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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Perser

Aber was giebt uns das Recht zu solchen Orakeln und zu dem Versuche,
den auf der kräftigen Höhe seines Lebens stehenden Dichter sich selber ab¬
spenstig und für die Weltanschauung der -- Grenzboten, wie mens wohl am
kürzesten und besten ausdrücken kann, in Beschlag zu nehmen? Dies Recht geben
uns zahlreiche, aber minder stark betonte, dieser Anschauung entspringende
Züge in seinen eignen Werken, die umso mehr beweisen, weil sie fast unbe¬
wußt und ganz ungemacht dem ehrlichsten Ingrimm entspringen. Sie decken
ans, daß Imsen die eigentlichen, diametralen Gegensätze seiner eignen Denkart
ganz gut kennt, sie aber in der Hauptsache doch eben links liegen läßt,
um sich lieber und öfter an denjenigen Gegnern zu reiben, die ihm an sich
näher stehen, und mit denen er sich bei minder doktrinärer Stimmung wenn
auch nicht vereinigen, so doch zur gemeinsamen Abwehr gegen den eigentlichen
Feind, die Ideallvsigkeit und "verstandesmäßige" Nüchternheit, verständigen
könnte und würde. Wir sprechen so, weil wir jemand kennen gelernt haben,
in dessen Seele alle echte Schönheit der Welt und alle wahre menschliche Höhe
in ganz reinen Akkorden wiedertönen und sich zu Versen voll Klang und An¬
mut niederschlagen, zu inhaltstiefen Gedichten, die für kein Publikum gedacht
und gemacht, in der Klarheit ihrer Empfindung durch keinerlei Zuthat und
falsche Würze beeinträchtigt sind und ihren harmonischen Frieden durch keinen
Gegenstand des Mißbehagens und des Gegensatzes gestört wissen wollen, die
vielmehr nur des Dichters Eigentum und nur für den Dichter selbst entstanden
sind, und weil dieser jemand der ist, der zwar viel weniger bekannt, aber
doch noch weit tennenswerter ist als jeuer Erzähler: das ist der Lyriker
Jeusen. Hier und nur hier haben wir ihn selbst; von hierher kennen wir
ihn bis in den innersten Kern seiner Seele und durften aus dieser Bekannt¬
schaft heraus und mit gestützt auf die entsprechenden Ansätze in seinen
Romanen und Novellen mit bester Überzeugung das vorhin gesagte aussprechen.

Von hierher kennen wir ihn, nebenbei gesagt, auch als einen der Besten
unter den Deutschen. Übrigens hat er einmal ausgesprochen, er werde des¬
wegen niemals in das italienische Land der Sonne, des blauen Himmels und
der -- deutschen Sehnsucht übersiedeln, weil er nicht leben könne ohne deutsche
Landschaft und deutsche Sprache um sich her. Das ist so tiefrichtig verstanden,
denn auch sein ganzes Schaffen ist so gruuddeutsch, daß ihn die Umgebung
und die Anregungen der Fremde auf die Dauer geradezu stören müßten. Wir
denken da ferner an das mannhafte Wort, das er den deutschen Studenten
von Prag zugerufen hat, und denken besonders an seine "Lieder ans Frank¬
reich," denen, wie wir mit Freuden feststellen können, die Grunowsche Verlags¬
buchhandlung in einer ihrer Anthologien, den "Vaterlandsliedern," zu deren
Zierde und Werterhöhnng einen so breiten Raum eingeräumt hat und damit
zugleich eine lebhaftere Erinnerung hat bewahren helfen, Dichtungen, die in
der Kriegslhrik des großen Jahres insofern eine jeder Vergleichung entrückte


Wilhelm Perser

Aber was giebt uns das Recht zu solchen Orakeln und zu dem Versuche,
den auf der kräftigen Höhe seines Lebens stehenden Dichter sich selber ab¬
spenstig und für die Weltanschauung der — Grenzboten, wie mens wohl am
kürzesten und besten ausdrücken kann, in Beschlag zu nehmen? Dies Recht geben
uns zahlreiche, aber minder stark betonte, dieser Anschauung entspringende
Züge in seinen eignen Werken, die umso mehr beweisen, weil sie fast unbe¬
wußt und ganz ungemacht dem ehrlichsten Ingrimm entspringen. Sie decken
ans, daß Imsen die eigentlichen, diametralen Gegensätze seiner eignen Denkart
ganz gut kennt, sie aber in der Hauptsache doch eben links liegen läßt,
um sich lieber und öfter an denjenigen Gegnern zu reiben, die ihm an sich
näher stehen, und mit denen er sich bei minder doktrinärer Stimmung wenn
auch nicht vereinigen, so doch zur gemeinsamen Abwehr gegen den eigentlichen
Feind, die Ideallvsigkeit und „verstandesmäßige" Nüchternheit, verständigen
könnte und würde. Wir sprechen so, weil wir jemand kennen gelernt haben,
in dessen Seele alle echte Schönheit der Welt und alle wahre menschliche Höhe
in ganz reinen Akkorden wiedertönen und sich zu Versen voll Klang und An¬
mut niederschlagen, zu inhaltstiefen Gedichten, die für kein Publikum gedacht
und gemacht, in der Klarheit ihrer Empfindung durch keinerlei Zuthat und
falsche Würze beeinträchtigt sind und ihren harmonischen Frieden durch keinen
Gegenstand des Mißbehagens und des Gegensatzes gestört wissen wollen, die
vielmehr nur des Dichters Eigentum und nur für den Dichter selbst entstanden
sind, und weil dieser jemand der ist, der zwar viel weniger bekannt, aber
doch noch weit tennenswerter ist als jeuer Erzähler: das ist der Lyriker
Jeusen. Hier und nur hier haben wir ihn selbst; von hierher kennen wir
ihn bis in den innersten Kern seiner Seele und durften aus dieser Bekannt¬
schaft heraus und mit gestützt auf die entsprechenden Ansätze in seinen
Romanen und Novellen mit bester Überzeugung das vorhin gesagte aussprechen.

Von hierher kennen wir ihn, nebenbei gesagt, auch als einen der Besten
unter den Deutschen. Übrigens hat er einmal ausgesprochen, er werde des¬
wegen niemals in das italienische Land der Sonne, des blauen Himmels und
der — deutschen Sehnsucht übersiedeln, weil er nicht leben könne ohne deutsche
Landschaft und deutsche Sprache um sich her. Das ist so tiefrichtig verstanden,
denn auch sein ganzes Schaffen ist so gruuddeutsch, daß ihn die Umgebung
und die Anregungen der Fremde auf die Dauer geradezu stören müßten. Wir
denken da ferner an das mannhafte Wort, das er den deutschen Studenten
von Prag zugerufen hat, und denken besonders an seine „Lieder ans Frank¬
reich," denen, wie wir mit Freuden feststellen können, die Grunowsche Verlags¬
buchhandlung in einer ihrer Anthologien, den „Vaterlandsliedern," zu deren
Zierde und Werterhöhnng einen so breiten Raum eingeräumt hat und damit
zugleich eine lebhaftere Erinnerung hat bewahren helfen, Dichtungen, die in
der Kriegslhrik des großen Jahres insofern eine jeder Vergleichung entrückte


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[0307] Wilhelm Perser Aber was giebt uns das Recht zu solchen Orakeln und zu dem Versuche, den auf der kräftigen Höhe seines Lebens stehenden Dichter sich selber ab¬ spenstig und für die Weltanschauung der — Grenzboten, wie mens wohl am kürzesten und besten ausdrücken kann, in Beschlag zu nehmen? Dies Recht geben uns zahlreiche, aber minder stark betonte, dieser Anschauung entspringende Züge in seinen eignen Werken, die umso mehr beweisen, weil sie fast unbe¬ wußt und ganz ungemacht dem ehrlichsten Ingrimm entspringen. Sie decken ans, daß Imsen die eigentlichen, diametralen Gegensätze seiner eignen Denkart ganz gut kennt, sie aber in der Hauptsache doch eben links liegen läßt, um sich lieber und öfter an denjenigen Gegnern zu reiben, die ihm an sich näher stehen, und mit denen er sich bei minder doktrinärer Stimmung wenn auch nicht vereinigen, so doch zur gemeinsamen Abwehr gegen den eigentlichen Feind, die Ideallvsigkeit und „verstandesmäßige" Nüchternheit, verständigen könnte und würde. Wir sprechen so, weil wir jemand kennen gelernt haben, in dessen Seele alle echte Schönheit der Welt und alle wahre menschliche Höhe in ganz reinen Akkorden wiedertönen und sich zu Versen voll Klang und An¬ mut niederschlagen, zu inhaltstiefen Gedichten, die für kein Publikum gedacht und gemacht, in der Klarheit ihrer Empfindung durch keinerlei Zuthat und falsche Würze beeinträchtigt sind und ihren harmonischen Frieden durch keinen Gegenstand des Mißbehagens und des Gegensatzes gestört wissen wollen, die vielmehr nur des Dichters Eigentum und nur für den Dichter selbst entstanden sind, und weil dieser jemand der ist, der zwar viel weniger bekannt, aber doch noch weit tennenswerter ist als jeuer Erzähler: das ist der Lyriker Jeusen. Hier und nur hier haben wir ihn selbst; von hierher kennen wir ihn bis in den innersten Kern seiner Seele und durften aus dieser Bekannt¬ schaft heraus und mit gestützt auf die entsprechenden Ansätze in seinen Romanen und Novellen mit bester Überzeugung das vorhin gesagte aussprechen. Von hierher kennen wir ihn, nebenbei gesagt, auch als einen der Besten unter den Deutschen. Übrigens hat er einmal ausgesprochen, er werde des¬ wegen niemals in das italienische Land der Sonne, des blauen Himmels und der — deutschen Sehnsucht übersiedeln, weil er nicht leben könne ohne deutsche Landschaft und deutsche Sprache um sich her. Das ist so tiefrichtig verstanden, denn auch sein ganzes Schaffen ist so gruuddeutsch, daß ihn die Umgebung und die Anregungen der Fremde auf die Dauer geradezu stören müßten. Wir denken da ferner an das mannhafte Wort, das er den deutschen Studenten von Prag zugerufen hat, und denken besonders an seine „Lieder ans Frank¬ reich," denen, wie wir mit Freuden feststellen können, die Grunowsche Verlags¬ buchhandlung in einer ihrer Anthologien, den „Vaterlandsliedern," zu deren Zierde und Werterhöhnng einen so breiten Raum eingeräumt hat und damit zugleich eine lebhaftere Erinnerung hat bewahren helfen, Dichtungen, die in der Kriegslhrik des großen Jahres insofern eine jeder Vergleichung entrückte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/307>, abgerufen am 26.08.2024.