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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

von vielen Zeitgenossen nicht gewürdigt wurde, sind die Nachtwache u, s. w. ihm
abzusprechen, denn "indem wir Rembrandt fernerhin als den Meister jener Kunst¬
werke betrachten, machen wir die hervorragenden Männer Amsterdams in jener
Zeit zu Gimpeln, welche die Grundideen ihrer Zeit nicht erkannten (nach denen
sie doch handelten), oder -- zu schlechten Charakteren, welche (!) das große Genie,
welches (!) diese Ideen zu künstlerischem Ausdruck brachte, aus Neid herabzudrücken
versuchten." Das ist nicht die Sprache eines Fälschers, sondern eines Menschen,
der rin einer fixen Idee behaftet ist. Wird ihm doch sogar Joachim Sandrart
zu einem ,,vortrefflichen Maler und Schriftsteller," weil diesem der Künstler wider¬
wärtig war, der nicht, wie andre Holländer, nach Italien ging, um ein falscher
Italiener zu werden, und "sich nicht scheute, wider die unsrer Profession höchst-
nötigcn Akademien zu streiten." Sandrart und Rembrandt -- es ist zum Lachen!

Wenn der Verfasser im Vorworte soge: "Meine Ausführungen, welche -- von
Vorurteilen unbeirrt -- die wichtigste Kultur- und Kunstepoche Hollands in völlig
neuem Lichte erscheinen lassen, werden manchem verwunderlich und selbst schmerzlich
sein," so kann man ihm beipflichten, freilich in anderm Sinne, als er meint.
Bedauerlich ist unter anderm, daß er richtige Bemerkungen gegen manche über das
Ziel hinausschießende Verherrlichung Rembrandts durch seine noch größern Über¬
treibungen und seine unglückliche Methode um ihre gute Wirkung bringt.




Litteratur

Joseph und Arvid. Gedichte von Friedrich Dukmeyer. Köthen, Paul Schettlers Erben

Für den Umfang der Verwüstung, die gewisse bedenkliche Vorbilder von
Heinrich Heine und Baudelaire bis zu Tolstoi und Ibsen in jungen Gemütern und
Geistern angerichtet haben, geben die Gedichte von Dukmeyer einen bezeichnenden,
wenn auch nicht erfreulichen Beweis. Das Hanptgedicht "Joseph und Arvid"
verherrlicht zwei moderne Titanen, von denen Arvid im Meere ertrunken ist,
während sich Joseph im Bade die Adern aufgeschnitten hat. Er fühlt sich einsam
"in der Welt des Scheins, der Hohlheit," er hat eine Vision von kommenden
Zeiten, in denen die Arbeitsknechte die Herren vernichten werden, Pest und Cholera
die Schrecken verdoppeln, die Kultur dahinsinkt, die Städte brennen, die Erde
wüster Schauplatz entmenschter Banden ist, die Künste verachtet sind, die Tugend
dem Laster gleichgilt:


Und in dieser Welt der Roheit,
Ohne Sinn für edles Streben,
Ist das Lebe" wert des Lebens?

Leicht möglich, daß die Dinge ein Ende nehmen, wie es der vortreffliche Joseph
in seiner Vision schaut. Aber dem pessimistischen Idealismus, der in diesen Ge¬
dichten so wunderlich nach Ausdruck ringt, darf dann ein guter Teil dieses Endes
aufs Kerbholz gesetzt werden.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

von vielen Zeitgenossen nicht gewürdigt wurde, sind die Nachtwache u, s. w. ihm
abzusprechen, denn „indem wir Rembrandt fernerhin als den Meister jener Kunst¬
werke betrachten, machen wir die hervorragenden Männer Amsterdams in jener
Zeit zu Gimpeln, welche die Grundideen ihrer Zeit nicht erkannten (nach denen
sie doch handelten), oder — zu schlechten Charakteren, welche (!) das große Genie,
welches (!) diese Ideen zu künstlerischem Ausdruck brachte, aus Neid herabzudrücken
versuchten." Das ist nicht die Sprache eines Fälschers, sondern eines Menschen,
der rin einer fixen Idee behaftet ist. Wird ihm doch sogar Joachim Sandrart
zu einem ,,vortrefflichen Maler und Schriftsteller," weil diesem der Künstler wider¬
wärtig war, der nicht, wie andre Holländer, nach Italien ging, um ein falscher
Italiener zu werden, und „sich nicht scheute, wider die unsrer Profession höchst-
nötigcn Akademien zu streiten." Sandrart und Rembrandt — es ist zum Lachen!

Wenn der Verfasser im Vorworte soge: „Meine Ausführungen, welche — von
Vorurteilen unbeirrt — die wichtigste Kultur- und Kunstepoche Hollands in völlig
neuem Lichte erscheinen lassen, werden manchem verwunderlich und selbst schmerzlich
sein," so kann man ihm beipflichten, freilich in anderm Sinne, als er meint.
Bedauerlich ist unter anderm, daß er richtige Bemerkungen gegen manche über das
Ziel hinausschießende Verherrlichung Rembrandts durch seine noch größern Über¬
treibungen und seine unglückliche Methode um ihre gute Wirkung bringt.




Litteratur

Joseph und Arvid. Gedichte von Friedrich Dukmeyer. Köthen, Paul Schettlers Erben

Für den Umfang der Verwüstung, die gewisse bedenkliche Vorbilder von
Heinrich Heine und Baudelaire bis zu Tolstoi und Ibsen in jungen Gemütern und
Geistern angerichtet haben, geben die Gedichte von Dukmeyer einen bezeichnenden,
wenn auch nicht erfreulichen Beweis. Das Hanptgedicht „Joseph und Arvid"
verherrlicht zwei moderne Titanen, von denen Arvid im Meere ertrunken ist,
während sich Joseph im Bade die Adern aufgeschnitten hat. Er fühlt sich einsam
„in der Welt des Scheins, der Hohlheit," er hat eine Vision von kommenden
Zeiten, in denen die Arbeitsknechte die Herren vernichten werden, Pest und Cholera
die Schrecken verdoppeln, die Kultur dahinsinkt, die Städte brennen, die Erde
wüster Schauplatz entmenschter Banden ist, die Künste verachtet sind, die Tugend
dem Laster gleichgilt:


Und in dieser Welt der Roheit,
Ohne Sinn für edles Streben,
Ist das Lebe» wert des Lebens?

Leicht möglich, daß die Dinge ein Ende nehmen, wie es der vortreffliche Joseph
in seiner Vision schaut. Aber dem pessimistischen Idealismus, der in diesen Ge¬
dichten so wunderlich nach Ausdruck ringt, darf dann ein guter Teil dieses Endes
aufs Kerbholz gesetzt werden.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0344] Litteratur von vielen Zeitgenossen nicht gewürdigt wurde, sind die Nachtwache u, s. w. ihm abzusprechen, denn „indem wir Rembrandt fernerhin als den Meister jener Kunst¬ werke betrachten, machen wir die hervorragenden Männer Amsterdams in jener Zeit zu Gimpeln, welche die Grundideen ihrer Zeit nicht erkannten (nach denen sie doch handelten), oder — zu schlechten Charakteren, welche (!) das große Genie, welches (!) diese Ideen zu künstlerischem Ausdruck brachte, aus Neid herabzudrücken versuchten." Das ist nicht die Sprache eines Fälschers, sondern eines Menschen, der rin einer fixen Idee behaftet ist. Wird ihm doch sogar Joachim Sandrart zu einem ,,vortrefflichen Maler und Schriftsteller," weil diesem der Künstler wider¬ wärtig war, der nicht, wie andre Holländer, nach Italien ging, um ein falscher Italiener zu werden, und „sich nicht scheute, wider die unsrer Profession höchst- nötigcn Akademien zu streiten." Sandrart und Rembrandt — es ist zum Lachen! Wenn der Verfasser im Vorworte soge: „Meine Ausführungen, welche — von Vorurteilen unbeirrt — die wichtigste Kultur- und Kunstepoche Hollands in völlig neuem Lichte erscheinen lassen, werden manchem verwunderlich und selbst schmerzlich sein," so kann man ihm beipflichten, freilich in anderm Sinne, als er meint. Bedauerlich ist unter anderm, daß er richtige Bemerkungen gegen manche über das Ziel hinausschießende Verherrlichung Rembrandts durch seine noch größern Über¬ treibungen und seine unglückliche Methode um ihre gute Wirkung bringt. Litteratur Joseph und Arvid. Gedichte von Friedrich Dukmeyer. Köthen, Paul Schettlers Erben Für den Umfang der Verwüstung, die gewisse bedenkliche Vorbilder von Heinrich Heine und Baudelaire bis zu Tolstoi und Ibsen in jungen Gemütern und Geistern angerichtet haben, geben die Gedichte von Dukmeyer einen bezeichnenden, wenn auch nicht erfreulichen Beweis. Das Hanptgedicht „Joseph und Arvid" verherrlicht zwei moderne Titanen, von denen Arvid im Meere ertrunken ist, während sich Joseph im Bade die Adern aufgeschnitten hat. Er fühlt sich einsam „in der Welt des Scheins, der Hohlheit," er hat eine Vision von kommenden Zeiten, in denen die Arbeitsknechte die Herren vernichten werden, Pest und Cholera die Schrecken verdoppeln, die Kultur dahinsinkt, die Städte brennen, die Erde wüster Schauplatz entmenschter Banden ist, die Künste verachtet sind, die Tugend dem Laster gleichgilt: Und in dieser Welt der Roheit, Ohne Sinn für edles Streben, Ist das Lebe» wert des Lebens? Leicht möglich, daß die Dinge ein Ende nehmen, wie es der vortreffliche Joseph in seiner Vision schaut. Aber dem pessimistischen Idealismus, der in diesen Ge¬ dichten so wunderlich nach Ausdruck ringt, darf dann ein guter Teil dieses Endes aufs Kerbholz gesetzt werden. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/344>, abgerufen am 13.11.2024.