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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Hohenzollernthron für den "Geist" wollen wir auch lieber mit dem Mantel
der christlichen Liebe verhänge"; Imsen scheint, wo er für die Menschheit fordert,
ein Optimist des 1/vtg.t, v'sse, luoi zu sein. Das nebenbei. Im ganzen fallen
in diesem Buche, das den Dichter nur natürlich, menschlich und persönlich
giebt, alle die Nebensächlichkeiten weg, die man von ihm sonst bei jedem
neuen Buche sicher zu erwarten gewöhnt war, und damit gerade auch die,
die man viel weniger gut vertrüge, als ein wenig Poltern. Diese Gedichte
sind durch das, was sie haben, wie durch das, was sie ausschließen, geradezu
der Erkenntuisspiegel dnsür, was zu Imsen gehört und was ihm nur an¬
geflogen, was Manier ist. Zu dieser Manier gehörig erweisen sich, als im
"Vorherbst" ganz fehlend, anch die fast in allen seineu Erzählungen ange¬
brachten ein- bis zweimaligen Pikanterien. Um hierin richtig verstanden zu
werden, ist wieder noch eine kleine Auseinandersetzung nötig, denn auch in
dieser Beziehung läßt sich durchaus nicht alles bei ihm unter einen Hut
bringen; die Stellen, wo Imsen überhaupt an das Sinnliche rührt, begegnen
vielmehr in ganz verschiedener Art, lassen sich in Gruppen oft von ganz ent¬
gegengesetztem Gepräge ordnen. Zunächst handelt es sich, wie wir feststelle",
nie um eigentlich sexuelle Szenen, auch nie um laxe Moral oder unsittliche
Tendenz. Das gemeinsame Thema ist vielmehr der ästhetische Kultus der
weiblichen Leibesschönheit. In der einen Gruppe, zu der z. V. "Eddhstoue"
und "Nirwana" gehören, wird die Schilderung ausgereifter, kraftgeschwellter
Weiblichkeit uuter die farbcnsatten Bilder, die die Erzählung vor dem Ange
des Lesers Heraufziehen läßt, voll offener, herzhafter Sinnlichkeit aufgenommen.
Gegen diese Szenen liegt es uus fern uns an dieser Stelle zu ereifern, zumal
da sie der Handlung -- gewöhnlich werden sie, da die Helden viel zu gut dazu
sind, von Nebenpersonen herbeigeführt -- mit ausreichender Motivirung an¬
gehören, frischweg der Kraftempfindung entsprungen und vou einem Kolorit
und Schönheitszauber umflossen sind, die sie rein künstlerisch wirken lassen,
wir möchte" sagen, wen" wir an Clcimenee Guvraud denken, wie Tizianische
irdische Liebe. Solche Szenen und Figuren gehören ja schon seit einigen
Jahrzehnten anscheinend zu den unentbehrlichen Requisiten unsrer Litteratur;
uur daß Julius Wolff und andre, die so weit oder weiter gehen als Imsen,
auch oftmals Hesse selbst, der darin der eigentliche Lehrmeister unsers Er¬
zählers gewesen zu sein scheint, von diesem an Schilderungsvermögen und an
ruhiger Unbefangenheit übertroffen werden. Mit den deutschen Zolnisten und
ihren nndelikaten Orgien ist natürlich jeder Vergleich unangebracht. Ein
ganz andrer, eigentlich das gerade Gegenteil zu dem Bildner jener üppigen
Figuren ist Imsen, wenn er versucht, das hohe Lied der weiblichen Unschuld
zu gestalten, die in ihrer lilienhaften Reinheit nnr desto sichrer und unbefangner
ist, weil sie niemals durch hinweisende Vorschriften und Warnungen gehütet
und aufgeschreckt worden ist und -- die er dann allerdings ein paarmal


Hohenzollernthron für den „Geist" wollen wir auch lieber mit dem Mantel
der christlichen Liebe verhänge»; Imsen scheint, wo er für die Menschheit fordert,
ein Optimist des 1/vtg.t, v'sse, luoi zu sein. Das nebenbei. Im ganzen fallen
in diesem Buche, das den Dichter nur natürlich, menschlich und persönlich
giebt, alle die Nebensächlichkeiten weg, die man von ihm sonst bei jedem
neuen Buche sicher zu erwarten gewöhnt war, und damit gerade auch die,
die man viel weniger gut vertrüge, als ein wenig Poltern. Diese Gedichte
sind durch das, was sie haben, wie durch das, was sie ausschließen, geradezu
der Erkenntuisspiegel dnsür, was zu Imsen gehört und was ihm nur an¬
geflogen, was Manier ist. Zu dieser Manier gehörig erweisen sich, als im
„Vorherbst" ganz fehlend, anch die fast in allen seineu Erzählungen ange¬
brachten ein- bis zweimaligen Pikanterien. Um hierin richtig verstanden zu
werden, ist wieder noch eine kleine Auseinandersetzung nötig, denn auch in
dieser Beziehung läßt sich durchaus nicht alles bei ihm unter einen Hut
bringen; die Stellen, wo Imsen überhaupt an das Sinnliche rührt, begegnen
vielmehr in ganz verschiedener Art, lassen sich in Gruppen oft von ganz ent¬
gegengesetztem Gepräge ordnen. Zunächst handelt es sich, wie wir feststelle»,
nie um eigentlich sexuelle Szenen, auch nie um laxe Moral oder unsittliche
Tendenz. Das gemeinsame Thema ist vielmehr der ästhetische Kultus der
weiblichen Leibesschönheit. In der einen Gruppe, zu der z. V. „Eddhstoue"
und „Nirwana" gehören, wird die Schilderung ausgereifter, kraftgeschwellter
Weiblichkeit uuter die farbcnsatten Bilder, die die Erzählung vor dem Ange
des Lesers Heraufziehen läßt, voll offener, herzhafter Sinnlichkeit aufgenommen.
Gegen diese Szenen liegt es uus fern uns an dieser Stelle zu ereifern, zumal
da sie der Handlung — gewöhnlich werden sie, da die Helden viel zu gut dazu
sind, von Nebenpersonen herbeigeführt — mit ausreichender Motivirung an¬
gehören, frischweg der Kraftempfindung entsprungen und vou einem Kolorit
und Schönheitszauber umflossen sind, die sie rein künstlerisch wirken lassen,
wir möchte» sagen, wen» wir an Clcimenee Guvraud denken, wie Tizianische
irdische Liebe. Solche Szenen und Figuren gehören ja schon seit einigen
Jahrzehnten anscheinend zu den unentbehrlichen Requisiten unsrer Litteratur;
uur daß Julius Wolff und andre, die so weit oder weiter gehen als Imsen,
auch oftmals Hesse selbst, der darin der eigentliche Lehrmeister unsers Er¬
zählers gewesen zu sein scheint, von diesem an Schilderungsvermögen und an
ruhiger Unbefangenheit übertroffen werden. Mit den deutschen Zolnisten und
ihren nndelikaten Orgien ist natürlich jeder Vergleich unangebracht. Ein
ganz andrer, eigentlich das gerade Gegenteil zu dem Bildner jener üppigen
Figuren ist Imsen, wenn er versucht, das hohe Lied der weiblichen Unschuld
zu gestalten, die in ihrer lilienhaften Reinheit nnr desto sichrer und unbefangner
ist, weil sie niemals durch hinweisende Vorschriften und Warnungen gehütet
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[0420] Hohenzollernthron für den „Geist" wollen wir auch lieber mit dem Mantel der christlichen Liebe verhänge»; Imsen scheint, wo er für die Menschheit fordert, ein Optimist des 1/vtg.t, v'sse, luoi zu sein. Das nebenbei. Im ganzen fallen in diesem Buche, das den Dichter nur natürlich, menschlich und persönlich giebt, alle die Nebensächlichkeiten weg, die man von ihm sonst bei jedem neuen Buche sicher zu erwarten gewöhnt war, und damit gerade auch die, die man viel weniger gut vertrüge, als ein wenig Poltern. Diese Gedichte sind durch das, was sie haben, wie durch das, was sie ausschließen, geradezu der Erkenntuisspiegel dnsür, was zu Imsen gehört und was ihm nur an¬ geflogen, was Manier ist. Zu dieser Manier gehörig erweisen sich, als im „Vorherbst" ganz fehlend, anch die fast in allen seineu Erzählungen ange¬ brachten ein- bis zweimaligen Pikanterien. Um hierin richtig verstanden zu werden, ist wieder noch eine kleine Auseinandersetzung nötig, denn auch in dieser Beziehung läßt sich durchaus nicht alles bei ihm unter einen Hut bringen; die Stellen, wo Imsen überhaupt an das Sinnliche rührt, begegnen vielmehr in ganz verschiedener Art, lassen sich in Gruppen oft von ganz ent¬ gegengesetztem Gepräge ordnen. Zunächst handelt es sich, wie wir feststelle», nie um eigentlich sexuelle Szenen, auch nie um laxe Moral oder unsittliche Tendenz. Das gemeinsame Thema ist vielmehr der ästhetische Kultus der weiblichen Leibesschönheit. In der einen Gruppe, zu der z. V. „Eddhstoue" und „Nirwana" gehören, wird die Schilderung ausgereifter, kraftgeschwellter Weiblichkeit uuter die farbcnsatten Bilder, die die Erzählung vor dem Ange des Lesers Heraufziehen läßt, voll offener, herzhafter Sinnlichkeit aufgenommen. Gegen diese Szenen liegt es uus fern uns an dieser Stelle zu ereifern, zumal da sie der Handlung — gewöhnlich werden sie, da die Helden viel zu gut dazu sind, von Nebenpersonen herbeigeführt — mit ausreichender Motivirung an¬ gehören, frischweg der Kraftempfindung entsprungen und vou einem Kolorit und Schönheitszauber umflossen sind, die sie rein künstlerisch wirken lassen, wir möchte» sagen, wen» wir an Clcimenee Guvraud denken, wie Tizianische irdische Liebe. Solche Szenen und Figuren gehören ja schon seit einigen Jahrzehnten anscheinend zu den unentbehrlichen Requisiten unsrer Litteratur; uur daß Julius Wolff und andre, die so weit oder weiter gehen als Imsen, auch oftmals Hesse selbst, der darin der eigentliche Lehrmeister unsers Er¬ zählers gewesen zu sein scheint, von diesem an Schilderungsvermögen und an ruhiger Unbefangenheit übertroffen werden. Mit den deutschen Zolnisten und ihren nndelikaten Orgien ist natürlich jeder Vergleich unangebracht. Ein ganz andrer, eigentlich das gerade Gegenteil zu dem Bildner jener üppigen Figuren ist Imsen, wenn er versucht, das hohe Lied der weiblichen Unschuld zu gestalten, die in ihrer lilienhaften Reinheit nnr desto sichrer und unbefangner ist, weil sie niemals durch hinweisende Vorschriften und Warnungen gehütet und aufgeschreckt worden ist und — die er dann allerdings ein paarmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/420>, abgerufen am 26.08.2024.