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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Grtszeit, ZVeltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

weicht, dadurch aber der Übergang von dem einen in den andern sehr verein¬
facht und erleichtert wird. Dieser Plan kam bereits vom 18. November 1883
an sowohl in den Vereinigten Staaten als in Kanada zur Ausführung. Bei
der ungeheuern Ausdehnung der nordamerikanischen Länder von Osten nach
Westen werden die Vereinigten Staaten von vier, Kanada sogar von fünf
Längengraden, deren Zahl durch fünfzehn teilbar ist, durchlaufen. Es sind
das der 60., 75., 90., 105. und 120. Längengrad. Darnach teilte man also
die Vereinigten Staaten in vier, Kanada in fünf Bezirke (Zonen), die je einen
dieser Längengrade umschlossen und für die dieser Längengrad die Normalzeit
abgab. So entstand der Begriff der Zonenzeit, bei der jede Zone von der
angrenzenden Zone sich um eine Stunde unterscheidet. Von dem bürgerlichen
Leben im übrigen wurde nicht verlangt, daß es sich der Zonenzeit unter¬
werfe. Aber die große Mehrzahl der amerikanischen Städte that dies sehr
bald freiwillig. Obwohl nun dadurch bei dem unmittelbaren Aneincinder-
schließen der Zonen, und da diese sich nicht durchweg nach geraden Linien
begrenzen ließen, vielfach Abweichungen von der Ortszeit um dreißig und
mehr Minuten herbeigeführt wurden, so sühlt man sich doch in Amerika nach
allem, was von dort verlautet, bei dieser Neuerung außerordentlich Wohl.

Im Oktober 1884 berief die amerikanische Regierung zur Ordnung der
Zeitberechnung einen Weltkongreß nach Washington, in dem 26 Staaten ver¬
treten waren. Angesichts der damals schon fast seit einem Jahr bestehenden
amerikanischen Einrichtung nahm dieser Kongreß keinen Anstand, diese die
Zeitberechnung überaus vereinfachende Einrichtung für die ganze Welt zu
empfehlen.

Für Europa würde die Durchführung dieser Einrichtung folgendes be¬
deuten. England, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal würden
unter die Herrschaft des (Null-) Meridians von Greenwich fallen. Schweden,
Norwegen, Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn, die Schweiz, Italien
und Serbien würden ihre Normalzeit nach dem fünfzehnten Längengrad zu
bestimmen haben. Man hätte damit eine gemeinsame "mitteleuropäische Zeit,"
die sich von der westeuropäischen um eine Stunde unterschiede.

Durch Deutschland läuft der fünfzehnte Längengrad ungefähr 108 Kilo¬
meter östlich von Berlin bei der pommerschen Stadt Stargard durch. Die
Erhebung dieses Meridians zum maßgebenden ist allerdings für Deutsch¬
land insofern nicht ganz günstig, als er nicht genau in der Mitte Deutsch¬
lands durchgeht, auch die westliche Grenze Deutschlands, an der die größere
Ländermasse liegt, weiter davon entfernt ist als die östliche. Indessen kann
nur durch die Wahl dieses Meridians die Gemeinsamkeit mit Österreich-Ungarn
erreicht werden, dessen geographische Gestaltung gerade das umgekehrte Ver¬
hältnis aufweist. Die Abweichung der Ortszeit von der durch den fünfzehnten
Längengrad bestimmten Normalzeit betrügt im Osten Deutschlands (also in der


Grtszeit, ZVeltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

weicht, dadurch aber der Übergang von dem einen in den andern sehr verein¬
facht und erleichtert wird. Dieser Plan kam bereits vom 18. November 1883
an sowohl in den Vereinigten Staaten als in Kanada zur Ausführung. Bei
der ungeheuern Ausdehnung der nordamerikanischen Länder von Osten nach
Westen werden die Vereinigten Staaten von vier, Kanada sogar von fünf
Längengraden, deren Zahl durch fünfzehn teilbar ist, durchlaufen. Es sind
das der 60., 75., 90., 105. und 120. Längengrad. Darnach teilte man also
die Vereinigten Staaten in vier, Kanada in fünf Bezirke (Zonen), die je einen
dieser Längengrade umschlossen und für die dieser Längengrad die Normalzeit
abgab. So entstand der Begriff der Zonenzeit, bei der jede Zone von der
angrenzenden Zone sich um eine Stunde unterscheidet. Von dem bürgerlichen
Leben im übrigen wurde nicht verlangt, daß es sich der Zonenzeit unter¬
werfe. Aber die große Mehrzahl der amerikanischen Städte that dies sehr
bald freiwillig. Obwohl nun dadurch bei dem unmittelbaren Aneincinder-
schließen der Zonen, und da diese sich nicht durchweg nach geraden Linien
begrenzen ließen, vielfach Abweichungen von der Ortszeit um dreißig und
mehr Minuten herbeigeführt wurden, so sühlt man sich doch in Amerika nach
allem, was von dort verlautet, bei dieser Neuerung außerordentlich Wohl.

Im Oktober 1884 berief die amerikanische Regierung zur Ordnung der
Zeitberechnung einen Weltkongreß nach Washington, in dem 26 Staaten ver¬
treten waren. Angesichts der damals schon fast seit einem Jahr bestehenden
amerikanischen Einrichtung nahm dieser Kongreß keinen Anstand, diese die
Zeitberechnung überaus vereinfachende Einrichtung für die ganze Welt zu
empfehlen.

Für Europa würde die Durchführung dieser Einrichtung folgendes be¬
deuten. England, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal würden
unter die Herrschaft des (Null-) Meridians von Greenwich fallen. Schweden,
Norwegen, Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn, die Schweiz, Italien
und Serbien würden ihre Normalzeit nach dem fünfzehnten Längengrad zu
bestimmen haben. Man hätte damit eine gemeinsame „mitteleuropäische Zeit,"
die sich von der westeuropäischen um eine Stunde unterschiede.

Durch Deutschland läuft der fünfzehnte Längengrad ungefähr 108 Kilo¬
meter östlich von Berlin bei der pommerschen Stadt Stargard durch. Die
Erhebung dieses Meridians zum maßgebenden ist allerdings für Deutsch¬
land insofern nicht ganz günstig, als er nicht genau in der Mitte Deutsch¬
lands durchgeht, auch die westliche Grenze Deutschlands, an der die größere
Ländermasse liegt, weiter davon entfernt ist als die östliche. Indessen kann
nur durch die Wahl dieses Meridians die Gemeinsamkeit mit Österreich-Ungarn
erreicht werden, dessen geographische Gestaltung gerade das umgekehrte Ver¬
hältnis aufweist. Die Abweichung der Ortszeit von der durch den fünfzehnten
Längengrad bestimmten Normalzeit betrügt im Osten Deutschlands (also in der


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[0445] Grtszeit, ZVeltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit weicht, dadurch aber der Übergang von dem einen in den andern sehr verein¬ facht und erleichtert wird. Dieser Plan kam bereits vom 18. November 1883 an sowohl in den Vereinigten Staaten als in Kanada zur Ausführung. Bei der ungeheuern Ausdehnung der nordamerikanischen Länder von Osten nach Westen werden die Vereinigten Staaten von vier, Kanada sogar von fünf Längengraden, deren Zahl durch fünfzehn teilbar ist, durchlaufen. Es sind das der 60., 75., 90., 105. und 120. Längengrad. Darnach teilte man also die Vereinigten Staaten in vier, Kanada in fünf Bezirke (Zonen), die je einen dieser Längengrade umschlossen und für die dieser Längengrad die Normalzeit abgab. So entstand der Begriff der Zonenzeit, bei der jede Zone von der angrenzenden Zone sich um eine Stunde unterscheidet. Von dem bürgerlichen Leben im übrigen wurde nicht verlangt, daß es sich der Zonenzeit unter¬ werfe. Aber die große Mehrzahl der amerikanischen Städte that dies sehr bald freiwillig. Obwohl nun dadurch bei dem unmittelbaren Aneincinder- schließen der Zonen, und da diese sich nicht durchweg nach geraden Linien begrenzen ließen, vielfach Abweichungen von der Ortszeit um dreißig und mehr Minuten herbeigeführt wurden, so sühlt man sich doch in Amerika nach allem, was von dort verlautet, bei dieser Neuerung außerordentlich Wohl. Im Oktober 1884 berief die amerikanische Regierung zur Ordnung der Zeitberechnung einen Weltkongreß nach Washington, in dem 26 Staaten ver¬ treten waren. Angesichts der damals schon fast seit einem Jahr bestehenden amerikanischen Einrichtung nahm dieser Kongreß keinen Anstand, diese die Zeitberechnung überaus vereinfachende Einrichtung für die ganze Welt zu empfehlen. Für Europa würde die Durchführung dieser Einrichtung folgendes be¬ deuten. England, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal würden unter die Herrschaft des (Null-) Meridians von Greenwich fallen. Schweden, Norwegen, Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn, die Schweiz, Italien und Serbien würden ihre Normalzeit nach dem fünfzehnten Längengrad zu bestimmen haben. Man hätte damit eine gemeinsame „mitteleuropäische Zeit," die sich von der westeuropäischen um eine Stunde unterschiede. Durch Deutschland läuft der fünfzehnte Längengrad ungefähr 108 Kilo¬ meter östlich von Berlin bei der pommerschen Stadt Stargard durch. Die Erhebung dieses Meridians zum maßgebenden ist allerdings für Deutsch¬ land insofern nicht ganz günstig, als er nicht genau in der Mitte Deutsch¬ lands durchgeht, auch die westliche Grenze Deutschlands, an der die größere Ländermasse liegt, weiter davon entfernt ist als die östliche. Indessen kann nur durch die Wahl dieses Meridians die Gemeinsamkeit mit Österreich-Ungarn erreicht werden, dessen geographische Gestaltung gerade das umgekehrte Ver¬ hältnis aufweist. Die Abweichung der Ortszeit von der durch den fünfzehnten Längengrad bestimmten Normalzeit betrügt im Osten Deutschlands (also in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/445>, abgerufen am 26.08.2024.