versehe mich aber gänzlich, die Urhund
sei längst abgestellt, so euch zu solchem Schreiben bewegt hat. Und will mich,
ob Gott will, dergestalt halten und erzeugen, als einem frommen geistlichen
und christlichen Fürsten zustehet." Wenn das nicht höchste Freiheit ist, dann
hat das Wort keinen Sinn! Es solls nur heutzutage einer versuchen, mit
dem Bischof von Trier wegen des "heiligen Rockes" ein solches Spiel an¬
zufallen oder mit einem andern Mächtigen in deutschen oder welschen Landen,
in einer Monarchie oder Republik ob irgend eines Übelstandes, für den dieser
verantwortlich gemacht werden kann! Es ist ja wahr, Luther war mit dem
Kirchen- und Neichsbann belegt worden. Aber welcher Mann, der heutiges-
tags die kirchliche und bürgerliche Ordnung so heftig und mit so unmittelbar
praktischem Erfolg angreifen wollte, dürfte in Deutschland frei und ungestraft
umhergehen? Man muß sich doch vergegenwärtigen, daß das Kirchenwesen
mit der Reichsverfassung schier unlöslich verflochten war, und daß der kirchliche
Besitz auf breitester privatrechtlicher Grundlage ruhte. Und was die Haupt¬
sache ist, der Bann war unwirksam und unvollstreckbar, und der Gebannte
verfuhr mit den vornehmsten Reichsfürsten wie ein Schulmeister mit unartigen
Büblein. Es fand sich in ganz Deutschland keine Behörde, die gewagt hätte,
das Urteil zu vollziehen. Nur die Anhänger Luthers wurden an einigen
wenigen Orten verfolgt.

Im Gegenteil nahm die Änderung des Kirchenwesens ihren ruhigen oder
vielmehr sehr unruhigen Verlauf. Man lese nur folgenden Abschnitt aus
Raukes Geschichte des Neformationszeitalters, und frage sich, ob dergleichen
heutzutage in irgend einer Stadt Deutschlands möglich wäre. "Auf den Ort
der Predigt sah man noch nicht. Für die Bewegung der kirchlichen Opposition
ist es fast symbolisch, daß in Bremen eine unter dem Interdikt stehende Kirche
es sein muß, in der ein paar aus Antwerpen dem Tode entflohene Augustiner
zuerst eine Gemeinde um sich sammeln. In Goslar wird die Lehre zuerst in
einer Kirche der Vorstadt, und als diese verschlossen worden, von einem Ein-
gebornen, der in Wittenberg studirt hat, ans dem Lindenplan verkündigt; ihre
Anhänger bekommen den Namen Lindenbrnder. In Worms stellt man eine
tragbare Kanzel außerhalb der Kircheumauern auf. Zu Arnstadt hält der


Geschichtsphilosophische Gedanken

schlagen^ daß sie nicht zu Händen käme, will ich mich das nicht lassen auf¬
halten. Natleute sollen treu sein, so soll ein Bischof seinein Hof ordnen, daß
für ihn komme, was kommen soll. Gott gebe Ew. seine Gnade zu rechtem
Sinn lind Willen. Gegeben in meiner Wüstung. Sonntag nach dem Tage
Se. Katharina Anno 1521."

Und der Kardinal-Kurfürst schickte dem gebannten Mönche nicht etwa den
kurfürstlich sächsischen Staatsanwalt oder den Neichsanwalt auf den Hals, sondern
er übersandte eine de- und wehmütige Abbitte, die mit den Worten beginnt:
„Lieber Herr Doktor. Ich habe euren Brief empfangen und verlesen und zu
Gnaden und allem Guten angenommen, versehe mich aber gänzlich, die Urhund
sei längst abgestellt, so euch zu solchem Schreiben bewegt hat. Und will mich,
ob Gott will, dergestalt halten und erzeugen, als einem frommen geistlichen
und christlichen Fürsten zustehet." Wenn das nicht höchste Freiheit ist, dann
hat das Wort keinen Sinn! Es solls nur heutzutage einer versuchen, mit
dem Bischof von Trier wegen des „heiligen Rockes" ein solches Spiel an¬
zufallen oder mit einem andern Mächtigen in deutschen oder welschen Landen,
in einer Monarchie oder Republik ob irgend eines Übelstandes, für den dieser
verantwortlich gemacht werden kann! Es ist ja wahr, Luther war mit dem
Kirchen- und Neichsbann belegt worden. Aber welcher Mann, der heutiges-
tags die kirchliche und bürgerliche Ordnung so heftig und mit so unmittelbar
praktischem Erfolg angreifen wollte, dürfte in Deutschland frei und ungestraft
umhergehen? Man muß sich doch vergegenwärtigen, daß das Kirchenwesen
mit der Reichsverfassung schier unlöslich verflochten war, und daß der kirchliche
Besitz auf breitester privatrechtlicher Grundlage ruhte. Und was die Haupt¬
sache ist, der Bann war unwirksam und unvollstreckbar, und der Gebannte
verfuhr mit den vornehmsten Reichsfürsten wie ein Schulmeister mit unartigen
Büblein. Es fand sich in ganz Deutschland keine Behörde, die gewagt hätte,
das Urteil zu vollziehen. Nur die Anhänger Luthers wurden an einigen
wenigen Orten verfolgt.

Im Gegenteil nahm die Änderung des Kirchenwesens ihren ruhigen oder
vielmehr sehr unruhigen Verlauf. Man lese nur folgenden Abschnitt aus
Raukes Geschichte des Neformationszeitalters, und frage sich, ob dergleichen
heutzutage in irgend einer Stadt Deutschlands möglich wäre. „Auf den Ort
der Predigt sah man noch nicht. Für die Bewegung der kirchlichen Opposition
ist es fast symbolisch, daß in Bremen eine unter dem Interdikt stehende Kirche
es sein muß, in der ein paar aus Antwerpen dem Tode entflohene Augustiner
zuerst eine Gemeinde um sich sammeln. In Goslar wird die Lehre zuerst in
einer Kirche der Vorstadt, und als diese verschlossen worden, von einem Ein-
gebornen, der in Wittenberg studirt hat, ans dem Lindenplan verkündigt; ihre
Anhänger bekommen den Namen Lindenbrnder. In Worms stellt man eine
tragbare Kanzel außerhalb der Kircheumauern auf. Zu Arnstadt hält der


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[0458] Geschichtsphilosophische Gedanken schlagen^ daß sie nicht zu Händen käme, will ich mich das nicht lassen auf¬ halten. Natleute sollen treu sein, so soll ein Bischof seinein Hof ordnen, daß für ihn komme, was kommen soll. Gott gebe Ew. seine Gnade zu rechtem Sinn lind Willen. Gegeben in meiner Wüstung. Sonntag nach dem Tage Se. Katharina Anno 1521." Und der Kardinal-Kurfürst schickte dem gebannten Mönche nicht etwa den kurfürstlich sächsischen Staatsanwalt oder den Neichsanwalt auf den Hals, sondern er übersandte eine de- und wehmütige Abbitte, die mit den Worten beginnt: „Lieber Herr Doktor. Ich habe euren Brief empfangen und verlesen und zu Gnaden und allem Guten angenommen, versehe mich aber gänzlich, die Urhund sei längst abgestellt, so euch zu solchem Schreiben bewegt hat. Und will mich, ob Gott will, dergestalt halten und erzeugen, als einem frommen geistlichen und christlichen Fürsten zustehet." Wenn das nicht höchste Freiheit ist, dann hat das Wort keinen Sinn! Es solls nur heutzutage einer versuchen, mit dem Bischof von Trier wegen des „heiligen Rockes" ein solches Spiel an¬ zufallen oder mit einem andern Mächtigen in deutschen oder welschen Landen, in einer Monarchie oder Republik ob irgend eines Übelstandes, für den dieser verantwortlich gemacht werden kann! Es ist ja wahr, Luther war mit dem Kirchen- und Neichsbann belegt worden. Aber welcher Mann, der heutiges- tags die kirchliche und bürgerliche Ordnung so heftig und mit so unmittelbar praktischem Erfolg angreifen wollte, dürfte in Deutschland frei und ungestraft umhergehen? Man muß sich doch vergegenwärtigen, daß das Kirchenwesen mit der Reichsverfassung schier unlöslich verflochten war, und daß der kirchliche Besitz auf breitester privatrechtlicher Grundlage ruhte. Und was die Haupt¬ sache ist, der Bann war unwirksam und unvollstreckbar, und der Gebannte verfuhr mit den vornehmsten Reichsfürsten wie ein Schulmeister mit unartigen Büblein. Es fand sich in ganz Deutschland keine Behörde, die gewagt hätte, das Urteil zu vollziehen. Nur die Anhänger Luthers wurden an einigen wenigen Orten verfolgt. Im Gegenteil nahm die Änderung des Kirchenwesens ihren ruhigen oder vielmehr sehr unruhigen Verlauf. Man lese nur folgenden Abschnitt aus Raukes Geschichte des Neformationszeitalters, und frage sich, ob dergleichen heutzutage in irgend einer Stadt Deutschlands möglich wäre. „Auf den Ort der Predigt sah man noch nicht. Für die Bewegung der kirchlichen Opposition ist es fast symbolisch, daß in Bremen eine unter dem Interdikt stehende Kirche es sein muß, in der ein paar aus Antwerpen dem Tode entflohene Augustiner zuerst eine Gemeinde um sich sammeln. In Goslar wird die Lehre zuerst in einer Kirche der Vorstadt, und als diese verschlossen worden, von einem Ein- gebornen, der in Wittenberg studirt hat, ans dem Lindenplan verkündigt; ihre Anhänger bekommen den Namen Lindenbrnder. In Worms stellt man eine tragbare Kanzel außerhalb der Kircheumauern auf. Zu Arnstadt hält der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/458>, abgerufen am 26.08.2024.