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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

geringe Bedeutung beigemessen. Da Pfister die unhaltbaren Fabeln über die
Sprachverhältnisse in Lothringen nicht retten kann, so entschädigt er sich durch
Nachweise über den keltischen oder doch römischen Ursprung einer Reihe von
Ortsnamen, wobei er zu folgendem Schlüsse kommt: I,s Substratum, as 1a
Population iüsasisnnv si l'on ins psrinst oetto sxnression, S8t selticius; u, es
visnx hora so sont ajoutss ass I/illius et ciss 6srinains. II su ^ ses <Zs
lusus xour 1'onoing.8ticius; Iss moins kI1em"mal8 Sö sont suxsrvvsks aux moins
eslticinss; rü^is ils us Iss ont v^s IM sntisrsinsnt äisxara!ers. Was soll
nun aus solchen Ableitungen von Ortsnamen bewiesen werden? Wie oft werden
Namen im Mönchslatein des siebenten oder achten Jahrhunderts für volkstüm¬
liche Bezeichnungen gehalten, während doch die Mühsal und meist auch das
Mißgeschick bei dem Versuche, die Namen schriftgerecht für fremde Laute zu
machen, für jeden Unbefangenen unverkennbar sind. Wie weit dabei der Über¬
eifer irre leiten kann, das mag aus folgendem Beispiel abgenommen werden,
durch das H. Pfister beweisen will, daß Namen lateinischen Ursprungs sich
auch im deutschen Lothringen Sünden. In der Nähe von Se. Avold (Se. Nähert)
liegt ein Dorf, das man an Ort und Stelle Porselt, amtlich Porcelette nennt.
O'sse un äiininutik as xsroils, uns stMs ö, poivs. Pfister hat keine Ahnung
davon, daß dieses Dorf im Jahre 1621 nach Christi Geburt auf einer Wald¬
rodung durch Monseigneur Andro des Poreelets de Maillanne, Bischof von
Toul und Abt von Se. Avold, gegründet worden ist, und daß der Name des
Dorfes an diesen Wohlthäter erinnern sollte. Da kann es uns freilich nicht
mehr wundern, daß Straßburg als urrömischer Name für Frankreich in An¬
spruch genommen wird.

Pfister sagt, Deutschland sei seit 1870 bemüht, die französische Sprache
im Elsaß und in Deutschlothriugen auszurotten, und rühmt als Gegenstück zu
solchen Bestrebungen das großmütige Verhalten Frankreichs; Frankreich habe
zwei Jahrhunderte lang die deutsche Sprache sich selbst überlassen. Daß aber
Deutschland den etwa seit 1852 eingeleiteten und 1867 etwas ermäßigten
Versuchen, eine volkstümliche Sprache zu zerstören, ein Ende bereitet hat, und
daß Frankreich dem Volke eine fremde Sprache aufzwingen wollte, hat Pfister
vergessen. Die Schwäche oder Nachlässigkeit Frankreichs bestand nur darin,
daß zwar die französische Sprache als alleinige Amtssprache und schließlich
auch als Schulsprache eingeführt wurde, daß sich aber Frankreich aus andern
Gründen nie entschließen konnte, den Schulzwang einzuführen. Pfister tröstet
sich und seine Landsleute durch die Zuversicht, daß Elsaß und das deutsche
Lothringen den Meinungen von Ethnographen über die Bildung von Nationa¬
litäten entgegen den Beweis liefern werde, daß die Gemeinschaftlichkeit der
Sprache noch nicht eine Gemeinschaftlichkeit der Gefühle einschließe, und daß
alle Sympathien dieses Landes deutscher Sprache dem alten französischen
Vaterlande gälten. Jedermann wird diesen Wunsch des französischen Patrioten


Die Sprachgrenze in Lothringen

geringe Bedeutung beigemessen. Da Pfister die unhaltbaren Fabeln über die
Sprachverhältnisse in Lothringen nicht retten kann, so entschädigt er sich durch
Nachweise über den keltischen oder doch römischen Ursprung einer Reihe von
Ortsnamen, wobei er zu folgendem Schlüsse kommt: I,s Substratum, as 1a
Population iüsasisnnv si l'on ins psrinst oetto sxnression, S8t selticius; u, es
visnx hora so sont ajoutss ass I/illius et ciss 6srinains. II su ^ ses <Zs
lusus xour 1'onoing.8ticius; Iss moins kI1em»mal8 Sö sont suxsrvvsks aux moins
eslticinss; rü^is ils us Iss ont v^s IM sntisrsinsnt äisxara!ers. Was soll
nun aus solchen Ableitungen von Ortsnamen bewiesen werden? Wie oft werden
Namen im Mönchslatein des siebenten oder achten Jahrhunderts für volkstüm¬
liche Bezeichnungen gehalten, während doch die Mühsal und meist auch das
Mißgeschick bei dem Versuche, die Namen schriftgerecht für fremde Laute zu
machen, für jeden Unbefangenen unverkennbar sind. Wie weit dabei der Über¬
eifer irre leiten kann, das mag aus folgendem Beispiel abgenommen werden,
durch das H. Pfister beweisen will, daß Namen lateinischen Ursprungs sich
auch im deutschen Lothringen Sünden. In der Nähe von Se. Avold (Se. Nähert)
liegt ein Dorf, das man an Ort und Stelle Porselt, amtlich Porcelette nennt.
O'sse un äiininutik as xsroils, uns stMs ö, poivs. Pfister hat keine Ahnung
davon, daß dieses Dorf im Jahre 1621 nach Christi Geburt auf einer Wald¬
rodung durch Monseigneur Andro des Poreelets de Maillanne, Bischof von
Toul und Abt von Se. Avold, gegründet worden ist, und daß der Name des
Dorfes an diesen Wohlthäter erinnern sollte. Da kann es uns freilich nicht
mehr wundern, daß Straßburg als urrömischer Name für Frankreich in An¬
spruch genommen wird.

Pfister sagt, Deutschland sei seit 1870 bemüht, die französische Sprache
im Elsaß und in Deutschlothriugen auszurotten, und rühmt als Gegenstück zu
solchen Bestrebungen das großmütige Verhalten Frankreichs; Frankreich habe
zwei Jahrhunderte lang die deutsche Sprache sich selbst überlassen. Daß aber
Deutschland den etwa seit 1852 eingeleiteten und 1867 etwas ermäßigten
Versuchen, eine volkstümliche Sprache zu zerstören, ein Ende bereitet hat, und
daß Frankreich dem Volke eine fremde Sprache aufzwingen wollte, hat Pfister
vergessen. Die Schwäche oder Nachlässigkeit Frankreichs bestand nur darin,
daß zwar die französische Sprache als alleinige Amtssprache und schließlich
auch als Schulsprache eingeführt wurde, daß sich aber Frankreich aus andern
Gründen nie entschließen konnte, den Schulzwang einzuführen. Pfister tröstet
sich und seine Landsleute durch die Zuversicht, daß Elsaß und das deutsche
Lothringen den Meinungen von Ethnographen über die Bildung von Nationa¬
litäten entgegen den Beweis liefern werde, daß die Gemeinschaftlichkeit der
Sprache noch nicht eine Gemeinschaftlichkeit der Gefühle einschließe, und daß
alle Sympathien dieses Landes deutscher Sprache dem alten französischen
Vaterlande gälten. Jedermann wird diesen Wunsch des französischen Patrioten


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[0366] Die Sprachgrenze in Lothringen geringe Bedeutung beigemessen. Da Pfister die unhaltbaren Fabeln über die Sprachverhältnisse in Lothringen nicht retten kann, so entschädigt er sich durch Nachweise über den keltischen oder doch römischen Ursprung einer Reihe von Ortsnamen, wobei er zu folgendem Schlüsse kommt: I,s Substratum, as 1a Population iüsasisnnv si l'on ins psrinst oetto sxnression, S8t selticius; u, es visnx hora so sont ajoutss ass I/illius et ciss 6srinains. II su ^ ses <Zs lusus xour 1'onoing.8ticius; Iss moins kI1em»mal8 Sö sont suxsrvvsks aux moins eslticinss; rü^is ils us Iss ont v^s IM sntisrsinsnt äisxara!ers. Was soll nun aus solchen Ableitungen von Ortsnamen bewiesen werden? Wie oft werden Namen im Mönchslatein des siebenten oder achten Jahrhunderts für volkstüm¬ liche Bezeichnungen gehalten, während doch die Mühsal und meist auch das Mißgeschick bei dem Versuche, die Namen schriftgerecht für fremde Laute zu machen, für jeden Unbefangenen unverkennbar sind. Wie weit dabei der Über¬ eifer irre leiten kann, das mag aus folgendem Beispiel abgenommen werden, durch das H. Pfister beweisen will, daß Namen lateinischen Ursprungs sich auch im deutschen Lothringen Sünden. In der Nähe von Se. Avold (Se. Nähert) liegt ein Dorf, das man an Ort und Stelle Porselt, amtlich Porcelette nennt. O'sse un äiininutik as xsroils, uns stMs ö, poivs. Pfister hat keine Ahnung davon, daß dieses Dorf im Jahre 1621 nach Christi Geburt auf einer Wald¬ rodung durch Monseigneur Andro des Poreelets de Maillanne, Bischof von Toul und Abt von Se. Avold, gegründet worden ist, und daß der Name des Dorfes an diesen Wohlthäter erinnern sollte. Da kann es uns freilich nicht mehr wundern, daß Straßburg als urrömischer Name für Frankreich in An¬ spruch genommen wird. Pfister sagt, Deutschland sei seit 1870 bemüht, die französische Sprache im Elsaß und in Deutschlothriugen auszurotten, und rühmt als Gegenstück zu solchen Bestrebungen das großmütige Verhalten Frankreichs; Frankreich habe zwei Jahrhunderte lang die deutsche Sprache sich selbst überlassen. Daß aber Deutschland den etwa seit 1852 eingeleiteten und 1867 etwas ermäßigten Versuchen, eine volkstümliche Sprache zu zerstören, ein Ende bereitet hat, und daß Frankreich dem Volke eine fremde Sprache aufzwingen wollte, hat Pfister vergessen. Die Schwäche oder Nachlässigkeit Frankreichs bestand nur darin, daß zwar die französische Sprache als alleinige Amtssprache und schließlich auch als Schulsprache eingeführt wurde, daß sich aber Frankreich aus andern Gründen nie entschließen konnte, den Schulzwang einzuführen. Pfister tröstet sich und seine Landsleute durch die Zuversicht, daß Elsaß und das deutsche Lothringen den Meinungen von Ethnographen über die Bildung von Nationa¬ litäten entgegen den Beweis liefern werde, daß die Gemeinschaftlichkeit der Sprache noch nicht eine Gemeinschaftlichkeit der Gefühle einschließe, und daß alle Sympathien dieses Landes deutscher Sprache dem alten französischen Vaterlande gälten. Jedermann wird diesen Wunsch des französischen Patrioten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/366>, abgerufen am 23.07.2024.