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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Imsen

Stellung einnehmen, als in ihnen allein der helle patriotische Klang, die
Siegesfreude und der Kaiserjubel in jeder Zeile mit der unmittelbarsten mensch¬
lichen Empfindung des Krieges zusammengeflossen sind, und nicht der bloß
von der Heimat ans in mehr allgemeinen Empfindungen den Krieg begleitende
nationale Poet spricht, sondern der selber mit dem Gewehr in Feindesland
stehende deutsche Krieger als Schlachtenkampfer und Sieger, auf dem Marsche
und auf der Wacht, in Humor und Strapazen, Soldatenfrohsinn und Heimweh,
in der jähen Trauer um den Kameraden und im persönlichsten Schauder des
Tötens und dann wieder in der Begeisterung, die alle nur das eine fühlen
läßt, zum echtesten und lebendigsten poetischen Ausdruck aller seiner einzelnen
unmittelbaren Regungen kommt. Zu einem so sieghaft wahren und reinen
Ausdruck, daß es gerade diese im tiefsten Grunde germanisch und antigallisch
empfundene poetische Abklärung des großen Franzosentreibens sertig gebracht
hat, auch voll dem Gegner ästhetisch anerkannt zu werden. So knüpft z. B.
die längere literarhistorische Abhandlung eines Professors in Toulouse über
die deutsche Lhrik des siebziger Krieges im Inclexerläant littorlürg (Paris 1885,
Nummer vom 15. Dezember) an die Namen Lsöidöl, I'reiligrMl et huölauvs audi-gs,
Hui, xourtg-ut, n'arrivöQt xoint ü, 1a tilmtsur als ^önsöu die Schlußworte an:
1/68 Mei'68 Söront, si l'on vont, as g'rauäs xostss iüIsiNÄNÄs; <Zö1ni-ol Wut
simxlömsnt um grauet xoöts. Mir uns hat dieses pointirte Urteil umso größern
Wert, als ihm eine ausführliche und vortreffliche Begründung vorhergeht, die
dem französischen Nationalstolze nicht leichten Herzens abgerungen werden konnte.

Nun bietet Imsen nach zwanzig Jahren eine Gedichtsammlung, betitelt
"Im Vorherbst" (Leipzig, Elischcrs Nachfolger, 1890), dar, die eben jene eigent¬
lichste Quelle für die Kenntnis dieses Dichters als Lyriker und als Mensch
ist, auf die wir uus vorhin beriefen. Es war ein bitteres Unrecht, wenn
dieser ans dem innersten Grunde einer schönheitserfüllten Seele und eines
tiefen und warmen Gemütes langsam hervorgegangene und herangereifte Ge-
dichtband von der Tageskritik einfach und gleichgiltig als ein "neues Buch
von Wilhelm Imsen," "dein beliebten Erzähler" und mit ähnlichen Redens¬
arten unter die lange Reihe seiner sonstigen Bände mit eingeschaltet und damit
abgethan wurde. Denn da Gedichtsammlnugen begreiflicherweise gerade heut¬
zutage noch viel schwerer ihren Weg zum Publikum finden als Erzählungen,
denen schon die tägliche Langeweile gewisser Leserkreise eine treue Stütze ist,
so hätte irgend jemand von den mit Pflichtexemplaren ausgerüsteten Berufs-
kritikeru ernsthaft ans sie hinweisen sollen, umso mehr, als diese Gedichte auch
solchen Leuten eine Freude zu machen geeignet sind, die ohne ganz besondre
Veranlassung überhaupt keine lesen. So viel wir bemerkt haben, ist das
nirgends geschehen. Eine eigentümliche Beleuchtung der Fähigkeiten in der
Kritik, aber auch Illustration zu dem stolzen Zeugnis, das sich der Dichter
vor der Öffentlichkeit ausstellen darf:


Wilhelm Imsen

Stellung einnehmen, als in ihnen allein der helle patriotische Klang, die
Siegesfreude und der Kaiserjubel in jeder Zeile mit der unmittelbarsten mensch¬
lichen Empfindung des Krieges zusammengeflossen sind, und nicht der bloß
von der Heimat ans in mehr allgemeinen Empfindungen den Krieg begleitende
nationale Poet spricht, sondern der selber mit dem Gewehr in Feindesland
stehende deutsche Krieger als Schlachtenkampfer und Sieger, auf dem Marsche
und auf der Wacht, in Humor und Strapazen, Soldatenfrohsinn und Heimweh,
in der jähen Trauer um den Kameraden und im persönlichsten Schauder des
Tötens und dann wieder in der Begeisterung, die alle nur das eine fühlen
läßt, zum echtesten und lebendigsten poetischen Ausdruck aller seiner einzelnen
unmittelbaren Regungen kommt. Zu einem so sieghaft wahren und reinen
Ausdruck, daß es gerade diese im tiefsten Grunde germanisch und antigallisch
empfundene poetische Abklärung des großen Franzosentreibens sertig gebracht
hat, auch voll dem Gegner ästhetisch anerkannt zu werden. So knüpft z. B.
die längere literarhistorische Abhandlung eines Professors in Toulouse über
die deutsche Lhrik des siebziger Krieges im Inclexerläant littorlürg (Paris 1885,
Nummer vom 15. Dezember) an die Namen Lsöidöl, I'reiligrMl et huölauvs audi-gs,
Hui, xourtg-ut, n'arrivöQt xoint ü, 1a tilmtsur als ^önsöu die Schlußworte an:
1/68 Mei'68 Söront, si l'on vont, as g'rauäs xostss iüIsiNÄNÄs; <Zö1ni-ol Wut
simxlömsnt um grauet xoöts. Mir uns hat dieses pointirte Urteil umso größern
Wert, als ihm eine ausführliche und vortreffliche Begründung vorhergeht, die
dem französischen Nationalstolze nicht leichten Herzens abgerungen werden konnte.

Nun bietet Imsen nach zwanzig Jahren eine Gedichtsammlung, betitelt
„Im Vorherbst" (Leipzig, Elischcrs Nachfolger, 1890), dar, die eben jene eigent¬
lichste Quelle für die Kenntnis dieses Dichters als Lyriker und als Mensch
ist, auf die wir uus vorhin beriefen. Es war ein bitteres Unrecht, wenn
dieser ans dem innersten Grunde einer schönheitserfüllten Seele und eines
tiefen und warmen Gemütes langsam hervorgegangene und herangereifte Ge-
dichtband von der Tageskritik einfach und gleichgiltig als ein „neues Buch
von Wilhelm Imsen," „dein beliebten Erzähler" und mit ähnlichen Redens¬
arten unter die lange Reihe seiner sonstigen Bände mit eingeschaltet und damit
abgethan wurde. Denn da Gedichtsammlnugen begreiflicherweise gerade heut¬
zutage noch viel schwerer ihren Weg zum Publikum finden als Erzählungen,
denen schon die tägliche Langeweile gewisser Leserkreise eine treue Stütze ist,
so hätte irgend jemand von den mit Pflichtexemplaren ausgerüsteten Berufs-
kritikeru ernsthaft ans sie hinweisen sollen, umso mehr, als diese Gedichte auch
solchen Leuten eine Freude zu machen geeignet sind, die ohne ganz besondre
Veranlassung überhaupt keine lesen. So viel wir bemerkt haben, ist das
nirgends geschehen. Eine eigentümliche Beleuchtung der Fähigkeiten in der
Kritik, aber auch Illustration zu dem stolzen Zeugnis, das sich der Dichter
vor der Öffentlichkeit ausstellen darf:


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[0308] Wilhelm Imsen Stellung einnehmen, als in ihnen allein der helle patriotische Klang, die Siegesfreude und der Kaiserjubel in jeder Zeile mit der unmittelbarsten mensch¬ lichen Empfindung des Krieges zusammengeflossen sind, und nicht der bloß von der Heimat ans in mehr allgemeinen Empfindungen den Krieg begleitende nationale Poet spricht, sondern der selber mit dem Gewehr in Feindesland stehende deutsche Krieger als Schlachtenkampfer und Sieger, auf dem Marsche und auf der Wacht, in Humor und Strapazen, Soldatenfrohsinn und Heimweh, in der jähen Trauer um den Kameraden und im persönlichsten Schauder des Tötens und dann wieder in der Begeisterung, die alle nur das eine fühlen läßt, zum echtesten und lebendigsten poetischen Ausdruck aller seiner einzelnen unmittelbaren Regungen kommt. Zu einem so sieghaft wahren und reinen Ausdruck, daß es gerade diese im tiefsten Grunde germanisch und antigallisch empfundene poetische Abklärung des großen Franzosentreibens sertig gebracht hat, auch voll dem Gegner ästhetisch anerkannt zu werden. So knüpft z. B. die längere literarhistorische Abhandlung eines Professors in Toulouse über die deutsche Lhrik des siebziger Krieges im Inclexerläant littorlürg (Paris 1885, Nummer vom 15. Dezember) an die Namen Lsöidöl, I'reiligrMl et huölauvs audi-gs, Hui, xourtg-ut, n'arrivöQt xoint ü, 1a tilmtsur als ^önsöu die Schlußworte an: 1/68 Mei'68 Söront, si l'on vont, as g'rauäs xostss iüIsiNÄNÄs; <Zö1ni-ol Wut simxlömsnt um grauet xoöts. Mir uns hat dieses pointirte Urteil umso größern Wert, als ihm eine ausführliche und vortreffliche Begründung vorhergeht, die dem französischen Nationalstolze nicht leichten Herzens abgerungen werden konnte. Nun bietet Imsen nach zwanzig Jahren eine Gedichtsammlung, betitelt „Im Vorherbst" (Leipzig, Elischcrs Nachfolger, 1890), dar, die eben jene eigent¬ lichste Quelle für die Kenntnis dieses Dichters als Lyriker und als Mensch ist, auf die wir uus vorhin beriefen. Es war ein bitteres Unrecht, wenn dieser ans dem innersten Grunde einer schönheitserfüllten Seele und eines tiefen und warmen Gemütes langsam hervorgegangene und herangereifte Ge- dichtband von der Tageskritik einfach und gleichgiltig als ein „neues Buch von Wilhelm Imsen," „dein beliebten Erzähler" und mit ähnlichen Redens¬ arten unter die lange Reihe seiner sonstigen Bände mit eingeschaltet und damit abgethan wurde. Denn da Gedichtsammlnugen begreiflicherweise gerade heut¬ zutage noch viel schwerer ihren Weg zum Publikum finden als Erzählungen, denen schon die tägliche Langeweile gewisser Leserkreise eine treue Stütze ist, so hätte irgend jemand von den mit Pflichtexemplaren ausgerüsteten Berufs- kritikeru ernsthaft ans sie hinweisen sollen, umso mehr, als diese Gedichte auch solchen Leuten eine Freude zu machen geeignet sind, die ohne ganz besondre Veranlassung überhaupt keine lesen. So viel wir bemerkt haben, ist das nirgends geschehen. Eine eigentümliche Beleuchtung der Fähigkeiten in der Kritik, aber auch Illustration zu dem stolzen Zeugnis, das sich der Dichter vor der Öffentlichkeit ausstellen darf:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/308>, abgerufen am 26.08.2024.