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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Grtszeit, Weltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

von einander erhielt. Solange man, um von Berlin nach Köln zu reisen,
drei oder vier Tage im Postwagen sitzen mußte, war es von geringer Bedeu¬
tung, daß man bei der Ankunft in Köln die dortige Uhr sast um eine halbe
Stunde gegen die Berliner Uhr vorgehend fand. Auch die Post fand darin
bei der Einrichtung ihrer Kurse nichts Störendes,

Dieses Verhältnis änderte sich aber, als die neuen Verkehrsmittel durch die
Schnelligkeit ihrer Bewegung die räumlichen Entfernungen fast verschwinden
ließen. Seitdem der Dampfwagen mit rasender Eile weite Lünderstrecken durch¬
fliegt, kam es sehr in Betracht, daß der Eisenbahnzug in seiner Bewegung von
Osten nach Westen oder von Westen nach Osten schon nach wenigen Stunden
auf eine Ortszeit trifft, die zu der Zeit seiner Abfahrt nicht mehr paßt, daß
also z. B. ein Zug, der um 12 Uhr von Berlin nach Hannover abgegangen
ist und vier Stunden gefahren hat, in Hannover nicht um 4 Uhr, sondern
um 3Uhr dortiger Zeit ankommt. Es ist klar, daß es für den Eisenbahn¬
dienst, der für die Abfahrt und Ankunft seiner Züge und für das Ineinander¬
greifen des ganzen Betriebes stets nach Minuten zu rechnen hat, ganz unmög¬
lich war, für diese Rechnung die so verschiedne Ortszeit beizubehalten. Er
mußte sich eine einheitliche Zeitrechnung schaffen, die dem ganzen Betriebe
ohne Unterschied des Ortes zur Grundlage diente. Dies geschah dadurch, daß
man die Zeit eines bestimmten Ortes, von wo der Betrieb ausging, zur
Normalzeit erhob. Für die Länder, wo der Eisenbahnbetrieb vorzugsweise in
den Händen des Staates ist, war dieser Ort in der Regel die Hauptstadt des
Landes. So entstand die sogenannte Eisenbahnzeit, die von der Ortszeit um
so mehr abweicht, als der Ort, um den es sich handelt, von dem Orte, nach
dem die Normalzeit sich bestimmt, westlich oder östlich entfernt liegt.

Nun aber entstand die Frage: soll die Normalzeit, nach der die Eiseu-
bahnverwaltung ihren innern Dienst regelt, auch für den sogenannten äußern
Dienst gelten? Mit andern Worten: sollen in den veröffentlichten Fahrplünen
die Zeiten der Abfahrt und der Ankunft der Züge nach der Normalzeit des
Eisenbahndienstes oder sollen sie für jeden Ort nach dessen Ortszeit angegeben
werden? Es ist klar, daß, wenn die Eisenbnhnverwaltung sür den innern und
den äußern Dienst stets mit zwei verschiednen Zahlenreihen zu rechnen hat, dies
den Betrieb in hohem Maße erschwert, daß daraus leicht Irrungen und aus
diesen Irrungen auch Gefahren für das Publikum entstehen können. Stellt
dagegen die Eisenbahn ihre Fahrpläne nach der Normalzeit aus, so ist sie
zwar vor Irrungen bewahrt; aber durch die Abweichung der angegebenen
Fahrzeiten von der Ortszeit kann das Publikum leicht in Irrungen verfallen.

Gleichwohl trug man fast in alle" europäischen Ländern kein Bedenken,
die Normalzeit der Eisenbahn sowohl für den innern, als für den äußern
Dienst maßgebend zu machen. Ein Versuch, den man im Jahre 1874 in
Österreich-Ungarn machte, für den äußern Dienst die Ortszeit anzuwenden,


Grtszeit, Weltzeit, Lisenbahnzeit, Zonenzeit

von einander erhielt. Solange man, um von Berlin nach Köln zu reisen,
drei oder vier Tage im Postwagen sitzen mußte, war es von geringer Bedeu¬
tung, daß man bei der Ankunft in Köln die dortige Uhr sast um eine halbe
Stunde gegen die Berliner Uhr vorgehend fand. Auch die Post fand darin
bei der Einrichtung ihrer Kurse nichts Störendes,

Dieses Verhältnis änderte sich aber, als die neuen Verkehrsmittel durch die
Schnelligkeit ihrer Bewegung die räumlichen Entfernungen fast verschwinden
ließen. Seitdem der Dampfwagen mit rasender Eile weite Lünderstrecken durch¬
fliegt, kam es sehr in Betracht, daß der Eisenbahnzug in seiner Bewegung von
Osten nach Westen oder von Westen nach Osten schon nach wenigen Stunden
auf eine Ortszeit trifft, die zu der Zeit seiner Abfahrt nicht mehr paßt, daß
also z. B. ein Zug, der um 12 Uhr von Berlin nach Hannover abgegangen
ist und vier Stunden gefahren hat, in Hannover nicht um 4 Uhr, sondern
um 3Uhr dortiger Zeit ankommt. Es ist klar, daß es für den Eisenbahn¬
dienst, der für die Abfahrt und Ankunft seiner Züge und für das Ineinander¬
greifen des ganzen Betriebes stets nach Minuten zu rechnen hat, ganz unmög¬
lich war, für diese Rechnung die so verschiedne Ortszeit beizubehalten. Er
mußte sich eine einheitliche Zeitrechnung schaffen, die dem ganzen Betriebe
ohne Unterschied des Ortes zur Grundlage diente. Dies geschah dadurch, daß
man die Zeit eines bestimmten Ortes, von wo der Betrieb ausging, zur
Normalzeit erhob. Für die Länder, wo der Eisenbahnbetrieb vorzugsweise in
den Händen des Staates ist, war dieser Ort in der Regel die Hauptstadt des
Landes. So entstand die sogenannte Eisenbahnzeit, die von der Ortszeit um
so mehr abweicht, als der Ort, um den es sich handelt, von dem Orte, nach
dem die Normalzeit sich bestimmt, westlich oder östlich entfernt liegt.

Nun aber entstand die Frage: soll die Normalzeit, nach der die Eiseu-
bahnverwaltung ihren innern Dienst regelt, auch für den sogenannten äußern
Dienst gelten? Mit andern Worten: sollen in den veröffentlichten Fahrplünen
die Zeiten der Abfahrt und der Ankunft der Züge nach der Normalzeit des
Eisenbahndienstes oder sollen sie für jeden Ort nach dessen Ortszeit angegeben
werden? Es ist klar, daß, wenn die Eisenbnhnverwaltung sür den innern und
den äußern Dienst stets mit zwei verschiednen Zahlenreihen zu rechnen hat, dies
den Betrieb in hohem Maße erschwert, daß daraus leicht Irrungen und aus
diesen Irrungen auch Gefahren für das Publikum entstehen können. Stellt
dagegen die Eisenbahn ihre Fahrpläne nach der Normalzeit aus, so ist sie
zwar vor Irrungen bewahrt; aber durch die Abweichung der angegebenen
Fahrzeiten von der Ortszeit kann das Publikum leicht in Irrungen verfallen.

Gleichwohl trug man fast in alle« europäischen Ländern kein Bedenken,
die Normalzeit der Eisenbahn sowohl für den innern, als für den äußern
Dienst maßgebend zu machen. Ein Versuch, den man im Jahre 1874 in
Österreich-Ungarn machte, für den äußern Dienst die Ortszeit anzuwenden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/443>, abgerufen am 26.08.2024.