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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Strafcichter

dieser Wille auf der Gegenseite erkannt und empfunden wird. Ebenso wenig,
wie Sachbeschädigung vorliegt, wenn die Dogge des Nachbars im Feuer des
blinden Schusses zusammenbräche, weil sie sich getroffen glaubte.

Es scheint daher mindestens irreführend, wenn nicht geradezu ein Rück¬
schritt, wenn der oberste Gerichtshofs) die Sätze aufstellt: "Innerhalb des
Begriffes der Beleidigung hat die Unterscheidung zwischen objektivem und sub¬
jektivem Thatbestände überhaupt nur eine bedingte Berechtigung und beschränkten
Raum. Der Regel nach entscheidet in erster Reihe Sinn und Absicht (!) des
Sprechenden, ob gewisse Worte den Thatbestand einer Beleidigung objektiv (!)
einschließen oder nicht." Dies würde, auf unser Beispiel der Sachbeschädigung
angewendet, auf dasselbe hinauslaufen, als wenn in erster Reihe das Zielen
auf den fremden Hund entschiede, darauf aber, ob das Gewehr auch geladen
gewesen sei, nur bedingt oder beschränkt etwas ankäme. Eine ähnliche Auf¬
fassung hat, wie Vinding mit Recht hervorhebt, schon im Leben zu einer ma߬
losen Ausdehnung des Beleidigungsbegriffes geführt. "Kann die Beleidigung
Kränkung sein, so dreht die reizbare subjektive Empfindlichkeit den Satz um
und stempelt alles, was ihr weh thut, und noch übertreibender alles, was ihr
nach dem Vorurteil der Genoffen weh thun sollte, zur Beleidigung." Es hieße
"ein besondres Heilverfahren für verletzte Gefühle, eine Art Gefühlsklinik"
einführen, wenn die Rechtsprechung dem nachgeben wollte. Die Heilung würde
überdies unvollständig sein. Es müßten denn auch Gefühlskrünkungen und
Pietätsverletzungcn schwerster Art, die aber mit der Ehre des Angegriffenen
schlechterdings nichts zu thun haben, für Beleidigungen erklärt werden. Wer
würde aber z. B. den Patriotenkaspar, weil er dem Hofschnlzen das Schwert
Caroli Magni versteckt und ihn damit bis ins innerste Herz verwundet, wegen
Beleidigung strafen wollen?

Nein, auch bei den Thaten der Zunge und der Feder, vor allen bei der
Beleidigung muß erst einmal feststehen, daß durch das Geschehene der An¬
spruch des Dritten auf Anerkennung seines persönlichen Wertes nach dem
Maße dieses Wertes auch wirklich beeiutrüchtigt werden konnte und beein¬
trächtigt worden ist, ehe weiter untersucht wird, ob solche Beeinträchtigung
auch im Willen des Angeklagten gelegen hat.

Nichtbeleidigungen, blinde Schliffe, find die gegen natürliche Gaben und
Vorzüge oder Mängel des Nächsten gerichteten Angriffe, da sie seinen sittlichen
Wert und seine hiernach allein sich bemessende Ehre ganz außer dem Spiel
lassen. Zu jemand ins Gesicht zu sagen: "Gnädiges Fräulein schielen und
haben einen Buckel!" oder: "Sie beschränkter Herr!" oder: "Sie unbedeu¬
tender Maler, Dichter, Sänger!" würde zwar, auch wenn alles wahr wäre, sehr
unhöflich, des Mannes von Ehre sehr unwürdig sein, beleidigend wäre es nicht.



*) Entscheidungen des Reichsgerichtes in Strafsachen, Band 18, Seite 144.
Die Ehre und der Strafcichter

dieser Wille auf der Gegenseite erkannt und empfunden wird. Ebenso wenig,
wie Sachbeschädigung vorliegt, wenn die Dogge des Nachbars im Feuer des
blinden Schusses zusammenbräche, weil sie sich getroffen glaubte.

Es scheint daher mindestens irreführend, wenn nicht geradezu ein Rück¬
schritt, wenn der oberste Gerichtshofs) die Sätze aufstellt: „Innerhalb des
Begriffes der Beleidigung hat die Unterscheidung zwischen objektivem und sub¬
jektivem Thatbestände überhaupt nur eine bedingte Berechtigung und beschränkten
Raum. Der Regel nach entscheidet in erster Reihe Sinn und Absicht (!) des
Sprechenden, ob gewisse Worte den Thatbestand einer Beleidigung objektiv (!)
einschließen oder nicht." Dies würde, auf unser Beispiel der Sachbeschädigung
angewendet, auf dasselbe hinauslaufen, als wenn in erster Reihe das Zielen
auf den fremden Hund entschiede, darauf aber, ob das Gewehr auch geladen
gewesen sei, nur bedingt oder beschränkt etwas ankäme. Eine ähnliche Auf¬
fassung hat, wie Vinding mit Recht hervorhebt, schon im Leben zu einer ma߬
losen Ausdehnung des Beleidigungsbegriffes geführt. „Kann die Beleidigung
Kränkung sein, so dreht die reizbare subjektive Empfindlichkeit den Satz um
und stempelt alles, was ihr weh thut, und noch übertreibender alles, was ihr
nach dem Vorurteil der Genoffen weh thun sollte, zur Beleidigung." Es hieße
„ein besondres Heilverfahren für verletzte Gefühle, eine Art Gefühlsklinik"
einführen, wenn die Rechtsprechung dem nachgeben wollte. Die Heilung würde
überdies unvollständig sein. Es müßten denn auch Gefühlskrünkungen und
Pietätsverletzungcn schwerster Art, die aber mit der Ehre des Angegriffenen
schlechterdings nichts zu thun haben, für Beleidigungen erklärt werden. Wer
würde aber z. B. den Patriotenkaspar, weil er dem Hofschnlzen das Schwert
Caroli Magni versteckt und ihn damit bis ins innerste Herz verwundet, wegen
Beleidigung strafen wollen?

Nein, auch bei den Thaten der Zunge und der Feder, vor allen bei der
Beleidigung muß erst einmal feststehen, daß durch das Geschehene der An¬
spruch des Dritten auf Anerkennung seines persönlichen Wertes nach dem
Maße dieses Wertes auch wirklich beeiutrüchtigt werden konnte und beein¬
trächtigt worden ist, ehe weiter untersucht wird, ob solche Beeinträchtigung
auch im Willen des Angeklagten gelegen hat.

Nichtbeleidigungen, blinde Schliffe, find die gegen natürliche Gaben und
Vorzüge oder Mängel des Nächsten gerichteten Angriffe, da sie seinen sittlichen
Wert und seine hiernach allein sich bemessende Ehre ganz außer dem Spiel
lassen. Zu jemand ins Gesicht zu sagen: „Gnädiges Fräulein schielen und
haben einen Buckel!" oder: „Sie beschränkter Herr!" oder: „Sie unbedeu¬
tender Maler, Dichter, Sänger!" würde zwar, auch wenn alles wahr wäre, sehr
unhöflich, des Mannes von Ehre sehr unwürdig sein, beleidigend wäre es nicht.



*) Entscheidungen des Reichsgerichtes in Strafsachen, Band 18, Seite 144.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/352>, abgerufen am 26.08.2024.