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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Volksbühnen auf Volksfesten

Himmel. Der in neuerer Zeit an manchen Orten eindringlich erHolme Ruf
mich einer Volkskunst findet hier eine schöne, heimische Stätte. Wahrlich hier
heißt es: Hio lUioclus, dio "iMi.!

In alten Zeiten, im Mittelalter bis zum Eindringen der berufsmäßigen
Schauspieler und in bevorzugten, wenigen Landstrichen noch heute bildet das
Schauspiel bei Volksfesten die vornehmste Art der Unterhaltung, oder eine
solche theatralische Aufführung gestaltete sich zu einem Volksfest. Es hat in
neuerer Zeit nicht an den mannichfaltigsten Versuchen gefehlt, ähnliche Ein¬
richtungen wie diese Besitztümer vergangner Zeiten zu schaffen oder noch
bestehende neu zu beleben. Der Gedanke aber, den alljährlich wiederkehrenden
Volksfesten durch Vorführung geeigneter Schauspiele einen geistigen Inhalt
und eine höhere Weihe zu verleihen, ist unsers Wissens noch nicht in der
Form einer thatsächlichen Anregung, wie in München, ausgesprochen worden.
Es hat immer sein Mißliches, zu besondern theatralischen Aufführungen eine
dem Aufwand an Mühen und Kosten entsprechende Zuschauermenge an einem
Orte zu vereinigen, und selbst in dem Falle des Gelingens dieser Aufgabe
wird es sich immer nur um einen in der langen Reihe der Jahre vereinzelt
dastehenden Fall handeln. Viel glücklicher und aussichtsreicher erscheint der
Gedanke, das Volk da aufzusuchen, wohin es einer alten Gewohnheit und der
täglich neuen Schaulust folgend von selbst zusammenströmt, d. h. auf den
Volksfesten, deren wohl jede Stadt im Laufe des Jahres mindestens eines
feiert, und deren Gäste sich aus der nähern und fernern Umgebung des
jeweiligen Festvrtes bunt und mannichfaltig zusammensetzen. Während die
Lutherspiele, die noch bestehenden Bauernspiele in Vaiern und Österreich oder
vollends die Bahreuther Festspiele die Schaulustigen zu sich entbieten und
daher der Zugkraft entweder einer lauten Reklame oder eines altbewährten
Ansehens bedürfen, würden Volksbühnen, die auf den Plätzen der Volksfeste
ihre Stätte suchen, den schwersten Teil der Aufgabe, das Publikum zu finden,
spielend und leicht lösen. Unter den Tausenden, die auf solchen Plätzen Ver¬
gnügen und Unterhaltung suchen, befinden sich Hunderte, denen die Pforten
eines stehenden Theaters fast durchweg verschlossen bleiben, und die mit Lust
die Gelegenheit ergreifen würden, für ein billiges Geld einmal etwas Gutes
und Erhebendes zu scheu. Soviel gesunden und tüchtigen Sinn aber darf
mau unsrer Bevölkerung aus Stadt und Land noch zutrauen, daß nicht zu
befürchten ist, die Schaustellungen niederer und niederster Gattung, die sich
jetzt auf unsern Festwiesen breit machen, würden die Lebenskraft ernsterer
Unterredungen schwächen oder gar unterdrücken. Im Gegenteil ist zu hoffen,
daß der freie Wettbewerb die Veranstalter zwingen würde, besseres und ernsteres
auch ihrerseits zu leisten.

Die Grundbedingungen volkstümlicher Bühnen wären aber billige Preise
und gute Leistungen. Selbstverständlich könnte zunächst ans die Mitwirkung


Volksbühnen auf Volksfesten

Himmel. Der in neuerer Zeit an manchen Orten eindringlich erHolme Ruf
mich einer Volkskunst findet hier eine schöne, heimische Stätte. Wahrlich hier
heißt es: Hio lUioclus, dio «iMi.!

In alten Zeiten, im Mittelalter bis zum Eindringen der berufsmäßigen
Schauspieler und in bevorzugten, wenigen Landstrichen noch heute bildet das
Schauspiel bei Volksfesten die vornehmste Art der Unterhaltung, oder eine
solche theatralische Aufführung gestaltete sich zu einem Volksfest. Es hat in
neuerer Zeit nicht an den mannichfaltigsten Versuchen gefehlt, ähnliche Ein¬
richtungen wie diese Besitztümer vergangner Zeiten zu schaffen oder noch
bestehende neu zu beleben. Der Gedanke aber, den alljährlich wiederkehrenden
Volksfesten durch Vorführung geeigneter Schauspiele einen geistigen Inhalt
und eine höhere Weihe zu verleihen, ist unsers Wissens noch nicht in der
Form einer thatsächlichen Anregung, wie in München, ausgesprochen worden.
Es hat immer sein Mißliches, zu besondern theatralischen Aufführungen eine
dem Aufwand an Mühen und Kosten entsprechende Zuschauermenge an einem
Orte zu vereinigen, und selbst in dem Falle des Gelingens dieser Aufgabe
wird es sich immer nur um einen in der langen Reihe der Jahre vereinzelt
dastehenden Fall handeln. Viel glücklicher und aussichtsreicher erscheint der
Gedanke, das Volk da aufzusuchen, wohin es einer alten Gewohnheit und der
täglich neuen Schaulust folgend von selbst zusammenströmt, d. h. auf den
Volksfesten, deren wohl jede Stadt im Laufe des Jahres mindestens eines
feiert, und deren Gäste sich aus der nähern und fernern Umgebung des
jeweiligen Festvrtes bunt und mannichfaltig zusammensetzen. Während die
Lutherspiele, die noch bestehenden Bauernspiele in Vaiern und Österreich oder
vollends die Bahreuther Festspiele die Schaulustigen zu sich entbieten und
daher der Zugkraft entweder einer lauten Reklame oder eines altbewährten
Ansehens bedürfen, würden Volksbühnen, die auf den Plätzen der Volksfeste
ihre Stätte suchen, den schwersten Teil der Aufgabe, das Publikum zu finden,
spielend und leicht lösen. Unter den Tausenden, die auf solchen Plätzen Ver¬
gnügen und Unterhaltung suchen, befinden sich Hunderte, denen die Pforten
eines stehenden Theaters fast durchweg verschlossen bleiben, und die mit Lust
die Gelegenheit ergreifen würden, für ein billiges Geld einmal etwas Gutes
und Erhebendes zu scheu. Soviel gesunden und tüchtigen Sinn aber darf
mau unsrer Bevölkerung aus Stadt und Land noch zutrauen, daß nicht zu
befürchten ist, die Schaustellungen niederer und niederster Gattung, die sich
jetzt auf unsern Festwiesen breit machen, würden die Lebenskraft ernsterer
Unterredungen schwächen oder gar unterdrücken. Im Gegenteil ist zu hoffen,
daß der freie Wettbewerb die Veranstalter zwingen würde, besseres und ernsteres
auch ihrerseits zu leisten.

Die Grundbedingungen volkstümlicher Bühnen wären aber billige Preise
und gute Leistungen. Selbstverständlich könnte zunächst ans die Mitwirkung


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[0428] Volksbühnen auf Volksfesten Himmel. Der in neuerer Zeit an manchen Orten eindringlich erHolme Ruf mich einer Volkskunst findet hier eine schöne, heimische Stätte. Wahrlich hier heißt es: Hio lUioclus, dio «iMi.! In alten Zeiten, im Mittelalter bis zum Eindringen der berufsmäßigen Schauspieler und in bevorzugten, wenigen Landstrichen noch heute bildet das Schauspiel bei Volksfesten die vornehmste Art der Unterhaltung, oder eine solche theatralische Aufführung gestaltete sich zu einem Volksfest. Es hat in neuerer Zeit nicht an den mannichfaltigsten Versuchen gefehlt, ähnliche Ein¬ richtungen wie diese Besitztümer vergangner Zeiten zu schaffen oder noch bestehende neu zu beleben. Der Gedanke aber, den alljährlich wiederkehrenden Volksfesten durch Vorführung geeigneter Schauspiele einen geistigen Inhalt und eine höhere Weihe zu verleihen, ist unsers Wissens noch nicht in der Form einer thatsächlichen Anregung, wie in München, ausgesprochen worden. Es hat immer sein Mißliches, zu besondern theatralischen Aufführungen eine dem Aufwand an Mühen und Kosten entsprechende Zuschauermenge an einem Orte zu vereinigen, und selbst in dem Falle des Gelingens dieser Aufgabe wird es sich immer nur um einen in der langen Reihe der Jahre vereinzelt dastehenden Fall handeln. Viel glücklicher und aussichtsreicher erscheint der Gedanke, das Volk da aufzusuchen, wohin es einer alten Gewohnheit und der täglich neuen Schaulust folgend von selbst zusammenströmt, d. h. auf den Volksfesten, deren wohl jede Stadt im Laufe des Jahres mindestens eines feiert, und deren Gäste sich aus der nähern und fernern Umgebung des jeweiligen Festvrtes bunt und mannichfaltig zusammensetzen. Während die Lutherspiele, die noch bestehenden Bauernspiele in Vaiern und Österreich oder vollends die Bahreuther Festspiele die Schaulustigen zu sich entbieten und daher der Zugkraft entweder einer lauten Reklame oder eines altbewährten Ansehens bedürfen, würden Volksbühnen, die auf den Plätzen der Volksfeste ihre Stätte suchen, den schwersten Teil der Aufgabe, das Publikum zu finden, spielend und leicht lösen. Unter den Tausenden, die auf solchen Plätzen Ver¬ gnügen und Unterhaltung suchen, befinden sich Hunderte, denen die Pforten eines stehenden Theaters fast durchweg verschlossen bleiben, und die mit Lust die Gelegenheit ergreifen würden, für ein billiges Geld einmal etwas Gutes und Erhebendes zu scheu. Soviel gesunden und tüchtigen Sinn aber darf mau unsrer Bevölkerung aus Stadt und Land noch zutrauen, daß nicht zu befürchten ist, die Schaustellungen niederer und niederster Gattung, die sich jetzt auf unsern Festwiesen breit machen, würden die Lebenskraft ernsterer Unterredungen schwächen oder gar unterdrücken. Im Gegenteil ist zu hoffen, daß der freie Wettbewerb die Veranstalter zwingen würde, besseres und ernsteres auch ihrerseits zu leisten. Die Grundbedingungen volkstümlicher Bühnen wären aber billige Preise und gute Leistungen. Selbstverständlich könnte zunächst ans die Mitwirkung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/428>, abgerufen am 26.08.2024.