Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lhre und der Strafrichter

Auch Binding klagt: "Unser ganzes Ehrenleben ist durchwühlt von dem
großen Gegensatze der Anschauungen in Sitte und Recht darüber, was Ehre
ist und Ehre fordert. Glücklich die Zeiten, worin diese Mächte über die Ehre
eines Sinnes sind." Worin besteht wohl der Zwiespalt? Die Gruud-
nnschauuugen, wie sie diesen Betrachtungen vorangestellt wurden, sind, indem
man die Denkweise ruhiger gereifter Männer von Ehre Hort, nicht wesentlich
andre. Namentlich sind Urteile über rein äußerliche Mängel oder UnVoll¬
kommenheiten oder reine Gefühlskrünkungen auch uach dem strengen Ehrenkodex
an sich keine Beleidigungen. Die Wege beginnen sich erst zu scheiden, indem
an Stelle des für das Recht allein maßgebenden sittlichen Wertes der Persönlich¬
keit ihr gesellschaftlicher Wert gesetzt wird. Diesen nimmt die Sitte -- darin
weit unehrlicher, heuchlerischer als das Recht -- selbst dann noch als vor¬
handen an, wenn der sittliche Wert längst zerstört und nur noch die Zugehörig¬
keit zur guten Gesellschaft, die "Satisfaktionsfähigkeit" übrig geblieben ist.
So gebietet mir die Sitte, dem notorischen Ehebrecher, dem gewohnheitsmäßigen,
aber allezeit pistolenbereiten Ehrabschneider, dem noch nicht entlarvten Falsch¬
spieler in der Gesellschaft mit einem gewissen Grade von Achtung zu begegnen.
Ich muß seiue Verbeugung erwidern, seinen Hnndedrnck mir gefallen lassen,
seine Anrede, wenn ich mir nicht den Anschein geben kann, sie überhört zu
haben, beantworten. Das Recht läßt mich zum Wahrheitsbeweise, die Sitte
nicht, indem sie -- die Sitte! -- über so unbedeutende Unsittlichkeiten wie
einen Ehebruch leicht hinweggeht, oder sie verweigert mir doch, wo sie nicht
organisirte Ehrengerichte besitzt, das Forum, vor dem ich deu Beweis auch der
gesellschaftlichen UnWürdigkeit meines Gegners führen könnte, und zwingt mich
dadurch, mich der Pistole des Abenteurers, des Hochstaplers zu stellen. Man
sieht, daß auf diesem, vielleicht dem düstersten Gebiete des gesellschaftlichen
Lebens, nnr von einer Läuterung und Veredlung der Sitte selbst Wandel
erwartet werden kann. Ihre schönste und eigentlichste Kulturaufgabe erfüllt
die Sitte in der Hochhaltung dessen, "was sich ziemt." Dem Recht sind bloße
Unziemlichkeiten, UnHöflichkeiten, Verstöße gegen die gute Lebensart gleichgiltig.
Die Sitte ist häufig geneigt, sie zu Beleidigungen zu stempeln, namentlich
wenn sie gegen edle Frauen, die bestellten Hüterinnen eben dieser Sitte, be¬
gangen sind. Sie einfach hinzunehmen wäre in jedem Falle tadelnswert.
Dennoch läßt sich auch die Sitte meist an einer Zurückweisung genügen, die
sich je nach der Schwere des Verstoßes von dem leichten Tone des Scherzes
bis zum beredten Schweigen und zur scharfen Rüge steigern kann. Ernsterer
Sühne, und deshalb auch des Rechtsschutzes, wird sie meist entbehren können.
Pflegt doch erst die zu weitgehende Form der Zurückweisung oder die schroffe
Gegenrede auf das Gebiet der eigentlichen Beleidigungen hinüberzuführen.
Wenn freilich die feindselige und zugleich gegen den sittlichen Wert des Gegners
gerichtete Absicht klar zu Tage liegt, ohne daß sie doch zum objektiv ehren-


Die Lhre und der Strafrichter

Auch Binding klagt: „Unser ganzes Ehrenleben ist durchwühlt von dem
großen Gegensatze der Anschauungen in Sitte und Recht darüber, was Ehre
ist und Ehre fordert. Glücklich die Zeiten, worin diese Mächte über die Ehre
eines Sinnes sind." Worin besteht wohl der Zwiespalt? Die Gruud-
nnschauuugen, wie sie diesen Betrachtungen vorangestellt wurden, sind, indem
man die Denkweise ruhiger gereifter Männer von Ehre Hort, nicht wesentlich
andre. Namentlich sind Urteile über rein äußerliche Mängel oder UnVoll¬
kommenheiten oder reine Gefühlskrünkungen auch uach dem strengen Ehrenkodex
an sich keine Beleidigungen. Die Wege beginnen sich erst zu scheiden, indem
an Stelle des für das Recht allein maßgebenden sittlichen Wertes der Persönlich¬
keit ihr gesellschaftlicher Wert gesetzt wird. Diesen nimmt die Sitte — darin
weit unehrlicher, heuchlerischer als das Recht — selbst dann noch als vor¬
handen an, wenn der sittliche Wert längst zerstört und nur noch die Zugehörig¬
keit zur guten Gesellschaft, die „Satisfaktionsfähigkeit" übrig geblieben ist.
So gebietet mir die Sitte, dem notorischen Ehebrecher, dem gewohnheitsmäßigen,
aber allezeit pistolenbereiten Ehrabschneider, dem noch nicht entlarvten Falsch¬
spieler in der Gesellschaft mit einem gewissen Grade von Achtung zu begegnen.
Ich muß seiue Verbeugung erwidern, seinen Hnndedrnck mir gefallen lassen,
seine Anrede, wenn ich mir nicht den Anschein geben kann, sie überhört zu
haben, beantworten. Das Recht läßt mich zum Wahrheitsbeweise, die Sitte
nicht, indem sie — die Sitte! — über so unbedeutende Unsittlichkeiten wie
einen Ehebruch leicht hinweggeht, oder sie verweigert mir doch, wo sie nicht
organisirte Ehrengerichte besitzt, das Forum, vor dem ich deu Beweis auch der
gesellschaftlichen UnWürdigkeit meines Gegners führen könnte, und zwingt mich
dadurch, mich der Pistole des Abenteurers, des Hochstaplers zu stellen. Man
sieht, daß auf diesem, vielleicht dem düstersten Gebiete des gesellschaftlichen
Lebens, nnr von einer Läuterung und Veredlung der Sitte selbst Wandel
erwartet werden kann. Ihre schönste und eigentlichste Kulturaufgabe erfüllt
die Sitte in der Hochhaltung dessen, „was sich ziemt." Dem Recht sind bloße
Unziemlichkeiten, UnHöflichkeiten, Verstöße gegen die gute Lebensart gleichgiltig.
Die Sitte ist häufig geneigt, sie zu Beleidigungen zu stempeln, namentlich
wenn sie gegen edle Frauen, die bestellten Hüterinnen eben dieser Sitte, be¬
gangen sind. Sie einfach hinzunehmen wäre in jedem Falle tadelnswert.
Dennoch läßt sich auch die Sitte meist an einer Zurückweisung genügen, die
sich je nach der Schwere des Verstoßes von dem leichten Tone des Scherzes
bis zum beredten Schweigen und zur scharfen Rüge steigern kann. Ernsterer
Sühne, und deshalb auch des Rechtsschutzes, wird sie meist entbehren können.
Pflegt doch erst die zu weitgehende Form der Zurückweisung oder die schroffe
Gegenrede auf das Gebiet der eigentlichen Beleidigungen hinüberzuführen.
Wenn freilich die feindselige und zugleich gegen den sittlichen Wert des Gegners
gerichtete Absicht klar zu Tage liegt, ohne daß sie doch zum objektiv ehren-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290128"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lhre und der Strafrichter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1028" next="#ID_1029"> Auch Binding klagt: &#x201E;Unser ganzes Ehrenleben ist durchwühlt von dem<lb/>
großen Gegensatze der Anschauungen in Sitte und Recht darüber, was Ehre<lb/>
ist und Ehre fordert. Glücklich die Zeiten, worin diese Mächte über die Ehre<lb/>
eines Sinnes sind." Worin besteht wohl der Zwiespalt? Die Gruud-<lb/>
nnschauuugen, wie sie diesen Betrachtungen vorangestellt wurden, sind, indem<lb/>
man die Denkweise ruhiger gereifter Männer von Ehre Hort, nicht wesentlich<lb/>
andre. Namentlich sind Urteile über rein äußerliche Mängel oder UnVoll¬<lb/>
kommenheiten oder reine Gefühlskrünkungen auch uach dem strengen Ehrenkodex<lb/>
an sich keine Beleidigungen. Die Wege beginnen sich erst zu scheiden, indem<lb/>
an Stelle des für das Recht allein maßgebenden sittlichen Wertes der Persönlich¬<lb/>
keit ihr gesellschaftlicher Wert gesetzt wird. Diesen nimmt die Sitte &#x2014; darin<lb/>
weit unehrlicher, heuchlerischer als das Recht &#x2014; selbst dann noch als vor¬<lb/>
handen an, wenn der sittliche Wert längst zerstört und nur noch die Zugehörig¬<lb/>
keit zur guten Gesellschaft, die &#x201E;Satisfaktionsfähigkeit" übrig geblieben ist.<lb/>
So gebietet mir die Sitte, dem notorischen Ehebrecher, dem gewohnheitsmäßigen,<lb/>
aber allezeit pistolenbereiten Ehrabschneider, dem noch nicht entlarvten Falsch¬<lb/>
spieler in der Gesellschaft mit einem gewissen Grade von Achtung zu begegnen.<lb/>
Ich muß seiue Verbeugung erwidern, seinen Hnndedrnck mir gefallen lassen,<lb/>
seine Anrede, wenn ich mir nicht den Anschein geben kann, sie überhört zu<lb/>
haben, beantworten. Das Recht läßt mich zum Wahrheitsbeweise, die Sitte<lb/>
nicht, indem sie &#x2014; die Sitte! &#x2014; über so unbedeutende Unsittlichkeiten wie<lb/>
einen Ehebruch leicht hinweggeht, oder sie verweigert mir doch, wo sie nicht<lb/>
organisirte Ehrengerichte besitzt, das Forum, vor dem ich deu Beweis auch der<lb/>
gesellschaftlichen UnWürdigkeit meines Gegners führen könnte, und zwingt mich<lb/>
dadurch, mich der Pistole des Abenteurers, des Hochstaplers zu stellen. Man<lb/>
sieht, daß auf diesem, vielleicht dem düstersten Gebiete des gesellschaftlichen<lb/>
Lebens, nnr von einer Läuterung und Veredlung der Sitte selbst Wandel<lb/>
erwartet werden kann. Ihre schönste und eigentlichste Kulturaufgabe erfüllt<lb/>
die Sitte in der Hochhaltung dessen, &#x201E;was sich ziemt." Dem Recht sind bloße<lb/>
Unziemlichkeiten, UnHöflichkeiten, Verstöße gegen die gute Lebensart gleichgiltig.<lb/>
Die Sitte ist häufig geneigt, sie zu Beleidigungen zu stempeln, namentlich<lb/>
wenn sie gegen edle Frauen, die bestellten Hüterinnen eben dieser Sitte, be¬<lb/>
gangen sind. Sie einfach hinzunehmen wäre in jedem Falle tadelnswert.<lb/>
Dennoch läßt sich auch die Sitte meist an einer Zurückweisung genügen, die<lb/>
sich je nach der Schwere des Verstoßes von dem leichten Tone des Scherzes<lb/>
bis zum beredten Schweigen und zur scharfen Rüge steigern kann. Ernsterer<lb/>
Sühne, und deshalb auch des Rechtsschutzes, wird sie meist entbehren können.<lb/>
Pflegt doch erst die zu weitgehende Form der Zurückweisung oder die schroffe<lb/>
Gegenrede auf das Gebiet der eigentlichen Beleidigungen hinüberzuführen.<lb/>
Wenn freilich die feindselige und zugleich gegen den sittlichen Wert des Gegners<lb/>
gerichtete Absicht klar zu Tage liegt, ohne daß sie doch zum objektiv ehren-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Die Lhre und der Strafrichter Auch Binding klagt: „Unser ganzes Ehrenleben ist durchwühlt von dem großen Gegensatze der Anschauungen in Sitte und Recht darüber, was Ehre ist und Ehre fordert. Glücklich die Zeiten, worin diese Mächte über die Ehre eines Sinnes sind." Worin besteht wohl der Zwiespalt? Die Gruud- nnschauuugen, wie sie diesen Betrachtungen vorangestellt wurden, sind, indem man die Denkweise ruhiger gereifter Männer von Ehre Hort, nicht wesentlich andre. Namentlich sind Urteile über rein äußerliche Mängel oder UnVoll¬ kommenheiten oder reine Gefühlskrünkungen auch uach dem strengen Ehrenkodex an sich keine Beleidigungen. Die Wege beginnen sich erst zu scheiden, indem an Stelle des für das Recht allein maßgebenden sittlichen Wertes der Persönlich¬ keit ihr gesellschaftlicher Wert gesetzt wird. Diesen nimmt die Sitte — darin weit unehrlicher, heuchlerischer als das Recht — selbst dann noch als vor¬ handen an, wenn der sittliche Wert längst zerstört und nur noch die Zugehörig¬ keit zur guten Gesellschaft, die „Satisfaktionsfähigkeit" übrig geblieben ist. So gebietet mir die Sitte, dem notorischen Ehebrecher, dem gewohnheitsmäßigen, aber allezeit pistolenbereiten Ehrabschneider, dem noch nicht entlarvten Falsch¬ spieler in der Gesellschaft mit einem gewissen Grade von Achtung zu begegnen. Ich muß seiue Verbeugung erwidern, seinen Hnndedrnck mir gefallen lassen, seine Anrede, wenn ich mir nicht den Anschein geben kann, sie überhört zu haben, beantworten. Das Recht läßt mich zum Wahrheitsbeweise, die Sitte nicht, indem sie — die Sitte! — über so unbedeutende Unsittlichkeiten wie einen Ehebruch leicht hinweggeht, oder sie verweigert mir doch, wo sie nicht organisirte Ehrengerichte besitzt, das Forum, vor dem ich deu Beweis auch der gesellschaftlichen UnWürdigkeit meines Gegners führen könnte, und zwingt mich dadurch, mich der Pistole des Abenteurers, des Hochstaplers zu stellen. Man sieht, daß auf diesem, vielleicht dem düstersten Gebiete des gesellschaftlichen Lebens, nnr von einer Läuterung und Veredlung der Sitte selbst Wandel erwartet werden kann. Ihre schönste und eigentlichste Kulturaufgabe erfüllt die Sitte in der Hochhaltung dessen, „was sich ziemt." Dem Recht sind bloße Unziemlichkeiten, UnHöflichkeiten, Verstöße gegen die gute Lebensart gleichgiltig. Die Sitte ist häufig geneigt, sie zu Beleidigungen zu stempeln, namentlich wenn sie gegen edle Frauen, die bestellten Hüterinnen eben dieser Sitte, be¬ gangen sind. Sie einfach hinzunehmen wäre in jedem Falle tadelnswert. Dennoch läßt sich auch die Sitte meist an einer Zurückweisung genügen, die sich je nach der Schwere des Verstoßes von dem leichten Tone des Scherzes bis zum beredten Schweigen und zur scharfen Rüge steigern kann. Ernsterer Sühne, und deshalb auch des Rechtsschutzes, wird sie meist entbehren können. Pflegt doch erst die zu weitgehende Form der Zurückweisung oder die schroffe Gegenrede auf das Gebiet der eigentlichen Beleidigungen hinüberzuführen. Wenn freilich die feindselige und zugleich gegen den sittlichen Wert des Gegners gerichtete Absicht klar zu Tage liegt, ohne daß sie doch zum objektiv ehren-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/359>, abgerufen am 26.08.2024.