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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsch-soziale Bewegung und die konservative
Partei

er den Vorgängen des Parteilebens auch nur einige Aufmerksam¬
keit schenkt, wird leicht erkennen, daß sich die deutsch-soziale oder
antisemitische Partei schon seit geraumer Zeit in aufstrebender
Richtung bewegt. Schon die letzten Reichstagswahlen ergaben
für sie einen nicht unbedeutenden Stimmenzuwachs, und seitdem
ist sie um den verschiedensten Orten mit unzweifelhaftem Erfolg in den Partei¬
kampf getreten. Während sich in den Lagern der übrigen Parteien, die Svzicil-
demokratie nicht ausgeschlossen, eine gewisse Ermattung zeigte, schössen aller¬
orten antisemitische oder deutsch-soziale Wahlvereine wie Pilze ans dem Boden,
hielten Versammlung auf Versammlung ab und begannen unter beständig zu¬
nehmender Beteiligung namentlich des Handwerkerstandes und der untern
Beamten den Kampf nach zwei Richtungen, gegen die "goldne" und gegen die
"rote Internationale," wie sie ihre Feinde bezeichneten. Selbst da, wo man
den Antisemitismus bisher nur dem Namen nach gekannt hatte, wie in Ham¬
burg, trat er urplötzlich auf, und auch hier schien -- nach dem über alles
Erwarten zahlreichen Besuche der antisemitischen Volksversammlungen zu
schließen -- in weiten Kreisen des bürgerlichen Mittelstandes der Boden für
ihn bereitet gewesen zu sein.

Das Verhalten der übrigen bürgerlichen Parteien war gegenüber der
neuen Bewegung fast überall dasselbe. Zunächst wurde behauptet, daß gerade
hier, wegen der und der Verhältnisse, wegen des Verhaltens der Judenschaft
gerade dieses Ortes, das zu irgend welchen Beschwerden keinen Anlaß gebe,
für den Antisemitismus sich keinerlei Aussicht auf Erfolg biete, dann, wenn
die Erfolge der Partei sichtbar wurden, begann die Methode des Totschweigens


Grenzboten III 1891 43


Die deutsch-soziale Bewegung und die konservative
Partei

er den Vorgängen des Parteilebens auch nur einige Aufmerksam¬
keit schenkt, wird leicht erkennen, daß sich die deutsch-soziale oder
antisemitische Partei schon seit geraumer Zeit in aufstrebender
Richtung bewegt. Schon die letzten Reichstagswahlen ergaben
für sie einen nicht unbedeutenden Stimmenzuwachs, und seitdem
ist sie um den verschiedensten Orten mit unzweifelhaftem Erfolg in den Partei¬
kampf getreten. Während sich in den Lagern der übrigen Parteien, die Svzicil-
demokratie nicht ausgeschlossen, eine gewisse Ermattung zeigte, schössen aller¬
orten antisemitische oder deutsch-soziale Wahlvereine wie Pilze ans dem Boden,
hielten Versammlung auf Versammlung ab und begannen unter beständig zu¬
nehmender Beteiligung namentlich des Handwerkerstandes und der untern
Beamten den Kampf nach zwei Richtungen, gegen die „goldne" und gegen die
„rote Internationale," wie sie ihre Feinde bezeichneten. Selbst da, wo man
den Antisemitismus bisher nur dem Namen nach gekannt hatte, wie in Ham¬
burg, trat er urplötzlich auf, und auch hier schien — nach dem über alles
Erwarten zahlreichen Besuche der antisemitischen Volksversammlungen zu
schließen — in weiten Kreisen des bürgerlichen Mittelstandes der Boden für
ihn bereitet gewesen zu sein.

Das Verhalten der übrigen bürgerlichen Parteien war gegenüber der
neuen Bewegung fast überall dasselbe. Zunächst wurde behauptet, daß gerade
hier, wegen der und der Verhältnisse, wegen des Verhaltens der Judenschaft
gerade dieses Ortes, das zu irgend welchen Beschwerden keinen Anlaß gebe,
für den Antisemitismus sich keinerlei Aussicht auf Erfolg biete, dann, wenn
die Erfolge der Partei sichtbar wurden, begann die Methode des Totschweigens


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[0345] [Abbildung] Die deutsch-soziale Bewegung und die konservative Partei er den Vorgängen des Parteilebens auch nur einige Aufmerksam¬ keit schenkt, wird leicht erkennen, daß sich die deutsch-soziale oder antisemitische Partei schon seit geraumer Zeit in aufstrebender Richtung bewegt. Schon die letzten Reichstagswahlen ergaben für sie einen nicht unbedeutenden Stimmenzuwachs, und seitdem ist sie um den verschiedensten Orten mit unzweifelhaftem Erfolg in den Partei¬ kampf getreten. Während sich in den Lagern der übrigen Parteien, die Svzicil- demokratie nicht ausgeschlossen, eine gewisse Ermattung zeigte, schössen aller¬ orten antisemitische oder deutsch-soziale Wahlvereine wie Pilze ans dem Boden, hielten Versammlung auf Versammlung ab und begannen unter beständig zu¬ nehmender Beteiligung namentlich des Handwerkerstandes und der untern Beamten den Kampf nach zwei Richtungen, gegen die „goldne" und gegen die „rote Internationale," wie sie ihre Feinde bezeichneten. Selbst da, wo man den Antisemitismus bisher nur dem Namen nach gekannt hatte, wie in Ham¬ burg, trat er urplötzlich auf, und auch hier schien — nach dem über alles Erwarten zahlreichen Besuche der antisemitischen Volksversammlungen zu schließen — in weiten Kreisen des bürgerlichen Mittelstandes der Boden für ihn bereitet gewesen zu sein. Das Verhalten der übrigen bürgerlichen Parteien war gegenüber der neuen Bewegung fast überall dasselbe. Zunächst wurde behauptet, daß gerade hier, wegen der und der Verhältnisse, wegen des Verhaltens der Judenschaft gerade dieses Ortes, das zu irgend welchen Beschwerden keinen Anlaß gebe, für den Antisemitismus sich keinerlei Aussicht auf Erfolg biete, dann, wenn die Erfolge der Partei sichtbar wurden, begann die Methode des Totschweigens Grenzboten III 1891 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/345>, abgerufen am 13.11.2024.