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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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empfinduug würde also nur in Betracht kommen, daß es (scheinbar) eine halbe
Stunde spater Tag würde. Nun sind wir aber bei unsrer durch die Breiten¬
grade bestimmten Lage längst gewöhnt, mit den verschiedensten Zeiten des
Sonnenaufganges zu rechnen. Im hohen Sommer geht die Sonne schon vor
4 Uhr, im tiefen Winter erst nach 8 Uhr auf, und dazwischen liegen die ver¬
schiedensten Zeiten des Sonnenaufganges. Alle diese verschiednen Sonnen¬
aufgange machen wir ohne Beschwerde durch. Wir ertragen es, daß in den
Monaten August, September, Oktober, November und Dezember die Sonne
je um etwa drei Viertelstunden später aufgeht, als in dem vorausgegangnen
Monat. Sollte es nun nicht zu ertragen sein, wenn dieser verspätete Auf¬
gang schon in den Monaten Juli, August, September, Oktober und November
stattfände? Die einzige Zeit, wo der verspätete Sonnenaufgang etwas noch
nicht dagewesenes brächte, wäre die Zeit von etwa vier Wochen vor und
nach dem kürzesten Tage. Während dieser Wochen würde die Sonne (immer
nur scheinbar) zu einer Zeit aufgehen, die mau bisher noch uicht erlebt hätte.
Wer also des Sonnenlichts zu seiner Arbeit bedarf, müßte seine Arbeit eine
halbe Stunde später ansaugen, könnte dann aber abends auch eine halbe Stunde
länger arbeite". Sollte denn das uicht zu ertragen sein?

Nun haben wir ja allerdings im bürgerlichen Leben viele Einrichtungen,
die sich an eine bestimmte von der Uhr angegebne Zeit knüpfen; manche
Menschen haben auch Lebensgewohnheiten an die Uhr geknüpft; an denen sie
Hunger. In allen solchen Verhältnissen giebt es aber -- und das schlüge dem
Fasse den Boden aus -- ein sehr einfaches Mittel, der in der Veränderung
der Uhrenzeit liegenden Beschwernis sich zu entziehen. Man verlegt die an
die Uhr gcbundne Handlung oder Einrichtung um so viel Zeit, als die Zonen¬
zeit des Ortes von der Ortszeit abweicht- Was hindert es, daß in den
Fabriken, wo bisher von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends gearbeitet und
von 12 bis 1 Uhr Mittagspause gemacht wurde, die Arbeit erst um 6^ Uhr
beginnen und um Uhr enden zu lassen, auch die Mittagspause auf die
Zeit von 12^/2 bis 1^ Uhr zu verlegen? Was hindert es, wenn bisher die
Schulen um 8 Uhr morgens begannen, den Beginn des Unterrichts auf
8 V2 Uhr zu setzen? Und sollte der, der sich gewöhnt hat, um 5 Uhr morgens
aufzustehen, sich nicht gewöhnen können, künftig aufzustehen, wenn seine Uhr
5'/- zeigt?

Es kommt hierbei noch folgendes in Betracht. Wir sind von alters her
gewohnt, die Zeitpunkte für Handlungen des bürgerlichen Lebens fast immer auf
den Anfang einer vollen Stunde zu setzen. Das war früher eine gewisse
Notwendigkeit, da viele öffentliche Uhren nur die volle Stunde schlugen und
der Besitz von Taschenuhren nicht sehr verbreitet war. Es herrschte daher
für die Zwischenzeiten der vollen Stunden immer eine gewisse Unsicherheit.
Heute, wo jede öffentliche Uhr auch die halben und die Viertelstunden schlägt,


empfinduug würde also nur in Betracht kommen, daß es (scheinbar) eine halbe
Stunde spater Tag würde. Nun sind wir aber bei unsrer durch die Breiten¬
grade bestimmten Lage längst gewöhnt, mit den verschiedensten Zeiten des
Sonnenaufganges zu rechnen. Im hohen Sommer geht die Sonne schon vor
4 Uhr, im tiefen Winter erst nach 8 Uhr auf, und dazwischen liegen die ver¬
schiedensten Zeiten des Sonnenaufganges. Alle diese verschiednen Sonnen¬
aufgange machen wir ohne Beschwerde durch. Wir ertragen es, daß in den
Monaten August, September, Oktober, November und Dezember die Sonne
je um etwa drei Viertelstunden später aufgeht, als in dem vorausgegangnen
Monat. Sollte es nun nicht zu ertragen sein, wenn dieser verspätete Auf¬
gang schon in den Monaten Juli, August, September, Oktober und November
stattfände? Die einzige Zeit, wo der verspätete Sonnenaufgang etwas noch
nicht dagewesenes brächte, wäre die Zeit von etwa vier Wochen vor und
nach dem kürzesten Tage. Während dieser Wochen würde die Sonne (immer
nur scheinbar) zu einer Zeit aufgehen, die mau bisher noch uicht erlebt hätte.
Wer also des Sonnenlichts zu seiner Arbeit bedarf, müßte seine Arbeit eine
halbe Stunde später ansaugen, könnte dann aber abends auch eine halbe Stunde
länger arbeite». Sollte denn das uicht zu ertragen sein?

Nun haben wir ja allerdings im bürgerlichen Leben viele Einrichtungen,
die sich an eine bestimmte von der Uhr angegebne Zeit knüpfen; manche
Menschen haben auch Lebensgewohnheiten an die Uhr geknüpft; an denen sie
Hunger. In allen solchen Verhältnissen giebt es aber — und das schlüge dem
Fasse den Boden aus — ein sehr einfaches Mittel, der in der Veränderung
der Uhrenzeit liegenden Beschwernis sich zu entziehen. Man verlegt die an
die Uhr gcbundne Handlung oder Einrichtung um so viel Zeit, als die Zonen¬
zeit des Ortes von der Ortszeit abweicht- Was hindert es, daß in den
Fabriken, wo bisher von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends gearbeitet und
von 12 bis 1 Uhr Mittagspause gemacht wurde, die Arbeit erst um 6^ Uhr
beginnen und um Uhr enden zu lassen, auch die Mittagspause auf die
Zeit von 12^/2 bis 1^ Uhr zu verlegen? Was hindert es, wenn bisher die
Schulen um 8 Uhr morgens begannen, den Beginn des Unterrichts auf
8 V2 Uhr zu setzen? Und sollte der, der sich gewöhnt hat, um 5 Uhr morgens
aufzustehen, sich nicht gewöhnen können, künftig aufzustehen, wenn seine Uhr
5'/- zeigt?

Es kommt hierbei noch folgendes in Betracht. Wir sind von alters her
gewohnt, die Zeitpunkte für Handlungen des bürgerlichen Lebens fast immer auf
den Anfang einer vollen Stunde zu setzen. Das war früher eine gewisse
Notwendigkeit, da viele öffentliche Uhren nur die volle Stunde schlugen und
der Besitz von Taschenuhren nicht sehr verbreitet war. Es herrschte daher
für die Zwischenzeiten der vollen Stunden immer eine gewisse Unsicherheit.
Heute, wo jede öffentliche Uhr auch die halben und die Viertelstunden schlägt,


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[0451] empfinduug würde also nur in Betracht kommen, daß es (scheinbar) eine halbe Stunde spater Tag würde. Nun sind wir aber bei unsrer durch die Breiten¬ grade bestimmten Lage längst gewöhnt, mit den verschiedensten Zeiten des Sonnenaufganges zu rechnen. Im hohen Sommer geht die Sonne schon vor 4 Uhr, im tiefen Winter erst nach 8 Uhr auf, und dazwischen liegen die ver¬ schiedensten Zeiten des Sonnenaufganges. Alle diese verschiednen Sonnen¬ aufgange machen wir ohne Beschwerde durch. Wir ertragen es, daß in den Monaten August, September, Oktober, November und Dezember die Sonne je um etwa drei Viertelstunden später aufgeht, als in dem vorausgegangnen Monat. Sollte es nun nicht zu ertragen sein, wenn dieser verspätete Auf¬ gang schon in den Monaten Juli, August, September, Oktober und November stattfände? Die einzige Zeit, wo der verspätete Sonnenaufgang etwas noch nicht dagewesenes brächte, wäre die Zeit von etwa vier Wochen vor und nach dem kürzesten Tage. Während dieser Wochen würde die Sonne (immer nur scheinbar) zu einer Zeit aufgehen, die mau bisher noch uicht erlebt hätte. Wer also des Sonnenlichts zu seiner Arbeit bedarf, müßte seine Arbeit eine halbe Stunde später ansaugen, könnte dann aber abends auch eine halbe Stunde länger arbeite». Sollte denn das uicht zu ertragen sein? Nun haben wir ja allerdings im bürgerlichen Leben viele Einrichtungen, die sich an eine bestimmte von der Uhr angegebne Zeit knüpfen; manche Menschen haben auch Lebensgewohnheiten an die Uhr geknüpft; an denen sie Hunger. In allen solchen Verhältnissen giebt es aber — und das schlüge dem Fasse den Boden aus — ein sehr einfaches Mittel, der in der Veränderung der Uhrenzeit liegenden Beschwernis sich zu entziehen. Man verlegt die an die Uhr gcbundne Handlung oder Einrichtung um so viel Zeit, als die Zonen¬ zeit des Ortes von der Ortszeit abweicht- Was hindert es, daß in den Fabriken, wo bisher von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends gearbeitet und von 12 bis 1 Uhr Mittagspause gemacht wurde, die Arbeit erst um 6^ Uhr beginnen und um Uhr enden zu lassen, auch die Mittagspause auf die Zeit von 12^/2 bis 1^ Uhr zu verlegen? Was hindert es, wenn bisher die Schulen um 8 Uhr morgens begannen, den Beginn des Unterrichts auf 8 V2 Uhr zu setzen? Und sollte der, der sich gewöhnt hat, um 5 Uhr morgens aufzustehen, sich nicht gewöhnen können, künftig aufzustehen, wenn seine Uhr 5'/- zeigt? Es kommt hierbei noch folgendes in Betracht. Wir sind von alters her gewohnt, die Zeitpunkte für Handlungen des bürgerlichen Lebens fast immer auf den Anfang einer vollen Stunde zu setzen. Das war früher eine gewisse Notwendigkeit, da viele öffentliche Uhren nur die volle Stunde schlugen und der Besitz von Taschenuhren nicht sehr verbreitet war. Es herrschte daher für die Zwischenzeiten der vollen Stunden immer eine gewisse Unsicherheit. Heute, wo jede öffentliche Uhr auch die halben und die Viertelstunden schlägt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/451>, abgerufen am 26.08.2024.