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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

gu, daß die an Ort und Stelle von H. or. Constant This in Straßburg er¬
mittelte Sprachscheide die richtige ist.*) Indem nun H. Pfister -- nach eigner
Meinung oder Beobachtung ^ die trennende Linie feststellt, ist er da, wo er
das Richtige trifft, immer in Übereinstimmung mit Constant This, wo er
aber von This abweicht, bewegt er sich in begreiflichen Irrtümern; von
nennenswerter Bedeutung sind übrigens die Abweichungen überhaupt nicht.
Ein Umstand ist H. Pfister völlig entgangen, die Thatsache nämlich, daß die
Ermittlungen^ von This fast durchweg übereinstimmen mit den schon früher
veröffentlichten amtlichen Erhebungen und deren Nichtigkeit bestätigen; wo sich
aber Verschiedenheiten ergeben, da kommen die Feststellungen von This dem
deutschen Sprachgebiete zu gute. Bedeutend sind aber auch diese Abweichungen
nicht, die von This ermittelte Sprachgrenze wird mit unbedeutenden Aus¬
nahmen also von beiden Seiten anerkannt. Auf deu hinter den Ermittlungen
von This noch zurückstehender amtlichen dentschen Erhebungen beruht aber
das ganze bisherige Verhalten der deutschen Verwaltung bei Einführung der
deutschen Geschäftssprache; auf den von Pfister als richtig anerkannten Er¬
hebungen beruhen also die Maßnahmen, die von Frankreich als eine Ver¬
gewaltigung der frühern Landsleute, als eine Versündigung am Nationalitäts-
prinzip so oft verlästert worden sind.

Dem "Staatsmanne" des Figaro können wir daher, wenn er Franzose
sein sollte, das Zeugnis seines Landsmannes Pfister entgegenhalten, wonach
nur ein kleinerer Teil von Lothringen dem französischen Sprachgebiet ange¬
hört. Wie haben doch die Franzosen ihre Ansprüche auf deutsches Land vor
und nach 1370 so verschieden begründet! Napoleon III., der der Erfinder des
Nationalitätsprinzips war, durch das die Schöpfungen des Wiener Kongresses
zerstört werden sollten, hat Deutschland gegenüber von "natürlichen Grenzen"
und vom "richtigen Niveau der französischen Nationalität" gesprochen; denn
der Besitz von Elsaß und Deutsch-Lothringen, für welche Gebiete er 1869
Schonung der deutscheu Sprache in Schule und Kirche empfohlen hatte, wider¬
sprach ja dem Nationalitätsprinzip ebenso sehr, als die weitern Ansprüche
auf die Rheingrenze; die französische Republik beansprucht aber die Rückgabe
des eroberten Gebietes -- auf Grund des Nationalitätsprinzips! Pfister muß
nun allerdings die Berufung auf die Sprache aufgeben -- dafür leitet er
aber die französischen Ansprüche mit desto größerer Zähigkeit aus der Ab¬
stammung des Volkes zwischen Rhein und Mosel von keltischen Ureinwohnern
und von gallischem und romanischem Nachschübe ab. Die Einwanderung der
deutschen Franken und Alemannen wird zwar nicht geleugnet, aber es wird ihr



*) Const. This, "Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen" (Straßburg,
Heitz, 1889) und "Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsaß" (1888); beide Abhand¬
lungen bilden Heft I und V der "Beiträge zur Laudes- und Volkskunde vou Elsaß-Lothringen."
Die Sprachgrenze in Lothringen

gu, daß die an Ort und Stelle von H. or. Constant This in Straßburg er¬
mittelte Sprachscheide die richtige ist.*) Indem nun H. Pfister — nach eigner
Meinung oder Beobachtung ^ die trennende Linie feststellt, ist er da, wo er
das Richtige trifft, immer in Übereinstimmung mit Constant This, wo er
aber von This abweicht, bewegt er sich in begreiflichen Irrtümern; von
nennenswerter Bedeutung sind übrigens die Abweichungen überhaupt nicht.
Ein Umstand ist H. Pfister völlig entgangen, die Thatsache nämlich, daß die
Ermittlungen^ von This fast durchweg übereinstimmen mit den schon früher
veröffentlichten amtlichen Erhebungen und deren Nichtigkeit bestätigen; wo sich
aber Verschiedenheiten ergeben, da kommen die Feststellungen von This dem
deutschen Sprachgebiete zu gute. Bedeutend sind aber auch diese Abweichungen
nicht, die von This ermittelte Sprachgrenze wird mit unbedeutenden Aus¬
nahmen also von beiden Seiten anerkannt. Auf deu hinter den Ermittlungen
von This noch zurückstehender amtlichen dentschen Erhebungen beruht aber
das ganze bisherige Verhalten der deutschen Verwaltung bei Einführung der
deutschen Geschäftssprache; auf den von Pfister als richtig anerkannten Er¬
hebungen beruhen also die Maßnahmen, die von Frankreich als eine Ver¬
gewaltigung der frühern Landsleute, als eine Versündigung am Nationalitäts-
prinzip so oft verlästert worden sind.

Dem „Staatsmanne" des Figaro können wir daher, wenn er Franzose
sein sollte, das Zeugnis seines Landsmannes Pfister entgegenhalten, wonach
nur ein kleinerer Teil von Lothringen dem französischen Sprachgebiet ange¬
hört. Wie haben doch die Franzosen ihre Ansprüche auf deutsches Land vor
und nach 1370 so verschieden begründet! Napoleon III., der der Erfinder des
Nationalitätsprinzips war, durch das die Schöpfungen des Wiener Kongresses
zerstört werden sollten, hat Deutschland gegenüber von „natürlichen Grenzen"
und vom „richtigen Niveau der französischen Nationalität" gesprochen; denn
der Besitz von Elsaß und Deutsch-Lothringen, für welche Gebiete er 1869
Schonung der deutscheu Sprache in Schule und Kirche empfohlen hatte, wider¬
sprach ja dem Nationalitätsprinzip ebenso sehr, als die weitern Ansprüche
auf die Rheingrenze; die französische Republik beansprucht aber die Rückgabe
des eroberten Gebietes — auf Grund des Nationalitätsprinzips! Pfister muß
nun allerdings die Berufung auf die Sprache aufgeben — dafür leitet er
aber die französischen Ansprüche mit desto größerer Zähigkeit aus der Ab¬
stammung des Volkes zwischen Rhein und Mosel von keltischen Ureinwohnern
und von gallischem und romanischem Nachschübe ab. Die Einwanderung der
deutschen Franken und Alemannen wird zwar nicht geleugnet, aber es wird ihr



*) Const. This, „Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen" (Straßburg,
Heitz, 1889) und „Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsaß" (1888); beide Abhand¬
lungen bilden Heft I und V der „Beiträge zur Laudes- und Volkskunde vou Elsaß-Lothringen."
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[0365] Die Sprachgrenze in Lothringen gu, daß die an Ort und Stelle von H. or. Constant This in Straßburg er¬ mittelte Sprachscheide die richtige ist.*) Indem nun H. Pfister — nach eigner Meinung oder Beobachtung ^ die trennende Linie feststellt, ist er da, wo er das Richtige trifft, immer in Übereinstimmung mit Constant This, wo er aber von This abweicht, bewegt er sich in begreiflichen Irrtümern; von nennenswerter Bedeutung sind übrigens die Abweichungen überhaupt nicht. Ein Umstand ist H. Pfister völlig entgangen, die Thatsache nämlich, daß die Ermittlungen^ von This fast durchweg übereinstimmen mit den schon früher veröffentlichten amtlichen Erhebungen und deren Nichtigkeit bestätigen; wo sich aber Verschiedenheiten ergeben, da kommen die Feststellungen von This dem deutschen Sprachgebiete zu gute. Bedeutend sind aber auch diese Abweichungen nicht, die von This ermittelte Sprachgrenze wird mit unbedeutenden Aus¬ nahmen also von beiden Seiten anerkannt. Auf deu hinter den Ermittlungen von This noch zurückstehender amtlichen dentschen Erhebungen beruht aber das ganze bisherige Verhalten der deutschen Verwaltung bei Einführung der deutschen Geschäftssprache; auf den von Pfister als richtig anerkannten Er¬ hebungen beruhen also die Maßnahmen, die von Frankreich als eine Ver¬ gewaltigung der frühern Landsleute, als eine Versündigung am Nationalitäts- prinzip so oft verlästert worden sind. Dem „Staatsmanne" des Figaro können wir daher, wenn er Franzose sein sollte, das Zeugnis seines Landsmannes Pfister entgegenhalten, wonach nur ein kleinerer Teil von Lothringen dem französischen Sprachgebiet ange¬ hört. Wie haben doch die Franzosen ihre Ansprüche auf deutsches Land vor und nach 1370 so verschieden begründet! Napoleon III., der der Erfinder des Nationalitätsprinzips war, durch das die Schöpfungen des Wiener Kongresses zerstört werden sollten, hat Deutschland gegenüber von „natürlichen Grenzen" und vom „richtigen Niveau der französischen Nationalität" gesprochen; denn der Besitz von Elsaß und Deutsch-Lothringen, für welche Gebiete er 1869 Schonung der deutscheu Sprache in Schule und Kirche empfohlen hatte, wider¬ sprach ja dem Nationalitätsprinzip ebenso sehr, als die weitern Ansprüche auf die Rheingrenze; die französische Republik beansprucht aber die Rückgabe des eroberten Gebietes — auf Grund des Nationalitätsprinzips! Pfister muß nun allerdings die Berufung auf die Sprache aufgeben — dafür leitet er aber die französischen Ansprüche mit desto größerer Zähigkeit aus der Ab¬ stammung des Volkes zwischen Rhein und Mosel von keltischen Ureinwohnern und von gallischem und romanischem Nachschübe ab. Die Einwanderung der deutschen Franken und Alemannen wird zwar nicht geleugnet, aber es wird ihr *) Const. This, „Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen" (Straßburg, Heitz, 1889) und „Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsaß" (1888); beide Abhand¬ lungen bilden Heft I und V der „Beiträge zur Laudes- und Volkskunde vou Elsaß-Lothringen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/365>, abgerufen am 23.07.2024.