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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die internationale Aunstausstellung in Berlin

etwas von ihrem in fast handwerklicher Thätigkeit erworbenen Phlegma zu
ändern vermag.

Wie wenig übrigens die akademische Lehre und Auszeichnung von Künstlern
geachtet wird, die jetzt in Künstlergenossenschaften, in Ausstellnngskomitees und
Richterkollegien das große Wort führen, lehren zahlreiche Vorkommnisse aus der
neuesten Zeit. Der Senat der Berliner Knnstcckademic hat für dieses Jahr auf das
ihm zustehende Recht der Veranstaltung jährlicher Kunstausstellungen verzichtet,
und die Vereinigung freier Künstler, der "Verein Berliner Künstler" hat die
Sache in die Hand genommen, um dem Publikum zu zeigen, daß freie Männer
mehr vermögen als eine akademische Körperschaft, die in ihrer Geschäftsführung
wie in ihrem Urteil von andern Grundsätzen ausgeht. Diese Körperschaft hat
im vorigen Jahre einer Künstlerin für ein mittelmäßiges Bildnis eine kleine
goldne Medaille verliehen. Diese flößte aber der freien Künstlerschaft, die
jetzt das Heft in der Hand hat, nicht den geringsten Respekt ein. Als die
Künstlerin mit einem noch schwächern Porträt vor der diesjährigen Jury er¬
schien, wurde sie trotz des Schutzmittels der akademischen Medaille abgewiesen.

In München wird Fritz von Abbe, der radikalste aller naturalistischen
Neuerer, der neuerdings seine Schilderungen von Vorgängen aus dem Neuen
Testament, seine Porträts und seine Genrebilder aus dem modernen Leben
mit aschgrauem Dunst erfüllt, aus dem die Lokalfarbeu nur in schwer bestimm¬
baren Nuancen ans Licht treten, zum Vorsitzenden der Gesnmtjurh gewählt,
die über die Aufnahme der Kunstwerke zu entscheiden hat und dadurch oft ein
Urteil fällt, das nicht bloß dem aufstrebenden Kunstjünger, der zum ersten¬
male ausstellt, den Weg in die Zukunft verbaut, sondern auch manchem ge¬
reiften Künstler bittre Stunden bereitet. Indem man einen Mann von einer
so scharf ausgesprochenen extremen Richtung, die nichts andres neben sich
duldet und von einer grundsätzlichen Abneigung gegen alles beherrscht wird,
was mit den Akademien, der akademischen Überlieferung und dem akademischen
Unterricht zusammenhängt, zum Vorsitzenden der Gesamtjury wählt, fordert
man die Meinung heraus, daß mit einer solchen Wahl auch entsprechend Farbe
bekannt wird, und diese Meinung ist auch nicht getäuscht worden. Man
braucht nur unter den Abgewiesenen herumznfrageu, und mau wird hören,
daß nicht immer der absolute Wert, sondern allein die "Richtung" der Aus¬
steller die Abweisung erklären könne. Also auch in der freien Künstlerschaft
Münchens eine starke Abneigung gegen die Akademien und den akademischen
Unterricht, dessen Überflüssigkeit allerdings dnrch nichts drastischer bewiesen
werden kann als durch Fritz von Abtes "Kinderstube," deren charakteristisches
Merkmal eine gründliche Verachtung der Regeln der Perspektive ist, die zu
den Unterrichtsgegenständen in den Vorbereitungsklassen der Akademien gehört.

Als Anton von Werner vor siebzehn Jahren auf das Andringen der
freien Künstlerschaft Berlins zum Direktor der dortigen Hochschule für die


Die internationale Aunstausstellung in Berlin

etwas von ihrem in fast handwerklicher Thätigkeit erworbenen Phlegma zu
ändern vermag.

Wie wenig übrigens die akademische Lehre und Auszeichnung von Künstlern
geachtet wird, die jetzt in Künstlergenossenschaften, in Ausstellnngskomitees und
Richterkollegien das große Wort führen, lehren zahlreiche Vorkommnisse aus der
neuesten Zeit. Der Senat der Berliner Knnstcckademic hat für dieses Jahr auf das
ihm zustehende Recht der Veranstaltung jährlicher Kunstausstellungen verzichtet,
und die Vereinigung freier Künstler, der „Verein Berliner Künstler" hat die
Sache in die Hand genommen, um dem Publikum zu zeigen, daß freie Männer
mehr vermögen als eine akademische Körperschaft, die in ihrer Geschäftsführung
wie in ihrem Urteil von andern Grundsätzen ausgeht. Diese Körperschaft hat
im vorigen Jahre einer Künstlerin für ein mittelmäßiges Bildnis eine kleine
goldne Medaille verliehen. Diese flößte aber der freien Künstlerschaft, die
jetzt das Heft in der Hand hat, nicht den geringsten Respekt ein. Als die
Künstlerin mit einem noch schwächern Porträt vor der diesjährigen Jury er¬
schien, wurde sie trotz des Schutzmittels der akademischen Medaille abgewiesen.

In München wird Fritz von Abbe, der radikalste aller naturalistischen
Neuerer, der neuerdings seine Schilderungen von Vorgängen aus dem Neuen
Testament, seine Porträts und seine Genrebilder aus dem modernen Leben
mit aschgrauem Dunst erfüllt, aus dem die Lokalfarbeu nur in schwer bestimm¬
baren Nuancen ans Licht treten, zum Vorsitzenden der Gesnmtjurh gewählt,
die über die Aufnahme der Kunstwerke zu entscheiden hat und dadurch oft ein
Urteil fällt, das nicht bloß dem aufstrebenden Kunstjünger, der zum ersten¬
male ausstellt, den Weg in die Zukunft verbaut, sondern auch manchem ge¬
reiften Künstler bittre Stunden bereitet. Indem man einen Mann von einer
so scharf ausgesprochenen extremen Richtung, die nichts andres neben sich
duldet und von einer grundsätzlichen Abneigung gegen alles beherrscht wird,
was mit den Akademien, der akademischen Überlieferung und dem akademischen
Unterricht zusammenhängt, zum Vorsitzenden der Gesamtjury wählt, fordert
man die Meinung heraus, daß mit einer solchen Wahl auch entsprechend Farbe
bekannt wird, und diese Meinung ist auch nicht getäuscht worden. Man
braucht nur unter den Abgewiesenen herumznfrageu, und mau wird hören,
daß nicht immer der absolute Wert, sondern allein die „Richtung" der Aus¬
steller die Abweisung erklären könne. Also auch in der freien Künstlerschaft
Münchens eine starke Abneigung gegen die Akademien und den akademischen
Unterricht, dessen Überflüssigkeit allerdings dnrch nichts drastischer bewiesen
werden kann als durch Fritz von Abtes „Kinderstube," deren charakteristisches
Merkmal eine gründliche Verachtung der Regeln der Perspektive ist, die zu
den Unterrichtsgegenständen in den Vorbereitungsklassen der Akademien gehört.

Als Anton von Werner vor siebzehn Jahren auf das Andringen der
freien Künstlerschaft Berlins zum Direktor der dortigen Hochschule für die


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[0319] Die internationale Aunstausstellung in Berlin etwas von ihrem in fast handwerklicher Thätigkeit erworbenen Phlegma zu ändern vermag. Wie wenig übrigens die akademische Lehre und Auszeichnung von Künstlern geachtet wird, die jetzt in Künstlergenossenschaften, in Ausstellnngskomitees und Richterkollegien das große Wort führen, lehren zahlreiche Vorkommnisse aus der neuesten Zeit. Der Senat der Berliner Knnstcckademic hat für dieses Jahr auf das ihm zustehende Recht der Veranstaltung jährlicher Kunstausstellungen verzichtet, und die Vereinigung freier Künstler, der „Verein Berliner Künstler" hat die Sache in die Hand genommen, um dem Publikum zu zeigen, daß freie Männer mehr vermögen als eine akademische Körperschaft, die in ihrer Geschäftsführung wie in ihrem Urteil von andern Grundsätzen ausgeht. Diese Körperschaft hat im vorigen Jahre einer Künstlerin für ein mittelmäßiges Bildnis eine kleine goldne Medaille verliehen. Diese flößte aber der freien Künstlerschaft, die jetzt das Heft in der Hand hat, nicht den geringsten Respekt ein. Als die Künstlerin mit einem noch schwächern Porträt vor der diesjährigen Jury er¬ schien, wurde sie trotz des Schutzmittels der akademischen Medaille abgewiesen. In München wird Fritz von Abbe, der radikalste aller naturalistischen Neuerer, der neuerdings seine Schilderungen von Vorgängen aus dem Neuen Testament, seine Porträts und seine Genrebilder aus dem modernen Leben mit aschgrauem Dunst erfüllt, aus dem die Lokalfarbeu nur in schwer bestimm¬ baren Nuancen ans Licht treten, zum Vorsitzenden der Gesnmtjurh gewählt, die über die Aufnahme der Kunstwerke zu entscheiden hat und dadurch oft ein Urteil fällt, das nicht bloß dem aufstrebenden Kunstjünger, der zum ersten¬ male ausstellt, den Weg in die Zukunft verbaut, sondern auch manchem ge¬ reiften Künstler bittre Stunden bereitet. Indem man einen Mann von einer so scharf ausgesprochenen extremen Richtung, die nichts andres neben sich duldet und von einer grundsätzlichen Abneigung gegen alles beherrscht wird, was mit den Akademien, der akademischen Überlieferung und dem akademischen Unterricht zusammenhängt, zum Vorsitzenden der Gesamtjury wählt, fordert man die Meinung heraus, daß mit einer solchen Wahl auch entsprechend Farbe bekannt wird, und diese Meinung ist auch nicht getäuscht worden. Man braucht nur unter den Abgewiesenen herumznfrageu, und mau wird hören, daß nicht immer der absolute Wert, sondern allein die „Richtung" der Aus¬ steller die Abweisung erklären könne. Also auch in der freien Künstlerschaft Münchens eine starke Abneigung gegen die Akademien und den akademischen Unterricht, dessen Überflüssigkeit allerdings dnrch nichts drastischer bewiesen werden kann als durch Fritz von Abtes „Kinderstube," deren charakteristisches Merkmal eine gründliche Verachtung der Regeln der Perspektive ist, die zu den Unterrichtsgegenständen in den Vorbereitungsklassen der Akademien gehört. Als Anton von Werner vor siebzehn Jahren auf das Andringen der freien Künstlerschaft Berlins zum Direktor der dortigen Hochschule für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/319>, abgerufen am 26.08.2024.