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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Imsen

Und dann die lautlose Einkehr bei seinen Lieben im wohlbekannten Hause, im
Garten zwischen dein Blütengesträuch:


Ihr seht mich nicht, und ihr hört mich nicht;
Zu nebelbleich wird ein Menschengesicht
Vom langen Schlafen im dunklen Grund . . .
Und still nun sitz ich euch zur Seit'
Und teil euer Glück, euer Hoffen und Leid;
Ich höre, wies allen erging und ergeht,
Mich grüßt manch altvertrautes Gerät.
So bleib ich bei euch bis zur dämmernden Nacht;
Auf Büschen und Bäumen dann glimmert es sacht.
Und der Mond steigt herauf, und im Schweigen sitzt ihr --
Da spricht eine Lippe gedenkend von mir.
Und es schwellet die Brust mir mit seligem Schmerz,
Und ich muß und umfang dich und schließ dich ans Herz,
Nicht fühlst du den Kuß, den ich dankend dir gab,
Nur ein Schauer laust kühl dir vom Nacken herab.

Ein Gedicht ist in der Sammlung, "Zuletzt," die Schilderung sanfter, Ver¬
gangenheit und Gegenwart, Täglichkeit und Ewigkeit traumhaft in einander
wehender Phantasten des Sterbenden. So etwas wie diese reimlosen Strophen
ist kaum je gedichtet worden. Aber ein Gefühl sagt, dies Gedicht Hütte aus
der Sammlung wegbleiben sollen. Denn es ist zu innerlich wahr; so groß
und alles beiseite schiebend ist selbst das Recht der Wahrheit nicht. Selbst in
seinem Frieden, gerade in diesem Frieden ist das Gedicht zu ergreifend, zu
sehr bis zum Schluchzen erschütternd.

Nahe verwandt dieser niemals ganz verstummten Scheidewehmut ist das
verlangende Gedenken des Dichters an die Frühzeit des eignen Lebens. Diesem
gehört uuter anderm ein kleines bezeichnendes Gedicht "Gelbe Blätter" an.
Gedanken, wie sie über vergilbten, halb sehnenden, halb thörichten Papieren
der Knabenzeit aufsteigen, zuerst ironisch-belustigt, bis sich allmählich das
Auge feuchtet und seltsam weit hinüber durch Lebensfernen starrt; und dann
das große Erinnerungsbild an die verlassene, meerumschlungene Heimat, und
mehr als das, die Jugend und das Leben selbst umfassend:


Noch einmal möcht ich über grünen Feldern,
Drauf braun und buntgescheckt die Rinder stehn,
Umrahmt von Haselzaun und Buchenwäldern
Die blaue See in Sonnenweite sehn;
Das Sehnen nochmals fühlen, das den Knaben
Aus ihrem Anblick schauernd überlief,
Noch einmal wachend möcht ich wieder haben,
Was lauge mir geheim im Herzen schlief.

Wilhelm Imsen

Und dann die lautlose Einkehr bei seinen Lieben im wohlbekannten Hause, im
Garten zwischen dein Blütengesträuch:


Ihr seht mich nicht, und ihr hört mich nicht;
Zu nebelbleich wird ein Menschengesicht
Vom langen Schlafen im dunklen Grund . . .
Und still nun sitz ich euch zur Seit'
Und teil euer Glück, euer Hoffen und Leid;
Ich höre, wies allen erging und ergeht,
Mich grüßt manch altvertrautes Gerät.
So bleib ich bei euch bis zur dämmernden Nacht;
Auf Büschen und Bäumen dann glimmert es sacht.
Und der Mond steigt herauf, und im Schweigen sitzt ihr —
Da spricht eine Lippe gedenkend von mir.
Und es schwellet die Brust mir mit seligem Schmerz,
Und ich muß und umfang dich und schließ dich ans Herz,
Nicht fühlst du den Kuß, den ich dankend dir gab,
Nur ein Schauer laust kühl dir vom Nacken herab.

Ein Gedicht ist in der Sammlung, „Zuletzt," die Schilderung sanfter, Ver¬
gangenheit und Gegenwart, Täglichkeit und Ewigkeit traumhaft in einander
wehender Phantasten des Sterbenden. So etwas wie diese reimlosen Strophen
ist kaum je gedichtet worden. Aber ein Gefühl sagt, dies Gedicht Hütte aus
der Sammlung wegbleiben sollen. Denn es ist zu innerlich wahr; so groß
und alles beiseite schiebend ist selbst das Recht der Wahrheit nicht. Selbst in
seinem Frieden, gerade in diesem Frieden ist das Gedicht zu ergreifend, zu
sehr bis zum Schluchzen erschütternd.

Nahe verwandt dieser niemals ganz verstummten Scheidewehmut ist das
verlangende Gedenken des Dichters an die Frühzeit des eignen Lebens. Diesem
gehört uuter anderm ein kleines bezeichnendes Gedicht „Gelbe Blätter" an.
Gedanken, wie sie über vergilbten, halb sehnenden, halb thörichten Papieren
der Knabenzeit aufsteigen, zuerst ironisch-belustigt, bis sich allmählich das
Auge feuchtet und seltsam weit hinüber durch Lebensfernen starrt; und dann
das große Erinnerungsbild an die verlassene, meerumschlungene Heimat, und
mehr als das, die Jugend und das Leben selbst umfassend:


Noch einmal möcht ich über grünen Feldern,
Drauf braun und buntgescheckt die Rinder stehn,
Umrahmt von Haselzaun und Buchenwäldern
Die blaue See in Sonnenweite sehn;
Das Sehnen nochmals fühlen, das den Knaben
Aus ihrem Anblick schauernd überlief,
Noch einmal wachend möcht ich wieder haben,
Was lauge mir geheim im Herzen schlief.

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[0416] Wilhelm Imsen Und dann die lautlose Einkehr bei seinen Lieben im wohlbekannten Hause, im Garten zwischen dein Blütengesträuch: Ihr seht mich nicht, und ihr hört mich nicht; Zu nebelbleich wird ein Menschengesicht Vom langen Schlafen im dunklen Grund . . . Und still nun sitz ich euch zur Seit' Und teil euer Glück, euer Hoffen und Leid; Ich höre, wies allen erging und ergeht, Mich grüßt manch altvertrautes Gerät. So bleib ich bei euch bis zur dämmernden Nacht; Auf Büschen und Bäumen dann glimmert es sacht. Und der Mond steigt herauf, und im Schweigen sitzt ihr — Da spricht eine Lippe gedenkend von mir. Und es schwellet die Brust mir mit seligem Schmerz, Und ich muß und umfang dich und schließ dich ans Herz, Nicht fühlst du den Kuß, den ich dankend dir gab, Nur ein Schauer laust kühl dir vom Nacken herab. Ein Gedicht ist in der Sammlung, „Zuletzt," die Schilderung sanfter, Ver¬ gangenheit und Gegenwart, Täglichkeit und Ewigkeit traumhaft in einander wehender Phantasten des Sterbenden. So etwas wie diese reimlosen Strophen ist kaum je gedichtet worden. Aber ein Gefühl sagt, dies Gedicht Hütte aus der Sammlung wegbleiben sollen. Denn es ist zu innerlich wahr; so groß und alles beiseite schiebend ist selbst das Recht der Wahrheit nicht. Selbst in seinem Frieden, gerade in diesem Frieden ist das Gedicht zu ergreifend, zu sehr bis zum Schluchzen erschütternd. Nahe verwandt dieser niemals ganz verstummten Scheidewehmut ist das verlangende Gedenken des Dichters an die Frühzeit des eignen Lebens. Diesem gehört uuter anderm ein kleines bezeichnendes Gedicht „Gelbe Blätter" an. Gedanken, wie sie über vergilbten, halb sehnenden, halb thörichten Papieren der Knabenzeit aufsteigen, zuerst ironisch-belustigt, bis sich allmählich das Auge feuchtet und seltsam weit hinüber durch Lebensfernen starrt; und dann das große Erinnerungsbild an die verlassene, meerumschlungene Heimat, und mehr als das, die Jugend und das Leben selbst umfassend: Noch einmal möcht ich über grünen Feldern, Drauf braun und buntgescheckt die Rinder stehn, Umrahmt von Haselzaun und Buchenwäldern Die blaue See in Sonnenweite sehn; Das Sehnen nochmals fühlen, das den Knaben Aus ihrem Anblick schauernd überlief, Noch einmal wachend möcht ich wieder haben, Was lauge mir geheim im Herzen schlief.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/416>, abgerufen am 26.08.2024.