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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Zeusen

Es legt die Heimen sich mit goldnen Banden
Um unsre Willensfreiheit ernst und weich;
Die Scholle, drauf das Kind zuerst gestanden,
Ist heilger Boden, dem kein andrer gleich.
Dort scheint die Sonne, dort nun sprießt am Raine
Der ersten Frühlingsblüten Heller Kranz,
Dort taucht aus ahnungsvollem Diimmerscheiiie
Der Nachtgestirne tramnesstiller Glanz.
Und wo wir alles gleichend wiederfinden,
Ein Rückglanz ists nnr, der aus allem strahlt,
Nur des verschlungnen Tones nachempfinden,
Ein Bild mir, das Erinnerung uns malt.
Wo sich die See noch dehnt zu blauen Weiten,
Wo, still wie einst, noch blieben Busch und Vanen,
Noch einmal möcht ich mit mir selber schreiten,
Mein Leben vor und hinter mir ein Traum.

Etwas ähnliches übrigens, wie es hier alldort, klingt auch in den Worten, worin
Imsen das Facit seiner Auswanderung in den deutschen Süden zieht, wieder:


Es ist die Fremde. Ob sie reizumflossen
Und unter einem Himmel licht und lind,
Doch enges Eiland nur mit Weib und Kind.

Die "schöne Fremde," in die er zog, sie ist ein kühler Begriff geblieben. Ihr
fehlt der Naturlaut der Heimat, "der alt vertraute Wind, der Kindheitsträume
um die Seele spinnt," Bekannte und Genossen sind da, aber die mangeln, die
aus dem gleichen Boden entsprungen sind, es fehlt der alte traute Winter¬
abend inmitten nordischer Sturmwelt, und mit ihm auch


Des Freundes Einkehr, der zur späten Stunde
Mit Schnee bedeckt noch an der Hausthür schellt.

Jensens Größe in seinen Schilderungen der umgebenden Natur ist
bekannt und auch gefeiert genug, es wäre überflüssig, aus dem überreichen
Liederschatz des "Vorherbstes" besonders beweisen und belegen zu Wollen,
wie überall seine innerste Seele mit unsichtbaren Fäden an die unmittelbarsten
Regungen und Stimmungen der Landschaft und der Jahreszeiten angeschlossen
lind festgekettet ist. Aber noch weit über alle Szenerien und alle Malerei
seiner Erzählungen geht hinaus, wie innig er in diesen Gedichten das tiefste,
geheimste Wesen der Natur belauscht und widerklingen läßt. Wir heben nur
die Blätter "Frühlingswind," "Föhn" und "Im Vorfrühling" hervor, das letzte
mit dem Schluß:


Mir aber ist süß und sonnig
Von Träumen die Seele bewegt,
Wie selig vor seinem Geburtstag
El" Kind zum Schlafen sich legt,

dann "Svnnenmndigkeit," und das prächtige:


Greuzlwte" M 1K91 L2
Wilhelm Zeusen

Es legt die Heimen sich mit goldnen Banden
Um unsre Willensfreiheit ernst und weich;
Die Scholle, drauf das Kind zuerst gestanden,
Ist heilger Boden, dem kein andrer gleich.
Dort scheint die Sonne, dort nun sprießt am Raine
Der ersten Frühlingsblüten Heller Kranz,
Dort taucht aus ahnungsvollem Diimmerscheiiie
Der Nachtgestirne tramnesstiller Glanz.
Und wo wir alles gleichend wiederfinden,
Ein Rückglanz ists nnr, der aus allem strahlt,
Nur des verschlungnen Tones nachempfinden,
Ein Bild mir, das Erinnerung uns malt.
Wo sich die See noch dehnt zu blauen Weiten,
Wo, still wie einst, noch blieben Busch und Vanen,
Noch einmal möcht ich mit mir selber schreiten,
Mein Leben vor und hinter mir ein Traum.

Etwas ähnliches übrigens, wie es hier alldort, klingt auch in den Worten, worin
Imsen das Facit seiner Auswanderung in den deutschen Süden zieht, wieder:


Es ist die Fremde. Ob sie reizumflossen
Und unter einem Himmel licht und lind,
Doch enges Eiland nur mit Weib und Kind.

Die „schöne Fremde," in die er zog, sie ist ein kühler Begriff geblieben. Ihr
fehlt der Naturlaut der Heimat, „der alt vertraute Wind, der Kindheitsträume
um die Seele spinnt," Bekannte und Genossen sind da, aber die mangeln, die
aus dem gleichen Boden entsprungen sind, es fehlt der alte traute Winter¬
abend inmitten nordischer Sturmwelt, und mit ihm auch


Des Freundes Einkehr, der zur späten Stunde
Mit Schnee bedeckt noch an der Hausthür schellt.

Jensens Größe in seinen Schilderungen der umgebenden Natur ist
bekannt und auch gefeiert genug, es wäre überflüssig, aus dem überreichen
Liederschatz des „Vorherbstes" besonders beweisen und belegen zu Wollen,
wie überall seine innerste Seele mit unsichtbaren Fäden an die unmittelbarsten
Regungen und Stimmungen der Landschaft und der Jahreszeiten angeschlossen
lind festgekettet ist. Aber noch weit über alle Szenerien und alle Malerei
seiner Erzählungen geht hinaus, wie innig er in diesen Gedichten das tiefste,
geheimste Wesen der Natur belauscht und widerklingen läßt. Wir heben nur
die Blätter „Frühlingswind," „Föhn" und „Im Vorfrühling" hervor, das letzte
mit dem Schluß:


Mir aber ist süß und sonnig
Von Träumen die Seele bewegt,
Wie selig vor seinem Geburtstag
El» Kind zum Schlafen sich legt,

dann „Svnnenmndigkeit," und das prächtige:


Greuzlwte» M 1K91 L2
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[0417] Wilhelm Zeusen Es legt die Heimen sich mit goldnen Banden Um unsre Willensfreiheit ernst und weich; Die Scholle, drauf das Kind zuerst gestanden, Ist heilger Boden, dem kein andrer gleich. Dort scheint die Sonne, dort nun sprießt am Raine Der ersten Frühlingsblüten Heller Kranz, Dort taucht aus ahnungsvollem Diimmerscheiiie Der Nachtgestirne tramnesstiller Glanz. Und wo wir alles gleichend wiederfinden, Ein Rückglanz ists nnr, der aus allem strahlt, Nur des verschlungnen Tones nachempfinden, Ein Bild mir, das Erinnerung uns malt. Wo sich die See noch dehnt zu blauen Weiten, Wo, still wie einst, noch blieben Busch und Vanen, Noch einmal möcht ich mit mir selber schreiten, Mein Leben vor und hinter mir ein Traum. Etwas ähnliches übrigens, wie es hier alldort, klingt auch in den Worten, worin Imsen das Facit seiner Auswanderung in den deutschen Süden zieht, wieder: Es ist die Fremde. Ob sie reizumflossen Und unter einem Himmel licht und lind, Doch enges Eiland nur mit Weib und Kind. Die „schöne Fremde," in die er zog, sie ist ein kühler Begriff geblieben. Ihr fehlt der Naturlaut der Heimat, „der alt vertraute Wind, der Kindheitsträume um die Seele spinnt," Bekannte und Genossen sind da, aber die mangeln, die aus dem gleichen Boden entsprungen sind, es fehlt der alte traute Winter¬ abend inmitten nordischer Sturmwelt, und mit ihm auch Des Freundes Einkehr, der zur späten Stunde Mit Schnee bedeckt noch an der Hausthür schellt. Jensens Größe in seinen Schilderungen der umgebenden Natur ist bekannt und auch gefeiert genug, es wäre überflüssig, aus dem überreichen Liederschatz des „Vorherbstes" besonders beweisen und belegen zu Wollen, wie überall seine innerste Seele mit unsichtbaren Fäden an die unmittelbarsten Regungen und Stimmungen der Landschaft und der Jahreszeiten angeschlossen lind festgekettet ist. Aber noch weit über alle Szenerien und alle Malerei seiner Erzählungen geht hinaus, wie innig er in diesen Gedichten das tiefste, geheimste Wesen der Natur belauscht und widerklingen läßt. Wir heben nur die Blätter „Frühlingswind," „Föhn" und „Im Vorfrühling" hervor, das letzte mit dem Schluß: Mir aber ist süß und sonnig Von Träumen die Seele bewegt, Wie selig vor seinem Geburtstag El» Kind zum Schlafen sich legt, dann „Svnnenmndigkeit," und das prächtige: Greuzlwte» M 1K91 L2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/417>, abgerufen am 26.08.2024.