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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die internationale Kunstausstellung in Berlin

Jahre 1866 bis 1890 verzeichnet ist; an den großen Ereignissen dieses Viertel¬
jahrhunderts und an vielen ihrer Träger ist er vorübergegangen, ohne sie
besonders zu bedenken, wenigstens nicht in Arbeiten, die er für die Öffentlich¬
keit bestimmt hat. Diese Vernachlässigung, die sich freilich aus der mächtigen
Subjektivität des Künstlers erklärt, den nur das sympathische, das seinem
Wesen und seiner Kunst Entsprechende zur Darstellung reizt, ist umso bedauer¬
licher, als eine Zeichnung, ein Bild Wenzels zugleich eine Kritik bedeutet, eine
Kritik freilich, deren Strenge und Schürfe an Übertreibung grenzt. Zu seiner
Sicherheit in der Charakteristik der von ihm beobachteten Menschen ist Menzel
aber nicht etwa durch bloße Inspiration oder Intuition oder sonst eine Gabe
des Himmels gelangt, sondern durch die unablässige Übung seiner Hand, durch
die stetige Schulung in der halb oder ganz naturgroßen Wiedergabe seiner
Modelle. Aus seinen Studien nach Gipser mit und ohne Beleuchtung, nach
Waffen, Trachten und Ausrüstungsgegenständen, nach Menschen und Dingen
jeglicher Art wissen wir, daß er immer zuerst seine Vorarbeiten in großem
Maßstabe machte, ob er ein Großes oder ein Kleines vorhatte, und aus dieser
Vorübung des Blickes und der Hand erklärt sich die Richtigkeit und Sicherheit
der Wiedergabe der Wirklichkeit in den kleinen Ölgemälden und Gouache¬
malereien, auf denen man in unmittelbarer Nähe nur scheinbar willkürliche
und formlose Farbenflecke sieht, bis sich in einiger Entfernung die Farbenflecke
vom Hintergrunde lösen, Gestalt gewinnen und den unmittelbaren Eindruck
des Lebens widerspiegeln.

Auch von Francesco de Pradilla wissen wir, daß er in derselben Art
sinnt und schafft. Auch für winzige, anscheinend sorglos hingestrichne Figuren
macht er Naturstudien in großem Maßstabe, die er dann für seinen Zweck
zusammenzieht, ohne daß etwas von der Ursprünglichkeit der Auffassung
verloren geht. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß Luis Alvarez, der
auf unsrer Ausstellung die spanische Geschichtsmalerei am wirksamsten vertritt,
in derselben Weise verfährt. Er hat drei Bilder ausgestellt, deren Figuren
von verschiedenartigem Maßstabe sind: auf einem sogenannten Kostümbilde mit
drei Figuren aus der Zeit des französischen Einfalls in Spanien, einem Offi¬
zier und zwei Damen in einem Boudoir, denen der galante Krieger den Hof
macht, etwa in Viertelnaturgröße, auf einer im Einklang mit der Stimmung
etwas dunkel getonten Versammlung von Leidtragenden zu Ehren eines Toten,
der in einem angrenzenden Raume aufgebahrt ist, etwa in Zweidrittel Lebens¬
größe, und auf einem den Felsensitz Philipps II. beim Escorial darstellenden
Geschichtsbilde in überlebensgroßen Maßstabe. In allen drei Größenverhält-
nissen hat er die gleiche Sicherheit der Hand und des Urteils darüber gezeigt,
was bei dem einen notwendig, bei dem andern zulässig und bei dem dritten
überflüssig ist, um überall dieselbe starke Wirkung zu erzielen, die in dem
Beschauer die Illusion der Natur hervorruft, mag der als Einfassung dienende


Die internationale Kunstausstellung in Berlin

Jahre 1866 bis 1890 verzeichnet ist; an den großen Ereignissen dieses Viertel¬
jahrhunderts und an vielen ihrer Träger ist er vorübergegangen, ohne sie
besonders zu bedenken, wenigstens nicht in Arbeiten, die er für die Öffentlich¬
keit bestimmt hat. Diese Vernachlässigung, die sich freilich aus der mächtigen
Subjektivität des Künstlers erklärt, den nur das sympathische, das seinem
Wesen und seiner Kunst Entsprechende zur Darstellung reizt, ist umso bedauer¬
licher, als eine Zeichnung, ein Bild Wenzels zugleich eine Kritik bedeutet, eine
Kritik freilich, deren Strenge und Schürfe an Übertreibung grenzt. Zu seiner
Sicherheit in der Charakteristik der von ihm beobachteten Menschen ist Menzel
aber nicht etwa durch bloße Inspiration oder Intuition oder sonst eine Gabe
des Himmels gelangt, sondern durch die unablässige Übung seiner Hand, durch
die stetige Schulung in der halb oder ganz naturgroßen Wiedergabe seiner
Modelle. Aus seinen Studien nach Gipser mit und ohne Beleuchtung, nach
Waffen, Trachten und Ausrüstungsgegenständen, nach Menschen und Dingen
jeglicher Art wissen wir, daß er immer zuerst seine Vorarbeiten in großem
Maßstabe machte, ob er ein Großes oder ein Kleines vorhatte, und aus dieser
Vorübung des Blickes und der Hand erklärt sich die Richtigkeit und Sicherheit
der Wiedergabe der Wirklichkeit in den kleinen Ölgemälden und Gouache¬
malereien, auf denen man in unmittelbarer Nähe nur scheinbar willkürliche
und formlose Farbenflecke sieht, bis sich in einiger Entfernung die Farbenflecke
vom Hintergrunde lösen, Gestalt gewinnen und den unmittelbaren Eindruck
des Lebens widerspiegeln.

Auch von Francesco de Pradilla wissen wir, daß er in derselben Art
sinnt und schafft. Auch für winzige, anscheinend sorglos hingestrichne Figuren
macht er Naturstudien in großem Maßstabe, die er dann für seinen Zweck
zusammenzieht, ohne daß etwas von der Ursprünglichkeit der Auffassung
verloren geht. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß Luis Alvarez, der
auf unsrer Ausstellung die spanische Geschichtsmalerei am wirksamsten vertritt,
in derselben Weise verfährt. Er hat drei Bilder ausgestellt, deren Figuren
von verschiedenartigem Maßstabe sind: auf einem sogenannten Kostümbilde mit
drei Figuren aus der Zeit des französischen Einfalls in Spanien, einem Offi¬
zier und zwei Damen in einem Boudoir, denen der galante Krieger den Hof
macht, etwa in Viertelnaturgröße, auf einer im Einklang mit der Stimmung
etwas dunkel getonten Versammlung von Leidtragenden zu Ehren eines Toten,
der in einem angrenzenden Raume aufgebahrt ist, etwa in Zweidrittel Lebens¬
größe, und auf einem den Felsensitz Philipps II. beim Escorial darstellenden
Geschichtsbilde in überlebensgroßen Maßstabe. In allen drei Größenverhält-
nissen hat er die gleiche Sicherheit der Hand und des Urteils darüber gezeigt,
was bei dem einen notwendig, bei dem andern zulässig und bei dem dritten
überflüssig ist, um überall dieselbe starke Wirkung zu erzielen, die in dem
Beschauer die Illusion der Natur hervorruft, mag der als Einfassung dienende


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[0317] Die internationale Kunstausstellung in Berlin Jahre 1866 bis 1890 verzeichnet ist; an den großen Ereignissen dieses Viertel¬ jahrhunderts und an vielen ihrer Träger ist er vorübergegangen, ohne sie besonders zu bedenken, wenigstens nicht in Arbeiten, die er für die Öffentlich¬ keit bestimmt hat. Diese Vernachlässigung, die sich freilich aus der mächtigen Subjektivität des Künstlers erklärt, den nur das sympathische, das seinem Wesen und seiner Kunst Entsprechende zur Darstellung reizt, ist umso bedauer¬ licher, als eine Zeichnung, ein Bild Wenzels zugleich eine Kritik bedeutet, eine Kritik freilich, deren Strenge und Schürfe an Übertreibung grenzt. Zu seiner Sicherheit in der Charakteristik der von ihm beobachteten Menschen ist Menzel aber nicht etwa durch bloße Inspiration oder Intuition oder sonst eine Gabe des Himmels gelangt, sondern durch die unablässige Übung seiner Hand, durch die stetige Schulung in der halb oder ganz naturgroßen Wiedergabe seiner Modelle. Aus seinen Studien nach Gipser mit und ohne Beleuchtung, nach Waffen, Trachten und Ausrüstungsgegenständen, nach Menschen und Dingen jeglicher Art wissen wir, daß er immer zuerst seine Vorarbeiten in großem Maßstabe machte, ob er ein Großes oder ein Kleines vorhatte, und aus dieser Vorübung des Blickes und der Hand erklärt sich die Richtigkeit und Sicherheit der Wiedergabe der Wirklichkeit in den kleinen Ölgemälden und Gouache¬ malereien, auf denen man in unmittelbarer Nähe nur scheinbar willkürliche und formlose Farbenflecke sieht, bis sich in einiger Entfernung die Farbenflecke vom Hintergrunde lösen, Gestalt gewinnen und den unmittelbaren Eindruck des Lebens widerspiegeln. Auch von Francesco de Pradilla wissen wir, daß er in derselben Art sinnt und schafft. Auch für winzige, anscheinend sorglos hingestrichne Figuren macht er Naturstudien in großem Maßstabe, die er dann für seinen Zweck zusammenzieht, ohne daß etwas von der Ursprünglichkeit der Auffassung verloren geht. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß Luis Alvarez, der auf unsrer Ausstellung die spanische Geschichtsmalerei am wirksamsten vertritt, in derselben Weise verfährt. Er hat drei Bilder ausgestellt, deren Figuren von verschiedenartigem Maßstabe sind: auf einem sogenannten Kostümbilde mit drei Figuren aus der Zeit des französischen Einfalls in Spanien, einem Offi¬ zier und zwei Damen in einem Boudoir, denen der galante Krieger den Hof macht, etwa in Viertelnaturgröße, auf einer im Einklang mit der Stimmung etwas dunkel getonten Versammlung von Leidtragenden zu Ehren eines Toten, der in einem angrenzenden Raume aufgebahrt ist, etwa in Zweidrittel Lebens¬ größe, und auf einem den Felsensitz Philipps II. beim Escorial darstellenden Geschichtsbilde in überlebensgroßen Maßstabe. In allen drei Größenverhält- nissen hat er die gleiche Sicherheit der Hand und des Urteils darüber gezeigt, was bei dem einen notwendig, bei dem andern zulässig und bei dem dritten überflüssig ist, um überall dieselbe starke Wirkung zu erzielen, die in dem Beschauer die Illusion der Natur hervorruft, mag der als Einfassung dienende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/317>, abgerufen am 26.08.2024.