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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

verkcnnbare Vorzüge, aber dein stehen ebenso gewiß ebenso gewichtige Nach¬
teile gegenüber, schon vom rein künstlerische" Standpunkte ans, ganz abgesehen
von den klimatischen und von der Beschaffenheit der Örtlichkeiten sich er¬
gebenden Schwierigkeiten, die in der überwiegenden Zahl der Fälle dem
Wunsche ein unüberwindliches Nein entgegensetzen würden. Außerdem hieße
die Einführung der freien Tngesbühne dem erstrebenswerten Unternehmen einer
Vvlksfestbühne den Kreis der zur Aufführung geeigneten Werke unnötig be¬
schränken und überhaupt die an sich schon beträchtliche Zahl der Hindernisse
unnötigerweise vermehren. Endlich halten wir es für verfehlt, das vorwärts¬
rollende Rad der Entwicklung unsrer Bühnenkunst und Bühnendichtung rückwärts
bewegen zu wollen und von der Wiedereinführung der mittelalterlichen Mhsterien-
bühne das Heil zu erwarten. Jede Vereinfachung des überfeinerten und aus¬
geklügelten Bühnenapparates, der bisher fast uur dazu gedient hat, die
Jllusionsfühigkeit wie überhaupt die feinere Empfänglichkeit des Publikums
abzustumpfen, empfiehlt sich von selbst, aber allzu reaktionäre Bestrebungen
werden der Sache schwerlich dienen.

Mag aber nun das Münchner Unternehmen in der einen oder der andern
Weise zur Ausführung gelangen, jedenfalls verdient es die Beachtung aller
Kreise, denen die Hebung unsers Volkslebens am Herzen liegt. Visher ist
freilich über das Schicksal des Antrages der Münchner nichts bekannt geworden.
Der Gedanke aber selbst ist so lebenskräftig und so beachtenswert, daß wir
nur dem Wunsche Ausdruck geben können, er möchte sich auch in andern
Städten Bahn brechen und hier oder dort eine freundliche Aufnahme finden.


iteonhard Lier


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Weltgeschichte von hinten.

Wie der Gebirgswanderer, der nicht
ausschließlich dem Naturgenusse nachgeht, gern dem Laufe eiues Flusses vou seinem
Ursprung an folgt, um sein allmähliches Wachsen durch Zuflüsse, sein Überwinden
oder Umgehen von Hindernissen, seine Beziehungen zum Erdreich, zur Flora n. s. w.
zu beobachten, so führt, wer die Geschichte eines Volkes erzählt, gewöhnlich den
Hörer von den, ersten Auftreten des Volkes auf der Weltbühne, vou dunkeln An¬
fängen bis zur Gegenwart. Oder er beabsichtigt wenigstens dies Ziel zu erreichen.
Aber leicht können die Thaten und Schicksale in vergangenen Tagen mehr Zeit in
Anspruch nehmen, als ihnen eigentlich zugemessen sein sollte, und dann kommt die
Gegenwart zu kurz. Das ist unzweifelhaft ein Übelstand, und um ihm abzuhelfen,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

verkcnnbare Vorzüge, aber dein stehen ebenso gewiß ebenso gewichtige Nach¬
teile gegenüber, schon vom rein künstlerische» Standpunkte ans, ganz abgesehen
von den klimatischen und von der Beschaffenheit der Örtlichkeiten sich er¬
gebenden Schwierigkeiten, die in der überwiegenden Zahl der Fälle dem
Wunsche ein unüberwindliches Nein entgegensetzen würden. Außerdem hieße
die Einführung der freien Tngesbühne dem erstrebenswerten Unternehmen einer
Vvlksfestbühne den Kreis der zur Aufführung geeigneten Werke unnötig be¬
schränken und überhaupt die an sich schon beträchtliche Zahl der Hindernisse
unnötigerweise vermehren. Endlich halten wir es für verfehlt, das vorwärts¬
rollende Rad der Entwicklung unsrer Bühnenkunst und Bühnendichtung rückwärts
bewegen zu wollen und von der Wiedereinführung der mittelalterlichen Mhsterien-
bühne das Heil zu erwarten. Jede Vereinfachung des überfeinerten und aus¬
geklügelten Bühnenapparates, der bisher fast uur dazu gedient hat, die
Jllusionsfühigkeit wie überhaupt die feinere Empfänglichkeit des Publikums
abzustumpfen, empfiehlt sich von selbst, aber allzu reaktionäre Bestrebungen
werden der Sache schwerlich dienen.

Mag aber nun das Münchner Unternehmen in der einen oder der andern
Weise zur Ausführung gelangen, jedenfalls verdient es die Beachtung aller
Kreise, denen die Hebung unsers Volkslebens am Herzen liegt. Visher ist
freilich über das Schicksal des Antrages der Münchner nichts bekannt geworden.
Der Gedanke aber selbst ist so lebenskräftig und so beachtenswert, daß wir
nur dem Wunsche Ausdruck geben können, er möchte sich auch in andern
Städten Bahn brechen und hier oder dort eine freundliche Aufnahme finden.


iteonhard Lier


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Weltgeschichte von hinten.

Wie der Gebirgswanderer, der nicht
ausschließlich dem Naturgenusse nachgeht, gern dem Laufe eiues Flusses vou seinem
Ursprung an folgt, um sein allmähliches Wachsen durch Zuflüsse, sein Überwinden
oder Umgehen von Hindernissen, seine Beziehungen zum Erdreich, zur Flora n. s. w.
zu beobachten, so führt, wer die Geschichte eines Volkes erzählt, gewöhnlich den
Hörer von den, ersten Auftreten des Volkes auf der Weltbühne, vou dunkeln An¬
fängen bis zur Gegenwart. Oder er beabsichtigt wenigstens dies Ziel zu erreichen.
Aber leicht können die Thaten und Schicksale in vergangenen Tagen mehr Zeit in
Anspruch nehmen, als ihnen eigentlich zugemessen sein sollte, und dann kommt die
Gegenwart zu kurz. Das ist unzweifelhaft ein Übelstand, und um ihm abzuhelfen,


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[0432] Maßgebliches und Unmaßgebliches verkcnnbare Vorzüge, aber dein stehen ebenso gewiß ebenso gewichtige Nach¬ teile gegenüber, schon vom rein künstlerische» Standpunkte ans, ganz abgesehen von den klimatischen und von der Beschaffenheit der Örtlichkeiten sich er¬ gebenden Schwierigkeiten, die in der überwiegenden Zahl der Fälle dem Wunsche ein unüberwindliches Nein entgegensetzen würden. Außerdem hieße die Einführung der freien Tngesbühne dem erstrebenswerten Unternehmen einer Vvlksfestbühne den Kreis der zur Aufführung geeigneten Werke unnötig be¬ schränken und überhaupt die an sich schon beträchtliche Zahl der Hindernisse unnötigerweise vermehren. Endlich halten wir es für verfehlt, das vorwärts¬ rollende Rad der Entwicklung unsrer Bühnenkunst und Bühnendichtung rückwärts bewegen zu wollen und von der Wiedereinführung der mittelalterlichen Mhsterien- bühne das Heil zu erwarten. Jede Vereinfachung des überfeinerten und aus¬ geklügelten Bühnenapparates, der bisher fast uur dazu gedient hat, die Jllusionsfühigkeit wie überhaupt die feinere Empfänglichkeit des Publikums abzustumpfen, empfiehlt sich von selbst, aber allzu reaktionäre Bestrebungen werden der Sache schwerlich dienen. Mag aber nun das Münchner Unternehmen in der einen oder der andern Weise zur Ausführung gelangen, jedenfalls verdient es die Beachtung aller Kreise, denen die Hebung unsers Volkslebens am Herzen liegt. Visher ist freilich über das Schicksal des Antrages der Münchner nichts bekannt geworden. Der Gedanke aber selbst ist so lebenskräftig und so beachtenswert, daß wir nur dem Wunsche Ausdruck geben können, er möchte sich auch in andern Städten Bahn brechen und hier oder dort eine freundliche Aufnahme finden. iteonhard Lier Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Weltgeschichte von hinten. Wie der Gebirgswanderer, der nicht ausschließlich dem Naturgenusse nachgeht, gern dem Laufe eiues Flusses vou seinem Ursprung an folgt, um sein allmähliches Wachsen durch Zuflüsse, sein Überwinden oder Umgehen von Hindernissen, seine Beziehungen zum Erdreich, zur Flora n. s. w. zu beobachten, so führt, wer die Geschichte eines Volkes erzählt, gewöhnlich den Hörer von den, ersten Auftreten des Volkes auf der Weltbühne, vou dunkeln An¬ fängen bis zur Gegenwart. Oder er beabsichtigt wenigstens dies Ziel zu erreichen. Aber leicht können die Thaten und Schicksale in vergangenen Tagen mehr Zeit in Anspruch nehmen, als ihnen eigentlich zugemessen sein sollte, und dann kommt die Gegenwart zu kurz. Das ist unzweifelhaft ein Übelstand, und um ihm abzuhelfen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/432>, abgerufen am 13.11.2024.