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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

früheren Jahrhunderten unter den Völkern als eine Auszeichnung galt, nach
fränkischem Rechte zu leben (nmAiüüvuin turn naditum mein- Muts", ^rMvoruin
M löAidus), so verschaffte sich an der Sprachgrenze auch die französische
Sprache die Geltung, die der führenden Rolle des französischen Volkes und
seiner Könige entsprach. Dabei ist auch an das Monopol der Hochschule in
Paris und an deren Einfluß auf die Bildung der Geistlichkeit des Bistums
Metz zu denken, an den reichen Besitz im Lande, der französischen Klöstern,
wie der Abtei Se. Denis u. s. w. gehörte. Etwa um das Jahr 1050 klagte
der Abt Siegfried von Gorze bei Metz über das Überhandnehmen der leicht¬
fertigen französischen Trachten, und er ereifert sich über den Verfall vater¬
ländischen Wesens, über die Neuerungen, deren Einführung zur Zeit der
Ottonen und der Heinriche nicht würden geduldet worden sein. Um 1200
aber mochte das Volk an der Mosel die Erinnerung an jene Zeiten wohl
schon verloren haben und sich den geistigen Einflüssen des Nachbarvolkes, das
seine Sprache sprach, um so widerstandsloser hingeben.

Wir können kaum daran zweifeln, daß in Metz und Umgegend niemals
die deutsche Sprache die Volkssprache gewesen ist, und daß die deutsche Sprache
durch die immer mehr sich lockernden Beziehungen zum Reiche in Verfall ge-
rieth und nur dnrch eine lebhafte deutsche Einwanderung sich nebenbei erhalten
hat. Wenn z. V. Metz, wo schon am Beginn des dreizehnten Jahrhunderts
die französische Sprache die vorherrschende und die Amtssprache war, ursprüng¬
lich deutsch gewesen sein sollte, so müßten wir geradezu annehmen, daß eine
rein deutsche Bevölkerung unter deutscher Herrschaft aus Ehrfurcht für eine
benachbarte fremde Macht dessen Sprache angenommen habe, und warum sollte
damals diese Bewegung an der Nied und an der senke Halt gemacht haben,
da doch die Grenzen des Bistums Metz viel weiter nach Osten reichten? Die
Stadt Metz lag um 1200, wie von altersher, im französischen Sprachgebiete,
aber nahe der Sprachgrenze, und das Bistum umfaßte damals wie heute
romanisches und deutsches Volk.

sprachlich geschieden war das Volk, das den Bischöfen von Metz und
den Herzogen von Lothringen unterthänig war, von alten Zeiten her, aber
es war nicht doppelsprachig. Stadt und Bistum Metz hielten ihre Gerichts¬
tage in weltlichen oder geistlichen Händeln zwischen den Leuten des x^ys
rourng-w und des xg^s wclosciuö an der Sprachgrenze, auf der Brücke
in Luttingen, wenn Luxemburger, in Solgne, wenn Lothringer, auf der
Niedbrücke bei Kürzel, wenn die deutschen Westlicher beteiligt waren. So
müssen wir uns auch die Worte des Dichters Gulielmus erklären, der in
seiner "Philippide," worin er die Schlacht zwischen König Philipp August
von Frankreich und Kaiser Otto IV. bei Bouvines in Flandern (1214) besang,
die Lothringer dilinZugs nennt <Moitg,t ox iüig. I^MmrinAos xarts MinKuvs
Oux . . . (juos inter (ZMos ot I'outonieos sxvoioNi, M tooounäg, nmZis totius


Die Sprachgrenze in Lothringen

früheren Jahrhunderten unter den Völkern als eine Auszeichnung galt, nach
fränkischem Rechte zu leben (nmAiüüvuin turn naditum mein- Muts«, ^rMvoruin
M löAidus), so verschaffte sich an der Sprachgrenze auch die französische
Sprache die Geltung, die der führenden Rolle des französischen Volkes und
seiner Könige entsprach. Dabei ist auch an das Monopol der Hochschule in
Paris und an deren Einfluß auf die Bildung der Geistlichkeit des Bistums
Metz zu denken, an den reichen Besitz im Lande, der französischen Klöstern,
wie der Abtei Se. Denis u. s. w. gehörte. Etwa um das Jahr 1050 klagte
der Abt Siegfried von Gorze bei Metz über das Überhandnehmen der leicht¬
fertigen französischen Trachten, und er ereifert sich über den Verfall vater¬
ländischen Wesens, über die Neuerungen, deren Einführung zur Zeit der
Ottonen und der Heinriche nicht würden geduldet worden sein. Um 1200
aber mochte das Volk an der Mosel die Erinnerung an jene Zeiten wohl
schon verloren haben und sich den geistigen Einflüssen des Nachbarvolkes, das
seine Sprache sprach, um so widerstandsloser hingeben.

Wir können kaum daran zweifeln, daß in Metz und Umgegend niemals
die deutsche Sprache die Volkssprache gewesen ist, und daß die deutsche Sprache
durch die immer mehr sich lockernden Beziehungen zum Reiche in Verfall ge-
rieth und nur dnrch eine lebhafte deutsche Einwanderung sich nebenbei erhalten
hat. Wenn z. V. Metz, wo schon am Beginn des dreizehnten Jahrhunderts
die französische Sprache die vorherrschende und die Amtssprache war, ursprüng¬
lich deutsch gewesen sein sollte, so müßten wir geradezu annehmen, daß eine
rein deutsche Bevölkerung unter deutscher Herrschaft aus Ehrfurcht für eine
benachbarte fremde Macht dessen Sprache angenommen habe, und warum sollte
damals diese Bewegung an der Nied und an der senke Halt gemacht haben,
da doch die Grenzen des Bistums Metz viel weiter nach Osten reichten? Die
Stadt Metz lag um 1200, wie von altersher, im französischen Sprachgebiete,
aber nahe der Sprachgrenze, und das Bistum umfaßte damals wie heute
romanisches und deutsches Volk.

sprachlich geschieden war das Volk, das den Bischöfen von Metz und
den Herzogen von Lothringen unterthänig war, von alten Zeiten her, aber
es war nicht doppelsprachig. Stadt und Bistum Metz hielten ihre Gerichts¬
tage in weltlichen oder geistlichen Händeln zwischen den Leuten des x^ys
rourng-w und des xg^s wclosciuö an der Sprachgrenze, auf der Brücke
in Luttingen, wenn Luxemburger, in Solgne, wenn Lothringer, auf der
Niedbrücke bei Kürzel, wenn die deutschen Westlicher beteiligt waren. So
müssen wir uns auch die Worte des Dichters Gulielmus erklären, der in
seiner „Philippide," worin er die Schlacht zwischen König Philipp August
von Frankreich und Kaiser Otto IV. bei Bouvines in Flandern (1214) besang,
die Lothringer dilinZugs nennt <Moitg,t ox iüig. I^MmrinAos xarts MinKuvs
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[0370] Die Sprachgrenze in Lothringen früheren Jahrhunderten unter den Völkern als eine Auszeichnung galt, nach fränkischem Rechte zu leben (nmAiüüvuin turn naditum mein- Muts«, ^rMvoruin M löAidus), so verschaffte sich an der Sprachgrenze auch die französische Sprache die Geltung, die der führenden Rolle des französischen Volkes und seiner Könige entsprach. Dabei ist auch an das Monopol der Hochschule in Paris und an deren Einfluß auf die Bildung der Geistlichkeit des Bistums Metz zu denken, an den reichen Besitz im Lande, der französischen Klöstern, wie der Abtei Se. Denis u. s. w. gehörte. Etwa um das Jahr 1050 klagte der Abt Siegfried von Gorze bei Metz über das Überhandnehmen der leicht¬ fertigen französischen Trachten, und er ereifert sich über den Verfall vater¬ ländischen Wesens, über die Neuerungen, deren Einführung zur Zeit der Ottonen und der Heinriche nicht würden geduldet worden sein. Um 1200 aber mochte das Volk an der Mosel die Erinnerung an jene Zeiten wohl schon verloren haben und sich den geistigen Einflüssen des Nachbarvolkes, das seine Sprache sprach, um so widerstandsloser hingeben. Wir können kaum daran zweifeln, daß in Metz und Umgegend niemals die deutsche Sprache die Volkssprache gewesen ist, und daß die deutsche Sprache durch die immer mehr sich lockernden Beziehungen zum Reiche in Verfall ge- rieth und nur dnrch eine lebhafte deutsche Einwanderung sich nebenbei erhalten hat. Wenn z. V. Metz, wo schon am Beginn des dreizehnten Jahrhunderts die französische Sprache die vorherrschende und die Amtssprache war, ursprüng¬ lich deutsch gewesen sein sollte, so müßten wir geradezu annehmen, daß eine rein deutsche Bevölkerung unter deutscher Herrschaft aus Ehrfurcht für eine benachbarte fremde Macht dessen Sprache angenommen habe, und warum sollte damals diese Bewegung an der Nied und an der senke Halt gemacht haben, da doch die Grenzen des Bistums Metz viel weiter nach Osten reichten? Die Stadt Metz lag um 1200, wie von altersher, im französischen Sprachgebiete, aber nahe der Sprachgrenze, und das Bistum umfaßte damals wie heute romanisches und deutsches Volk. sprachlich geschieden war das Volk, das den Bischöfen von Metz und den Herzogen von Lothringen unterthänig war, von alten Zeiten her, aber es war nicht doppelsprachig. Stadt und Bistum Metz hielten ihre Gerichts¬ tage in weltlichen oder geistlichen Händeln zwischen den Leuten des x^ys rourng-w und des xg^s wclosciuö an der Sprachgrenze, auf der Brücke in Luttingen, wenn Luxemburger, in Solgne, wenn Lothringer, auf der Niedbrücke bei Kürzel, wenn die deutschen Westlicher beteiligt waren. So müssen wir uns auch die Worte des Dichters Gulielmus erklären, der in seiner „Philippide," worin er die Schlacht zwischen König Philipp August von Frankreich und Kaiser Otto IV. bei Bouvines in Flandern (1214) besang, die Lothringer dilinZugs nennt <Moitg,t ox iüig. I^MmrinAos xarts MinKuvs Oux . . . (juos inter (ZMos ot I'outonieos sxvoioNi, M tooounäg, nmZis totius

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/370>, abgerufen am 24.07.2024.