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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ortszeit, Weltzeit, Gisenbahnzeit, Zonenzeit

mißglückte so, daß man bald wieder auf die Normalzeit zurückkam. Auch in
den drei süddeutschen Staaten, die je die Ortszeit ihrer Hauptstadt zur Nor¬
malzeit sür die Eisenbahnen erhoben haben, wurde diese Normalzeit dem innern
und dein äußern Dienste zu Grunde gelegt. Nur in Preußen und den mit ihm
vereinigten norddeutschen Staaten verfuhr man anders. Hier wurde zwar die
Berliner Zeit zur Normalzeit erhoben, aber nur für den innern Dienst, wäh¬
rend man in den Fahrplänen die Ortszeit beibehielt. Die hierdurch herbei¬
geführte Nötigung, stets mit zwei Zahlenreihen zu rechnen, bildet ein wahres
Kreuz für den norddeutschen Eisenbahndienst, und man verlangt dringend nach
Erlösung von dieser Not.

Die Schwierigkeit für den Eisenbahndienst liegt aber nicht bloß in der
Verschiedenheit der Ortszeiten von der Normalzeit der Eisenbahn, sondern auch
darin, daß nun jedes Land wieder seine besondre Normalzeit hat, sodaß man
bei dem Übergange der Züge aus dem einen Gebiet in das andre stets mit
einer neuen Normalzeit rechnen muß. Diese Schwierigkeit wird natürlich um
so größer, je schneller die Gebiete wechseln. In Süddeutschland z. V. kann
man innerhalb weniger Stunden in die Lage kommen, mit dreierlei Zeit rechnen
zu müssen. Daß dies auch für die Reifenden stets die Gefahr von Irrungen
zur Folge hat, liegt auf der Hand.

Bei dieser Sachlage ergab sich die naheliegende Frage: wäre nicht der
ganze Zwiespalt zwischen Eisenbahnzeit und Ortszeit dadurch zu lösen, daß
sich die Ortszeit der Eisenbahnzeit anschlösse, daß man also für das gesamte
bürgerliche Leben nach einer von einem bestimmten Orte aus gegebnen Nor¬
malzeit rechnete? und ließen sich nicht Einrichtungen treffen, die den Über¬
gang von einer Eisenbahnzeit in die andre mindestens erleichterten? Bereits
im Jahre 1848 wurde in England die Zeit des Meridians von Greenwich
zur Normalzeit für das gesamte bürgerliche Leben erhoben. Auch in Schweden,
bei dessen nördlicher Lage durch das nahe Aneinanderrücken der Längengrade
die Verschiedenheit der Ortszeiten noch mehr als anderwärts fühlbar wird,
entschloß man sich eine einheitliche Normalzeit für das ganze bürgerliche Leben
vom 1. Januar 1879 um einzuführen. Man nahm als Grundlage dafür den
fünfzehnten Längengrad, der ziemlich die Mitte des Landes durchschneidet.

In Nordamerika, wo infolge der Ausdehnung des Landes und der Selb¬
ständigkeit der zahlreichen Eisenbahnverwaltungen eine große Anzahl verschiedner
Eisenbahnzeiten in Übung war, wurde hierdurch ein schwer zu ertragender
Zustand herbeigeführt. Da wurde im Jahre 1883 folgender Vorschlag ge¬
macht. Es sollte je der fünfzehnte Längengrad, von Greenwich aus berechnet,
die Grundlage für eine Normalzeit abgeben, die die ihm zunächst liegenden
Landgebiete umfasse. Die Zahl von fünfzehn Längengraden wurde als ma߬
gebend gewählt, weil auf diese Weise herbeigeführt wurde, daß die Normalzeit
eines jeden Bezirks von der des nächstgelegnen genau um eine Stunde ab-


Ortszeit, Weltzeit, Gisenbahnzeit, Zonenzeit

mißglückte so, daß man bald wieder auf die Normalzeit zurückkam. Auch in
den drei süddeutschen Staaten, die je die Ortszeit ihrer Hauptstadt zur Nor¬
malzeit sür die Eisenbahnen erhoben haben, wurde diese Normalzeit dem innern
und dein äußern Dienste zu Grunde gelegt. Nur in Preußen und den mit ihm
vereinigten norddeutschen Staaten verfuhr man anders. Hier wurde zwar die
Berliner Zeit zur Normalzeit erhoben, aber nur für den innern Dienst, wäh¬
rend man in den Fahrplänen die Ortszeit beibehielt. Die hierdurch herbei¬
geführte Nötigung, stets mit zwei Zahlenreihen zu rechnen, bildet ein wahres
Kreuz für den norddeutschen Eisenbahndienst, und man verlangt dringend nach
Erlösung von dieser Not.

Die Schwierigkeit für den Eisenbahndienst liegt aber nicht bloß in der
Verschiedenheit der Ortszeiten von der Normalzeit der Eisenbahn, sondern auch
darin, daß nun jedes Land wieder seine besondre Normalzeit hat, sodaß man
bei dem Übergange der Züge aus dem einen Gebiet in das andre stets mit
einer neuen Normalzeit rechnen muß. Diese Schwierigkeit wird natürlich um
so größer, je schneller die Gebiete wechseln. In Süddeutschland z. V. kann
man innerhalb weniger Stunden in die Lage kommen, mit dreierlei Zeit rechnen
zu müssen. Daß dies auch für die Reifenden stets die Gefahr von Irrungen
zur Folge hat, liegt auf der Hand.

Bei dieser Sachlage ergab sich die naheliegende Frage: wäre nicht der
ganze Zwiespalt zwischen Eisenbahnzeit und Ortszeit dadurch zu lösen, daß
sich die Ortszeit der Eisenbahnzeit anschlösse, daß man also für das gesamte
bürgerliche Leben nach einer von einem bestimmten Orte aus gegebnen Nor¬
malzeit rechnete? und ließen sich nicht Einrichtungen treffen, die den Über¬
gang von einer Eisenbahnzeit in die andre mindestens erleichterten? Bereits
im Jahre 1848 wurde in England die Zeit des Meridians von Greenwich
zur Normalzeit für das gesamte bürgerliche Leben erhoben. Auch in Schweden,
bei dessen nördlicher Lage durch das nahe Aneinanderrücken der Längengrade
die Verschiedenheit der Ortszeiten noch mehr als anderwärts fühlbar wird,
entschloß man sich eine einheitliche Normalzeit für das ganze bürgerliche Leben
vom 1. Januar 1879 um einzuführen. Man nahm als Grundlage dafür den
fünfzehnten Längengrad, der ziemlich die Mitte des Landes durchschneidet.

In Nordamerika, wo infolge der Ausdehnung des Landes und der Selb¬
ständigkeit der zahlreichen Eisenbahnverwaltungen eine große Anzahl verschiedner
Eisenbahnzeiten in Übung war, wurde hierdurch ein schwer zu ertragender
Zustand herbeigeführt. Da wurde im Jahre 1883 folgender Vorschlag ge¬
macht. Es sollte je der fünfzehnte Längengrad, von Greenwich aus berechnet,
die Grundlage für eine Normalzeit abgeben, die die ihm zunächst liegenden
Landgebiete umfasse. Die Zahl von fünfzehn Längengraden wurde als ma߬
gebend gewählt, weil auf diese Weise herbeigeführt wurde, daß die Normalzeit
eines jeden Bezirks von der des nächstgelegnen genau um eine Stunde ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/444>, abgerufen am 26.08.2024.