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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Grtszeit, weltzeit, Eisenbahnzeit, Zonenzeit

und wo fast jeder Tagelöhner eine leidlich gehende Uhr in der Tasche hat. ist
es gar kein Bedürfnis mehr, immer nur die vollen Stunden anzusetzen. Ein
großer Teil unsers Volkes ist auch bereits durch die Eisenbahnen daran gewöhnt,
mit Minuten zu rechnen. Es wird daher auch nicht störend empfunden werden,
wenn Zeitbestimmungen, die bisher auf die vollen Stunden lauteten, auf be¬
liebige dazwischen liegende Zeitpunkte verlegt werden. Durch eine geringe
Abrundung würde man solche Zeitpunkte noch annehmbarer machen können.
Die Lebensverhültuisse, für deren Bestimmung es gerade auf eine Minute an¬
kommt, sind doch in der That äußerst selten.

Damit erledigt sich auch ein Einwand, der aus einige" gesetzlichen Be¬
stimmungen entnommen worden ist. In der neuen Gewerbeordnungsnvvelle
ist für gewisse Beschäftigungen die Zeit von 5^ Uhr morgens und 8^ Uhr
abends als äußerste Grenze bestimmt. Es ist kein Zweifel, daß damit die
Ortszeit gemeint ist. Würde also die Zonenzeit eingeführt, so müßte jede
Fabrik, auf welche die gedachten Vorschriften Anwendung fänden, nach Ma߬
gabe ihrer Ortslage berechnen, welche Zonenzeit der im Gesetz gemeinten
Ortszeit entspräche, und darnach für die Beschäftigung ihrer Arbeiter die
Grenze ziehen. Auch das würde keine unlösbaren Schwierigkeiten bereiten.

Förster stellt die Sache so dar, als ob durch eine solche Anrechnung die
Welt ständig mit einer sehr schwierigen Aufgabe belastet würde. Wir glauben
das nicht. Die Rechnung ist außerordentlich einfach. Auf jeder Spezialkarte
von Deutschland finden sich die Längengrade eingezeichnet. Nun braucht der,
der die Abweichung der Ortszeit von der Zonenzeit berechnen will, nur die
zwischen dem fünfzehnten Längengrad und seinem Orte liegenden Grade zu
zählen und diese Zahl mit vier zu multipliziren; dann hat er die Minuten¬
zahl, um die die Zonenzeit von der bisherigen Ortszeit abweicht. Sicherlich
wird aber nicht einmal von jedem Einzelnen diese Berechnung verlangt werden.
Ohne Zweifel würden nach Einführung der Zonenzeit Schriften erscheine",
die für jeden größern Ort Deutschlands die Abweichung der Zonenzeit von
der Ortszeit angaben. Vielleicht würden auch die Ortsvorstände diese Abweichung
öffentlich bekannt machen. Kurz, es würde sehr bald für jeden Ort die Ab¬
weichung notorisch werden. Und dann würde jeder die neue Zonenzeit in
die entsprechende frühere Ortszeit mit Leichtigkeit umsetzen können, voraus¬
gesetzt, daß er nur addiren und subtrahiren gelernt hat.

Darnach würde es auch -- ein Fall, den Förster besonders hervorhebt --
für den, der nach einem mehr östlich oder mehr westlich gelegnen Orte um¬
zöge, uicht allzu schwer werden, sich in die Zeit seines neuen Wohnortes zu
finden. Es müßte ein Pedant sondergleichen sein, wenn er das nicht ver¬
möchte. Muß doch auch der, der in Deutschland von Süden nach Norden
zieht, sich hineinfinden, daß im Norden die Wintertage schon merklich kürzer,
die Sommertage merklich länger sind als im Süden.


Grtszeit, weltzeit, Eisenbahnzeit, Zonenzeit

und wo fast jeder Tagelöhner eine leidlich gehende Uhr in der Tasche hat. ist
es gar kein Bedürfnis mehr, immer nur die vollen Stunden anzusetzen. Ein
großer Teil unsers Volkes ist auch bereits durch die Eisenbahnen daran gewöhnt,
mit Minuten zu rechnen. Es wird daher auch nicht störend empfunden werden,
wenn Zeitbestimmungen, die bisher auf die vollen Stunden lauteten, auf be¬
liebige dazwischen liegende Zeitpunkte verlegt werden. Durch eine geringe
Abrundung würde man solche Zeitpunkte noch annehmbarer machen können.
Die Lebensverhültuisse, für deren Bestimmung es gerade auf eine Minute an¬
kommt, sind doch in der That äußerst selten.

Damit erledigt sich auch ein Einwand, der aus einige» gesetzlichen Be¬
stimmungen entnommen worden ist. In der neuen Gewerbeordnungsnvvelle
ist für gewisse Beschäftigungen die Zeit von 5^ Uhr morgens und 8^ Uhr
abends als äußerste Grenze bestimmt. Es ist kein Zweifel, daß damit die
Ortszeit gemeint ist. Würde also die Zonenzeit eingeführt, so müßte jede
Fabrik, auf welche die gedachten Vorschriften Anwendung fänden, nach Ma߬
gabe ihrer Ortslage berechnen, welche Zonenzeit der im Gesetz gemeinten
Ortszeit entspräche, und darnach für die Beschäftigung ihrer Arbeiter die
Grenze ziehen. Auch das würde keine unlösbaren Schwierigkeiten bereiten.

Förster stellt die Sache so dar, als ob durch eine solche Anrechnung die
Welt ständig mit einer sehr schwierigen Aufgabe belastet würde. Wir glauben
das nicht. Die Rechnung ist außerordentlich einfach. Auf jeder Spezialkarte
von Deutschland finden sich die Längengrade eingezeichnet. Nun braucht der,
der die Abweichung der Ortszeit von der Zonenzeit berechnen will, nur die
zwischen dem fünfzehnten Längengrad und seinem Orte liegenden Grade zu
zählen und diese Zahl mit vier zu multipliziren; dann hat er die Minuten¬
zahl, um die die Zonenzeit von der bisherigen Ortszeit abweicht. Sicherlich
wird aber nicht einmal von jedem Einzelnen diese Berechnung verlangt werden.
Ohne Zweifel würden nach Einführung der Zonenzeit Schriften erscheine»,
die für jeden größern Ort Deutschlands die Abweichung der Zonenzeit von
der Ortszeit angaben. Vielleicht würden auch die Ortsvorstände diese Abweichung
öffentlich bekannt machen. Kurz, es würde sehr bald für jeden Ort die Ab¬
weichung notorisch werden. Und dann würde jeder die neue Zonenzeit in
die entsprechende frühere Ortszeit mit Leichtigkeit umsetzen können, voraus¬
gesetzt, daß er nur addiren und subtrahiren gelernt hat.

Darnach würde es auch — ein Fall, den Förster besonders hervorhebt —
für den, der nach einem mehr östlich oder mehr westlich gelegnen Orte um¬
zöge, uicht allzu schwer werden, sich in die Zeit seines neuen Wohnortes zu
finden. Es müßte ein Pedant sondergleichen sein, wenn er das nicht ver¬
möchte. Muß doch auch der, der in Deutschland von Süden nach Norden
zieht, sich hineinfinden, daß im Norden die Wintertage schon merklich kürzer,
die Sommertage merklich länger sind als im Süden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/452>, abgerufen am 26.08.2024.