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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Imsen

desto häufiger blicken dort ihre blauen Augen aus den wohllautenden Versen
heraus, sind dort Glück und Sonnenschein, Ahnung und Wehmut, wie sie von
Imsen empfunden werden, in schönster und, was man bei ihm doch stets be¬
sonders anmerken muß, durch keine Weiterungen gestörter Abklärung nieder¬
gelegt. Freilich, wem das Miusnto mori mitten in diesen in Schönheit sich
wiegenden Versen unerträglich ist, der muß Imsen gänzlich fallen lassen; das
einfache Goethische "Am Sein erhalte dich beglückt," das eben auch nur eine
Resignation darstellt, verträgt sich nicht mit der Art dieses Dichters. Jensens
niederdeutsche Natur ist zu schwerblütig oder doch richtiger viel zu ernsthaft
und zu lebenskräftig, um auch nur auf eine Reihe von Augenblicken der
Ahnung blasses Gesicht zu vergessen; immer und immer wieder bäumt sich die
Seele, wenn sie sich soeben noch in weltverlorener Sommerschönheit träumend
geöffnet hat, in unmittelbarem Erschrecken auf gegen den plötzlichen leisen ge¬
spenstischen Wink. Und da ist es nun ergreifend, zu sehen, wie dieser Dichter,
der alles Positive im Denken überwunden und abgethan zu haben vermeint
und andern so vieles oder alles genommen hat, schließlich verstohlen, einsam
und allein, doch wieder genau denselben Pfad wandelt, den er als die Not¬
brücke der Angst erkannt hat, denselben, den das erste und nächste übersinn¬
liche Bedürfnis aller Menschheit aller Orten gegangen ist, wie er dazu gelangt,
die Fortdauer nach dem Tode nun für sich selber, wir sagen gewiß nicht zu
hoffen, aber ihrer doch auch zu bedürfen, sie nicht ein für allemal aufgeben,
entbehren zu können, sie selber wieder zu postuliren und sich auf einfachste
und eigenste Art in sie hinein zu träumen. So in dem Gedichte "Heimlicher
Besuch," der wehmütigen Rückkehr aus dem "seltsamen Liegen" unter dem
grauen Friedhofsstein zum Lichte der Sonne und zu seiner liebsten, besten Welt:


Wenn mir in Frühlingszweigen
Zu Häupten die Knospe springt --
Und in mein nächtig Schweigen
Das Jauchzen der Amsel klingt --
Wenn goldene Schmetterlinge
Hintaumeln über den Stein,
Und flimmernd goldene Ringe
Drauf spielt der Sonnenschein,
Da wirds nicht schlafen mich lassen
Im dunkeln, engen Gemach,
Allmächtig wird es mich fassen,
Mein Herz wird allzuwach,
Es wird aus der Brust mir drängen
Ein göttlicher Sehnsuchtstrieb
Und meine Kammer zersprengen --
Ich hatte die Sonne zu lieb.

Wilhelm Imsen

desto häufiger blicken dort ihre blauen Augen aus den wohllautenden Versen
heraus, sind dort Glück und Sonnenschein, Ahnung und Wehmut, wie sie von
Imsen empfunden werden, in schönster und, was man bei ihm doch stets be¬
sonders anmerken muß, durch keine Weiterungen gestörter Abklärung nieder¬
gelegt. Freilich, wem das Miusnto mori mitten in diesen in Schönheit sich
wiegenden Versen unerträglich ist, der muß Imsen gänzlich fallen lassen; das
einfache Goethische „Am Sein erhalte dich beglückt," das eben auch nur eine
Resignation darstellt, verträgt sich nicht mit der Art dieses Dichters. Jensens
niederdeutsche Natur ist zu schwerblütig oder doch richtiger viel zu ernsthaft
und zu lebenskräftig, um auch nur auf eine Reihe von Augenblicken der
Ahnung blasses Gesicht zu vergessen; immer und immer wieder bäumt sich die
Seele, wenn sie sich soeben noch in weltverlorener Sommerschönheit träumend
geöffnet hat, in unmittelbarem Erschrecken auf gegen den plötzlichen leisen ge¬
spenstischen Wink. Und da ist es nun ergreifend, zu sehen, wie dieser Dichter,
der alles Positive im Denken überwunden und abgethan zu haben vermeint
und andern so vieles oder alles genommen hat, schließlich verstohlen, einsam
und allein, doch wieder genau denselben Pfad wandelt, den er als die Not¬
brücke der Angst erkannt hat, denselben, den das erste und nächste übersinn¬
liche Bedürfnis aller Menschheit aller Orten gegangen ist, wie er dazu gelangt,
die Fortdauer nach dem Tode nun für sich selber, wir sagen gewiß nicht zu
hoffen, aber ihrer doch auch zu bedürfen, sie nicht ein für allemal aufgeben,
entbehren zu können, sie selber wieder zu postuliren und sich auf einfachste
und eigenste Art in sie hinein zu träumen. So in dem Gedichte „Heimlicher
Besuch," der wehmütigen Rückkehr aus dem „seltsamen Liegen" unter dem
grauen Friedhofsstein zum Lichte der Sonne und zu seiner liebsten, besten Welt:


Wenn mir in Frühlingszweigen
Zu Häupten die Knospe springt —
Und in mein nächtig Schweigen
Das Jauchzen der Amsel klingt —
Wenn goldene Schmetterlinge
Hintaumeln über den Stein,
Und flimmernd goldene Ringe
Drauf spielt der Sonnenschein,
Da wirds nicht schlafen mich lassen
Im dunkeln, engen Gemach,
Allmächtig wird es mich fassen,
Mein Herz wird allzuwach,
Es wird aus der Brust mir drängen
Ein göttlicher Sehnsuchtstrieb
Und meine Kammer zersprengen —
Ich hatte die Sonne zu lieb.

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[0415] Wilhelm Imsen desto häufiger blicken dort ihre blauen Augen aus den wohllautenden Versen heraus, sind dort Glück und Sonnenschein, Ahnung und Wehmut, wie sie von Imsen empfunden werden, in schönster und, was man bei ihm doch stets be¬ sonders anmerken muß, durch keine Weiterungen gestörter Abklärung nieder¬ gelegt. Freilich, wem das Miusnto mori mitten in diesen in Schönheit sich wiegenden Versen unerträglich ist, der muß Imsen gänzlich fallen lassen; das einfache Goethische „Am Sein erhalte dich beglückt," das eben auch nur eine Resignation darstellt, verträgt sich nicht mit der Art dieses Dichters. Jensens niederdeutsche Natur ist zu schwerblütig oder doch richtiger viel zu ernsthaft und zu lebenskräftig, um auch nur auf eine Reihe von Augenblicken der Ahnung blasses Gesicht zu vergessen; immer und immer wieder bäumt sich die Seele, wenn sie sich soeben noch in weltverlorener Sommerschönheit träumend geöffnet hat, in unmittelbarem Erschrecken auf gegen den plötzlichen leisen ge¬ spenstischen Wink. Und da ist es nun ergreifend, zu sehen, wie dieser Dichter, der alles Positive im Denken überwunden und abgethan zu haben vermeint und andern so vieles oder alles genommen hat, schließlich verstohlen, einsam und allein, doch wieder genau denselben Pfad wandelt, den er als die Not¬ brücke der Angst erkannt hat, denselben, den das erste und nächste übersinn¬ liche Bedürfnis aller Menschheit aller Orten gegangen ist, wie er dazu gelangt, die Fortdauer nach dem Tode nun für sich selber, wir sagen gewiß nicht zu hoffen, aber ihrer doch auch zu bedürfen, sie nicht ein für allemal aufgeben, entbehren zu können, sie selber wieder zu postuliren und sich auf einfachste und eigenste Art in sie hinein zu träumen. So in dem Gedichte „Heimlicher Besuch," der wehmütigen Rückkehr aus dem „seltsamen Liegen" unter dem grauen Friedhofsstein zum Lichte der Sonne und zu seiner liebsten, besten Welt: Wenn mir in Frühlingszweigen Zu Häupten die Knospe springt — Und in mein nächtig Schweigen Das Jauchzen der Amsel klingt — Wenn goldene Schmetterlinge Hintaumeln über den Stein, Und flimmernd goldene Ringe Drauf spielt der Sonnenschein, Da wirds nicht schlafen mich lassen Im dunkeln, engen Gemach, Allmächtig wird es mich fassen, Mein Herz wird allzuwach, Es wird aus der Brust mir drängen Ein göttlicher Sehnsuchtstrieb Und meine Kammer zersprengen — Ich hatte die Sonne zu lieb.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/415>, abgerufen am 26.08.2024.