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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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den innern, sondern auch für den nußern Dienst eine einheitliche Zeit ein¬
geführt werden. Dies könne aber nur die Weltzeit sein. Für das ganze übrige
Leben müsse dagegen, um nicht die durch den Anschluß an die natürliche"
Lichtzeiten begründeten Lebensgewohnheiten und Arbeitseintciluugeu der Menschen
zu stören, die Ortszeit beibehalten werden. Er glaube voraussagen zu können,
daß, wenn man die Zonenzeit einführen wolle, doch sehr bald "die Ortszeit
zweifellos mit Pauken und Trompeten ihren Wiedereinzug in alle ihre alten
Rechte im gewöhnlichen Arbeitsleben, gleichzeitig aber die absolute Eiuheits-
oder Weltzeit ihren ebenso fröhlichen Einzug in alle ihre neuen und ebenso
natürlichen Rechte innerhalb des gesamten Ortsverbindnngsdienstes" feiern würde.

Bei dieser Sachlage war es von der größten Bedeutung, daß am 16. Mürz
dieses Jahres Graf Moltke im Reichstage das Wort ergriff und die Her¬
stellung einer Einheitszeit für das gesamte bürgerliche Leben in Deutschland
auf Grundlage der Zonenzeit befürwortete. Er erklärte die Herstellung dieser
Einheitszeit im Interesse der Sicherheit des gesamten Eisenbahndienstes, die
namentlich bei einer Mobilmachung von höchster Wichtigkeit sei, für eine
Notwendigkeit; wobei er zugleich, nicht ohne Humor, die Befürchtungen wider¬
legte, die manche an die dadurch herbeigeführte geringe Verschiebung der Zeit
für das übrige bürgerliche Leben knüpfen.

Indem wir uns ganz auf die Seite des Grafen Moltke stellen, wollen
wir in unsrer Betrachtung zunächst den vom Standpunkt der astronomischen
Wissenschaft erhobnen Widerspruch berühren. Die Astronomie und einige ihr
nahverwandte Wissenschaften können für ihre Berechnungen nur die Weltzeit
und die Ortszeit gebrauchen. Die Zonenzeit würde für sie ohne Wert sein.
Dies ist ohne Zweifel der tiefste Grund, weshalb Professor Förster nur die
Weltzeit und die Ortszeit gelten lassen und diesen auch das ganze übrige
Leben unterworfen wissen will.

So hoch wir nun auch die Astronomie als Wissenschaft schützen, so kommen
doch für das Leben noch andre praktische Rücksichten in Betracht. Mögen
immerhin die Astronomen für ihre Beobachtung der Sterndurchgange der Orts¬
zeit bedürfen. Aber man kann doch wahrlich eher von ihnen verlangen, daß
sie die Zonenzeit in die Ortszeit umrechnen, als daß man ständig den ge¬
samten Eisenbahndienst oder das gesamte Publikum mit einer umgekehrten
Anrechnung belastet. Auch ist es ganz undenkbar, daß jemals sämtliche Eisen¬
bahnen der Erde sich vereinigen könnten, eine einheitliche Weltzeit als Grund¬
lage ihres innern und äußern Dienstes anzunehmen. Für die in unmittel¬
barer Nähe des normgebenden Meridians liegenden Länder würde ja diese
Weltzeit von der Ortszeit nicht sehr verschieden und dadurch vielleicht erträglich
sein. Für die weiter abliegenden Länder würde aber die Weltzeit Zahlen¬
reihen aufweisen, die von der Ortszeit weithin abwichen. Und wenn dann
diese Zahlenreihen auch auf den Fahrplünen stünden, so würde daraus eine


Grtszeit, ZVeltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

den innern, sondern auch für den nußern Dienst eine einheitliche Zeit ein¬
geführt werden. Dies könne aber nur die Weltzeit sein. Für das ganze übrige
Leben müsse dagegen, um nicht die durch den Anschluß an die natürliche»
Lichtzeiten begründeten Lebensgewohnheiten und Arbeitseintciluugeu der Menschen
zu stören, die Ortszeit beibehalten werden. Er glaube voraussagen zu können,
daß, wenn man die Zonenzeit einführen wolle, doch sehr bald „die Ortszeit
zweifellos mit Pauken und Trompeten ihren Wiedereinzug in alle ihre alten
Rechte im gewöhnlichen Arbeitsleben, gleichzeitig aber die absolute Eiuheits-
oder Weltzeit ihren ebenso fröhlichen Einzug in alle ihre neuen und ebenso
natürlichen Rechte innerhalb des gesamten Ortsverbindnngsdienstes" feiern würde.

Bei dieser Sachlage war es von der größten Bedeutung, daß am 16. Mürz
dieses Jahres Graf Moltke im Reichstage das Wort ergriff und die Her¬
stellung einer Einheitszeit für das gesamte bürgerliche Leben in Deutschland
auf Grundlage der Zonenzeit befürwortete. Er erklärte die Herstellung dieser
Einheitszeit im Interesse der Sicherheit des gesamten Eisenbahndienstes, die
namentlich bei einer Mobilmachung von höchster Wichtigkeit sei, für eine
Notwendigkeit; wobei er zugleich, nicht ohne Humor, die Befürchtungen wider¬
legte, die manche an die dadurch herbeigeführte geringe Verschiebung der Zeit
für das übrige bürgerliche Leben knüpfen.

Indem wir uns ganz auf die Seite des Grafen Moltke stellen, wollen
wir in unsrer Betrachtung zunächst den vom Standpunkt der astronomischen
Wissenschaft erhobnen Widerspruch berühren. Die Astronomie und einige ihr
nahverwandte Wissenschaften können für ihre Berechnungen nur die Weltzeit
und die Ortszeit gebrauchen. Die Zonenzeit würde für sie ohne Wert sein.
Dies ist ohne Zweifel der tiefste Grund, weshalb Professor Förster nur die
Weltzeit und die Ortszeit gelten lassen und diesen auch das ganze übrige
Leben unterworfen wissen will.

So hoch wir nun auch die Astronomie als Wissenschaft schützen, so kommen
doch für das Leben noch andre praktische Rücksichten in Betracht. Mögen
immerhin die Astronomen für ihre Beobachtung der Sterndurchgange der Orts¬
zeit bedürfen. Aber man kann doch wahrlich eher von ihnen verlangen, daß
sie die Zonenzeit in die Ortszeit umrechnen, als daß man ständig den ge¬
samten Eisenbahndienst oder das gesamte Publikum mit einer umgekehrten
Anrechnung belastet. Auch ist es ganz undenkbar, daß jemals sämtliche Eisen¬
bahnen der Erde sich vereinigen könnten, eine einheitliche Weltzeit als Grund¬
lage ihres innern und äußern Dienstes anzunehmen. Für die in unmittel¬
barer Nähe des normgebenden Meridians liegenden Länder würde ja diese
Weltzeit von der Ortszeit nicht sehr verschieden und dadurch vielleicht erträglich
sein. Für die weiter abliegenden Länder würde aber die Weltzeit Zahlen¬
reihen aufweisen, die von der Ortszeit weithin abwichen. Und wenn dann
diese Zahlenreihen auch auf den Fahrplünen stünden, so würde daraus eine


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[0448] Grtszeit, ZVeltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit den innern, sondern auch für den nußern Dienst eine einheitliche Zeit ein¬ geführt werden. Dies könne aber nur die Weltzeit sein. Für das ganze übrige Leben müsse dagegen, um nicht die durch den Anschluß an die natürliche» Lichtzeiten begründeten Lebensgewohnheiten und Arbeitseintciluugeu der Menschen zu stören, die Ortszeit beibehalten werden. Er glaube voraussagen zu können, daß, wenn man die Zonenzeit einführen wolle, doch sehr bald „die Ortszeit zweifellos mit Pauken und Trompeten ihren Wiedereinzug in alle ihre alten Rechte im gewöhnlichen Arbeitsleben, gleichzeitig aber die absolute Eiuheits- oder Weltzeit ihren ebenso fröhlichen Einzug in alle ihre neuen und ebenso natürlichen Rechte innerhalb des gesamten Ortsverbindnngsdienstes" feiern würde. Bei dieser Sachlage war es von der größten Bedeutung, daß am 16. Mürz dieses Jahres Graf Moltke im Reichstage das Wort ergriff und die Her¬ stellung einer Einheitszeit für das gesamte bürgerliche Leben in Deutschland auf Grundlage der Zonenzeit befürwortete. Er erklärte die Herstellung dieser Einheitszeit im Interesse der Sicherheit des gesamten Eisenbahndienstes, die namentlich bei einer Mobilmachung von höchster Wichtigkeit sei, für eine Notwendigkeit; wobei er zugleich, nicht ohne Humor, die Befürchtungen wider¬ legte, die manche an die dadurch herbeigeführte geringe Verschiebung der Zeit für das übrige bürgerliche Leben knüpfen. Indem wir uns ganz auf die Seite des Grafen Moltke stellen, wollen wir in unsrer Betrachtung zunächst den vom Standpunkt der astronomischen Wissenschaft erhobnen Widerspruch berühren. Die Astronomie und einige ihr nahverwandte Wissenschaften können für ihre Berechnungen nur die Weltzeit und die Ortszeit gebrauchen. Die Zonenzeit würde für sie ohne Wert sein. Dies ist ohne Zweifel der tiefste Grund, weshalb Professor Förster nur die Weltzeit und die Ortszeit gelten lassen und diesen auch das ganze übrige Leben unterworfen wissen will. So hoch wir nun auch die Astronomie als Wissenschaft schützen, so kommen doch für das Leben noch andre praktische Rücksichten in Betracht. Mögen immerhin die Astronomen für ihre Beobachtung der Sterndurchgange der Orts¬ zeit bedürfen. Aber man kann doch wahrlich eher von ihnen verlangen, daß sie die Zonenzeit in die Ortszeit umrechnen, als daß man ständig den ge¬ samten Eisenbahndienst oder das gesamte Publikum mit einer umgekehrten Anrechnung belastet. Auch ist es ganz undenkbar, daß jemals sämtliche Eisen¬ bahnen der Erde sich vereinigen könnten, eine einheitliche Weltzeit als Grund¬ lage ihres innern und äußern Dienstes anzunehmen. Für die in unmittel¬ barer Nähe des normgebenden Meridians liegenden Länder würde ja diese Weltzeit von der Ortszeit nicht sehr verschieden und dadurch vielleicht erträglich sein. Für die weiter abliegenden Länder würde aber die Weltzeit Zahlen¬ reihen aufweisen, die von der Ortszeit weithin abwichen. Und wenn dann diese Zahlenreihen auch auf den Fahrplünen stünden, so würde daraus eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/448>, abgerufen am 26.08.2024.