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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Frauenarbeit und Kinderschutz

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MUß?n der Zeit, wo das Prinzip des 1tU88M' tairö herrschte, erreichte
in den Fabrikdistrikten infolge des Umstandes, daß die ver¬
heirateten Arbeiterinnen unter einer übermäßig langen Arbeits¬
zeit zu leiden hatten und die Wöchnerinnen ohne besondern
Schutz waren, die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebens¬
jahre eine erschreckende Höhe. Sie stieg in manchen Industrieorten bis auf
fünfzig Prozent. Eine Besserung trat da ein, wo humane Arbeitgeber aus
freien Stücken die Arbeitszeit der Arbeiterinnen beschränkten, und eine kleine
Besserung zeigte sich auch, als man anfing, den Wöchnerinnen gesetzlichen
Schutz angedeihen zu lassen. Dieser Schutz ist im deutschen Reiche neuer¬
dings wesentlich erhöht worden; denn die Gewerbeordnungsnovelle vom
1. Juni dieses Jahres bestimmt, daß Wöchnerinnen vier Wochen lang nach
ihrer Niederkunft überhaupt nicht und in den folgenden zwei Wochen nur
beschäftigt werden dürfen, wenn es das Zeugnis eines approbirten Arztes
für zulässig erklärt. Dagegen hat man sich nicht entschließen können, die
Maximalarbeitszeit wenigstens für die verheirateten Frauen oder die Frauen,
die einen Haushalt zu besorgen haben, von elf auf zehn Stunden herabzu¬
setzen. Der preußische Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Ber-
lepsch, bedauerte in der Neichstagssitzung vom 18. April dieses Jahres, einem
darauf bezügliche" Antrage widersprechen zu müssen. "Dies Bedauern -- sagte
er -- ist um so lebhafter, weil ich namens der verbündeten Regierungen an¬
erkennen muß, daß es in der That eine der Hauptaufgaben unsrer Gesetz¬
gebung sein muß, das Schicksal der Frau so zu gestalten, daß sie ihren
Pflichten als Hausfrau, als Mutter, als Gattin, als Erzieherin ihrer Kinder
nachkommen kann; und das ist in der That nur dann möglich, wenn die
Arbeitszeit auf ein Maximum beschränkt wird, das ihr die Erfüllung ihrer


Grenzboten III 18V1 49


Frauenarbeit und Kinderschutz

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MUß?n der Zeit, wo das Prinzip des 1tU88M' tairö herrschte, erreichte
in den Fabrikdistrikten infolge des Umstandes, daß die ver¬
heirateten Arbeiterinnen unter einer übermäßig langen Arbeits¬
zeit zu leiden hatten und die Wöchnerinnen ohne besondern
Schutz waren, die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebens¬
jahre eine erschreckende Höhe. Sie stieg in manchen Industrieorten bis auf
fünfzig Prozent. Eine Besserung trat da ein, wo humane Arbeitgeber aus
freien Stücken die Arbeitszeit der Arbeiterinnen beschränkten, und eine kleine
Besserung zeigte sich auch, als man anfing, den Wöchnerinnen gesetzlichen
Schutz angedeihen zu lassen. Dieser Schutz ist im deutschen Reiche neuer¬
dings wesentlich erhöht worden; denn die Gewerbeordnungsnovelle vom
1. Juni dieses Jahres bestimmt, daß Wöchnerinnen vier Wochen lang nach
ihrer Niederkunft überhaupt nicht und in den folgenden zwei Wochen nur
beschäftigt werden dürfen, wenn es das Zeugnis eines approbirten Arztes
für zulässig erklärt. Dagegen hat man sich nicht entschließen können, die
Maximalarbeitszeit wenigstens für die verheirateten Frauen oder die Frauen,
die einen Haushalt zu besorgen haben, von elf auf zehn Stunden herabzu¬
setzen. Der preußische Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Ber-
lepsch, bedauerte in der Neichstagssitzung vom 18. April dieses Jahres, einem
darauf bezügliche» Antrage widersprechen zu müssen. „Dies Bedauern — sagte
er — ist um so lebhafter, weil ich namens der verbündeten Regierungen an¬
erkennen muß, daß es in der That eine der Hauptaufgaben unsrer Gesetz¬
gebung sein muß, das Schicksal der Frau so zu gestalten, daß sie ihren
Pflichten als Hausfrau, als Mutter, als Gattin, als Erzieherin ihrer Kinder
nachkommen kann; und das ist in der That nur dann möglich, wenn die
Arbeitszeit auf ein Maximum beschränkt wird, das ihr die Erfüllung ihrer


Grenzboten III 18V1 49
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[0393] [Abbildung] Frauenarbeit und Kinderschutz MZ^Ä MUß?n der Zeit, wo das Prinzip des 1tU88M' tairö herrschte, erreichte in den Fabrikdistrikten infolge des Umstandes, daß die ver¬ heirateten Arbeiterinnen unter einer übermäßig langen Arbeits¬ zeit zu leiden hatten und die Wöchnerinnen ohne besondern Schutz waren, die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebens¬ jahre eine erschreckende Höhe. Sie stieg in manchen Industrieorten bis auf fünfzig Prozent. Eine Besserung trat da ein, wo humane Arbeitgeber aus freien Stücken die Arbeitszeit der Arbeiterinnen beschränkten, und eine kleine Besserung zeigte sich auch, als man anfing, den Wöchnerinnen gesetzlichen Schutz angedeihen zu lassen. Dieser Schutz ist im deutschen Reiche neuer¬ dings wesentlich erhöht worden; denn die Gewerbeordnungsnovelle vom 1. Juni dieses Jahres bestimmt, daß Wöchnerinnen vier Wochen lang nach ihrer Niederkunft überhaupt nicht und in den folgenden zwei Wochen nur beschäftigt werden dürfen, wenn es das Zeugnis eines approbirten Arztes für zulässig erklärt. Dagegen hat man sich nicht entschließen können, die Maximalarbeitszeit wenigstens für die verheirateten Frauen oder die Frauen, die einen Haushalt zu besorgen haben, von elf auf zehn Stunden herabzu¬ setzen. Der preußische Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Ber- lepsch, bedauerte in der Neichstagssitzung vom 18. April dieses Jahres, einem darauf bezügliche» Antrage widersprechen zu müssen. „Dies Bedauern — sagte er — ist um so lebhafter, weil ich namens der verbündeten Regierungen an¬ erkennen muß, daß es in der That eine der Hauptaufgaben unsrer Gesetz¬ gebung sein muß, das Schicksal der Frau so zu gestalten, daß sie ihren Pflichten als Hausfrau, als Mutter, als Gattin, als Erzieherin ihrer Kinder nachkommen kann; und das ist in der That nur dann möglich, wenn die Arbeitszeit auf ein Maximum beschränkt wird, das ihr die Erfüllung ihrer Grenzboten III 18V1 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/393>, abgerufen am 13.11.2024.