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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Imsen

mehreren malen mit dem heiligen Ernst der Beichte sein Glaubensbekenntnis
formulirt und ausgesprochen; die beiden Hauptosfenbarungen darunter sind
sein großer Roman "Nirwana" und dann in jüngerer Zeit die "Runensteine."

In "Nirwana" wird dnrch den Vertreter der Jensenschen Kritik das Christen-
tum zunächst vernichtet. In weit ausgedehnten Erörterungen, deren hohe
geistige Spannung jedoch auch keine Sekunde Ermüdung aufkommen läßt,
auf breiter Grundlage philosophischer und theologischer, häufig Straußischer
Sätze, in der Hauptsache aber doch aus eignem, Jensenschen Denken, übrigens
ohne jeglichen Stachel, ohne ein Wort der Härte oder gar des Hohnes, geht
Mathieu Guvrcmd, der abtrünnig gewordene Priester, der langsam ihm ge¬
kommenen Erleuchtung nach, wie keine der Religionen je von einem Gott offenbart
worden sei, sondern das eigne Bedürfnis der menschlichen Kläglichkeit sie er¬
dacht und sie sich zu Unterkunft und Schutz ausgebaut habe, und wie auch
die Anforderung des Glaubens ohne Grübeln nur die feste tragende Mittel¬
säule dieses von Händen errichteten weltüberspannenden Hauses sei. Das
Sein oder Nichtsein der Auferstehung ist auch hier, wie für deu ganzen Jeuseu,
der Angelpunkt, das eine, das große und entsetzliche, auf das alles ankommt.
"Vernichtet brachst du unter dieser schneidendem Erkenntnis zusammen-- hält
Gix'-rant seinem Schüler vor --, denn mit der Unsterblichkeit, die dir geraubt
!worden warj, schien sie jdie Erkenntniss dir auch schon das vergängliche Leben
selbst, das du uoch in dir fühltest, als ein gleichgiltiges Nichts genommen zu
haben.") Und Verzweiflung packte dich mit wahnwitzigen Entschluß, der Marter
deiner Gedanken, dem versengenden Stachel der Wahrheit ein Ende zu machen,
dich freiwillig in das Nichts zu stürzen, ehe es um einen wertlosen Augenblick
später die unablässig über dir schwebende Gigantenfaust nach dir anfreckte."
So sind in diesen letzten Worten die Momente der schrecklichsten Seelenqnal,
mit denen diese offenste Beichte eines von Zweifel, Ringen und krampfhaft
bitterm Zusammenbrechen uuter der Wucht der rastlosem Gedanken durch¬
zitterten Menschenalters in der That auf so manches von der Anfechtung bis
dahin noch verschonte junge und starke Lesergemüt eingestürmt ist, in des
Pfarrers eigne Rede mit aufgenommen. Nun aber will Mathieu Guvraud
auch geben. "Eure Vernunft hat den Himmel droben zerschlagen, euer Herz
baut ihn hier unten wieder auf in der Liebe. Der Mensch ist gut aus der
Hemd der Natur -- die Liebe, das Erbarmen, die Hilfe sei der lohnende Gott
euch." Und dann entwickelt er sein großes Programm des nur auf
Natur und Liebe gestellte" kommunistischen Menschenbundes, in dessen erste
thatsächliche Gemeinde sich das Adelsgeschlecht und die Standesherrschaft der
Hautefort verwandelt. "Du bist ein Mensch, du bist gut," das ist das Wort,



") Wir lasen neulich in der Zeitung von einem jungen Buchhändler, der sich erschossen
hatte, weil ihm die Lektüre medizinischer Bücher die unglückselige Idee beigebracht hatte, er
werde an einem Herzfehler sterben.
Wilhelm Imsen

mehreren malen mit dem heiligen Ernst der Beichte sein Glaubensbekenntnis
formulirt und ausgesprochen; die beiden Hauptosfenbarungen darunter sind
sein großer Roman „Nirwana" und dann in jüngerer Zeit die „Runensteine."

In „Nirwana" wird dnrch den Vertreter der Jensenschen Kritik das Christen-
tum zunächst vernichtet. In weit ausgedehnten Erörterungen, deren hohe
geistige Spannung jedoch auch keine Sekunde Ermüdung aufkommen läßt,
auf breiter Grundlage philosophischer und theologischer, häufig Straußischer
Sätze, in der Hauptsache aber doch aus eignem, Jensenschen Denken, übrigens
ohne jeglichen Stachel, ohne ein Wort der Härte oder gar des Hohnes, geht
Mathieu Guvrcmd, der abtrünnig gewordene Priester, der langsam ihm ge¬
kommenen Erleuchtung nach, wie keine der Religionen je von einem Gott offenbart
worden sei, sondern das eigne Bedürfnis der menschlichen Kläglichkeit sie er¬
dacht und sie sich zu Unterkunft und Schutz ausgebaut habe, und wie auch
die Anforderung des Glaubens ohne Grübeln nur die feste tragende Mittel¬
säule dieses von Händen errichteten weltüberspannenden Hauses sei. Das
Sein oder Nichtsein der Auferstehung ist auch hier, wie für deu ganzen Jeuseu,
der Angelpunkt, das eine, das große und entsetzliche, auf das alles ankommt.
„Vernichtet brachst du unter dieser schneidendem Erkenntnis zusammen— hält
Gix'-rant seinem Schüler vor —, denn mit der Unsterblichkeit, die dir geraubt
!worden warj, schien sie jdie Erkenntniss dir auch schon das vergängliche Leben
selbst, das du uoch in dir fühltest, als ein gleichgiltiges Nichts genommen zu
haben.") Und Verzweiflung packte dich mit wahnwitzigen Entschluß, der Marter
deiner Gedanken, dem versengenden Stachel der Wahrheit ein Ende zu machen,
dich freiwillig in das Nichts zu stürzen, ehe es um einen wertlosen Augenblick
später die unablässig über dir schwebende Gigantenfaust nach dir anfreckte."
So sind in diesen letzten Worten die Momente der schrecklichsten Seelenqnal,
mit denen diese offenste Beichte eines von Zweifel, Ringen und krampfhaft
bitterm Zusammenbrechen uuter der Wucht der rastlosem Gedanken durch¬
zitterten Menschenalters in der That auf so manches von der Anfechtung bis
dahin noch verschonte junge und starke Lesergemüt eingestürmt ist, in des
Pfarrers eigne Rede mit aufgenommen. Nun aber will Mathieu Guvraud
auch geben. „Eure Vernunft hat den Himmel droben zerschlagen, euer Herz
baut ihn hier unten wieder auf in der Liebe. Der Mensch ist gut aus der
Hemd der Natur — die Liebe, das Erbarmen, die Hilfe sei der lohnende Gott
euch." Und dann entwickelt er sein großes Programm des nur auf
Natur und Liebe gestellte« kommunistischen Menschenbundes, in dessen erste
thatsächliche Gemeinde sich das Adelsgeschlecht und die Standesherrschaft der
Hautefort verwandelt. „Du bist ein Mensch, du bist gut," das ist das Wort,



") Wir lasen neulich in der Zeitung von einem jungen Buchhändler, der sich erschossen
hatte, weil ihm die Lektüre medizinischer Bücher die unglückselige Idee beigebracht hatte, er
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/311>, abgerufen am 26.08.2024.