Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.Die geschichtlichen Erinnerungen, die uns bei Betrachtung der Sprachgrenze Geschichtsphilosophische Gedanken ^. Die Reformation und die Freiheit s fehlt in unsrer Zeit des nationalen Aufschwunges nicht an Die geschichtlichen Erinnerungen, die uns bei Betrachtung der Sprachgrenze Geschichtsphilosophische Gedanken ^. Die Reformation und die Freiheit s fehlt in unsrer Zeit des nationalen Aufschwunges nicht an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290177"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1157" prev="#ID_1156"> Die geschichtlichen Erinnerungen, die uns bei Betrachtung der Sprachgrenze<lb/> in Lothringen beschäftigt haben, erwecken auch das Andenken an die uralte<lb/> Formel, womit der adliche Assisenhvf in Nnncy Sache», die uoch nicht spruch¬<lb/> reif schienen, zu spätrer Erledigung vertagte: (1v c>ni in; «0 l'u,it, tora.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Geschichtsphilosophische Gedanken<lb/> ^. Die Reformation und die Freiheit </head><lb/> <p xml:id="ID_1158" next="#ID_1159"> s fehlt in unsrer Zeit des nationalen Aufschwunges nicht an<lb/> Patrioten, die das Christentum oder wenigstens die römische<lb/> Kirche beschuldigen, den Charakter des edeln dentschen Volkes<lb/> verschlechtert zu haben. Die eine der drei Grundeigenschaften<lb/> der alten Germanen, die Tapferkeit, hat nnn in den ersten sech¬<lb/> zehn Jahrhunderten der christlichen Zeit entschieden keine Einbuße erlitten, und<lb/> was die andern beiden: die Keuschheit und die Wahrhaftigkeit anlangt, so hat<lb/> selbst Felix Dcihn, dieser begeisterte Anwalt des unverfälschten Deutschtums,<lb/> nicht umhin gekonnt, die heute gehegten ein wenig sentimentalen Idealvor¬<lb/> stellungen vom urgermanischen Wesen als falsch zu bezeichnen. Wir wollen<lb/> nnr eine Stelle aus der zweiten Hälfte des ersten Teiles seiner deutschen<lb/> Geschichte anführen. „Gerade das ist das Große an dem politischen und<lb/> kriegerischen Auftreten Chlodovechs, daß er deu tief strömenden Zug der Zeit,<lb/> das Bedürfnis, die Reife zur Zentralisirung wenigstens seiner Franken und<lb/> der Germanen in Gallien erkannte, und daß er, getragen von diesem Strome<lb/> der Zeit, mit aller Leidenschaft, mit Heldenmut und mit altheidnischer Kampfes¬<lb/> freude jenes Ziel verfolgte: freilich auch mit List und mit zahlreichen großen,<lb/> brutalen, man möchte sagen naiven Frevelthaten, in denen noch die Naivität<lb/> des zugleich tückischen und derb gewaltthätigen Barbaren spürbar ist. Ans<lb/> römischen Einfluß ist dieses brutale Todschlagen und arglistige Morden nicht<lb/> zurückzuführen; römisches Blut in Chlodovech ist rein durch gar nichts bezeugt;<lb/> als Wiedervergeltung gegen römische Frevel darf man jene Thaten auch nicht<lb/> entschuldige», denu nicht gegen Römer — gegen seine germanischen Vettern<lb/> und Mitkönige hat er jene Frevel geübt; und endlich wollen wir uns doch<lb/> hüten vor der sehr Widergeschichtlichen, sentimentalen, durch und durch un¬<lb/> wahren Schwärmerei für die ausnahmslose Treue und Redlichkeit der alten<lb/> Germanen: im Eingang unsrer Geschichte steht jene Teutoburger That, deren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0408]
Die geschichtlichen Erinnerungen, die uns bei Betrachtung der Sprachgrenze
in Lothringen beschäftigt haben, erwecken auch das Andenken an die uralte
Formel, womit der adliche Assisenhvf in Nnncy Sache», die uoch nicht spruch¬
reif schienen, zu spätrer Erledigung vertagte: (1v c>ni in; «0 l'u,it, tora.
Geschichtsphilosophische Gedanken
^. Die Reformation und die Freiheit
s fehlt in unsrer Zeit des nationalen Aufschwunges nicht an
Patrioten, die das Christentum oder wenigstens die römische
Kirche beschuldigen, den Charakter des edeln dentschen Volkes
verschlechtert zu haben. Die eine der drei Grundeigenschaften
der alten Germanen, die Tapferkeit, hat nnn in den ersten sech¬
zehn Jahrhunderten der christlichen Zeit entschieden keine Einbuße erlitten, und
was die andern beiden: die Keuschheit und die Wahrhaftigkeit anlangt, so hat
selbst Felix Dcihn, dieser begeisterte Anwalt des unverfälschten Deutschtums,
nicht umhin gekonnt, die heute gehegten ein wenig sentimentalen Idealvor¬
stellungen vom urgermanischen Wesen als falsch zu bezeichnen. Wir wollen
nnr eine Stelle aus der zweiten Hälfte des ersten Teiles seiner deutschen
Geschichte anführen. „Gerade das ist das Große an dem politischen und
kriegerischen Auftreten Chlodovechs, daß er deu tief strömenden Zug der Zeit,
das Bedürfnis, die Reife zur Zentralisirung wenigstens seiner Franken und
der Germanen in Gallien erkannte, und daß er, getragen von diesem Strome
der Zeit, mit aller Leidenschaft, mit Heldenmut und mit altheidnischer Kampfes¬
freude jenes Ziel verfolgte: freilich auch mit List und mit zahlreichen großen,
brutalen, man möchte sagen naiven Frevelthaten, in denen noch die Naivität
des zugleich tückischen und derb gewaltthätigen Barbaren spürbar ist. Ans
römischen Einfluß ist dieses brutale Todschlagen und arglistige Morden nicht
zurückzuführen; römisches Blut in Chlodovech ist rein durch gar nichts bezeugt;
als Wiedervergeltung gegen römische Frevel darf man jene Thaten auch nicht
entschuldige», denu nicht gegen Römer — gegen seine germanischen Vettern
und Mitkönige hat er jene Frevel geübt; und endlich wollen wir uns doch
hüten vor der sehr Widergeschichtlichen, sentimentalen, durch und durch un¬
wahren Schwärmerei für die ausnahmslose Treue und Redlichkeit der alten
Germanen: im Eingang unsrer Geschichte steht jene Teutoburger That, deren
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