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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Imsen

sehr viele und unter ihnen unser Erzähler immer noch nicht wissen Molken --
mehr Mut dazu, sich als fromm und gläubig bespötteln und verdächtigen,
sich, wenn man Royalist der alten Art ist, zu den Feilen und Strebern werfen
zu lassen, sich, wenn man sein gutes Deutschtum bekennt, Chauvinist schimpfen
zu hören, als zu allen Augriffen jener Art, die, wie gesagt, nirgends mehr
ein eigentliches frisches, begeistertes Publikum haben, aber einer Art selbst¬
verständlicher Zustimmung überall sicher siud. Wenn übrigeus irgend jemand
über Beamtenzopf, Kanzleiseelen, Höflingswesen und alles Verwandte die Geißel
aristophanischen Witzes geschwungen, ihnen uuverwindliche Stöße versetzt hat,
so ist es in allererster Linie der "Junker" von Bismarck gewesen.

Die letzten Seitenblicke sollten sich übrigens nicht besonders auf Jeusen
beziehen; er hat sich nie zu den vaterlandslosen Gegnern des Deutschtunis
oder der Monarchie gesellt. Die Sünder, die er aufsucht, um sie niederzu¬
schmettern, wobei er dann gelegentlich als romanschreibender Don Quirvte auf
Windmühlen und nichtsahnende Schafherden einreitet, siud vielmehr vorhin
schon in den seinen Werken entnommenen Hanptthpen festgestellt und abgegrenzt
worden. Er selber paßt gar nicht zu denen, zu deuen er sich um einiger
gemeinschaftlichen Angriffsziele willen stellt. Vor allem ist er ein ganzer
prächtiger Deutscher aus dem allerbesten niederdeutschen Eichenholze und bei
Lichte besehen gar nicht einmal ein eigentlicher Liberaler. Wir wünschten, er
machte einmal ganz und gar reines Haus in sich selber, sichtete Überzeugung
von Vorurteil und Gewöhnung oder Nachahmung, durchbräche den Bann der
Unlogik, der seine Angen kurzsichtig macht und seine Arme lahmt. Wollte
sich dieser sür das Ewiggute, für wahre Schönheit und allen echten Wert
des Lebens glühende Mann entschließen, frei und klar wie in einer neuen
Umgebung in der Welt, wie sie hente ist, um sich zu schauen und dann die
wirklichen Gegensätze zu seiner eignen innern Art bestimmt und scharf ins
Auge zu fasse", so könnten von diesem Meister der packenden Schilderung
geradezu befreiende Thaten in unsrer Litteratur ausgehen, Schöpfungen voll
unbeeinträchtigter innerer Wahrheit, aus einem festen Guß, die wie Spreng¬
granaten in die klägliche Schalden und den platten phantasieloser Egoismus,
in die zur Oberfläche aufgerührte und sich dort behaglich horrende Prosa
und Geschmacklosigkeit des modernen Lebens einschlagen sollten, er könnte ein
mächtiger Rufer werden in dem großen und fröhlichen Streite um die Erhal¬
tung und die Erneuerung unsrer guten alten und tüchtigen Sitte und Art,
der Zeit, da noch die Ideale galten und bestimmten. Aber Imsen ist ein
Dithmarse. Der Friesenfürst Naddod wollte lieber mit seinen Vorfahren in
der Hölle als mit allen Freuden im Himmel wohnen. Und wir fürchten,
Imsen wird bei denen bleiben wollen, die er einst in noch ganz anders ge¬
arteter Zeit als Jüngling verehrt hat. Heinrich Heine ist auch dabei, und
nicht bloß der Heine der Harzreise und des Buches der Lieder.


Wilhelm Imsen

sehr viele und unter ihnen unser Erzähler immer noch nicht wissen Molken —
mehr Mut dazu, sich als fromm und gläubig bespötteln und verdächtigen,
sich, wenn man Royalist der alten Art ist, zu den Feilen und Strebern werfen
zu lassen, sich, wenn man sein gutes Deutschtum bekennt, Chauvinist schimpfen
zu hören, als zu allen Augriffen jener Art, die, wie gesagt, nirgends mehr
ein eigentliches frisches, begeistertes Publikum haben, aber einer Art selbst¬
verständlicher Zustimmung überall sicher siud. Wenn übrigeus irgend jemand
über Beamtenzopf, Kanzleiseelen, Höflingswesen und alles Verwandte die Geißel
aristophanischen Witzes geschwungen, ihnen uuverwindliche Stöße versetzt hat,
so ist es in allererster Linie der „Junker" von Bismarck gewesen.

Die letzten Seitenblicke sollten sich übrigens nicht besonders auf Jeusen
beziehen; er hat sich nie zu den vaterlandslosen Gegnern des Deutschtunis
oder der Monarchie gesellt. Die Sünder, die er aufsucht, um sie niederzu¬
schmettern, wobei er dann gelegentlich als romanschreibender Don Quirvte auf
Windmühlen und nichtsahnende Schafherden einreitet, siud vielmehr vorhin
schon in den seinen Werken entnommenen Hanptthpen festgestellt und abgegrenzt
worden. Er selber paßt gar nicht zu denen, zu deuen er sich um einiger
gemeinschaftlichen Angriffsziele willen stellt. Vor allem ist er ein ganzer
prächtiger Deutscher aus dem allerbesten niederdeutschen Eichenholze und bei
Lichte besehen gar nicht einmal ein eigentlicher Liberaler. Wir wünschten, er
machte einmal ganz und gar reines Haus in sich selber, sichtete Überzeugung
von Vorurteil und Gewöhnung oder Nachahmung, durchbräche den Bann der
Unlogik, der seine Angen kurzsichtig macht und seine Arme lahmt. Wollte
sich dieser sür das Ewiggute, für wahre Schönheit und allen echten Wert
des Lebens glühende Mann entschließen, frei und klar wie in einer neuen
Umgebung in der Welt, wie sie hente ist, um sich zu schauen und dann die
wirklichen Gegensätze zu seiner eignen innern Art bestimmt und scharf ins
Auge zu fasse», so könnten von diesem Meister der packenden Schilderung
geradezu befreiende Thaten in unsrer Litteratur ausgehen, Schöpfungen voll
unbeeinträchtigter innerer Wahrheit, aus einem festen Guß, die wie Spreng¬
granaten in die klägliche Schalden und den platten phantasieloser Egoismus,
in die zur Oberfläche aufgerührte und sich dort behaglich horrende Prosa
und Geschmacklosigkeit des modernen Lebens einschlagen sollten, er könnte ein
mächtiger Rufer werden in dem großen und fröhlichen Streite um die Erhal¬
tung und die Erneuerung unsrer guten alten und tüchtigen Sitte und Art,
der Zeit, da noch die Ideale galten und bestimmten. Aber Imsen ist ein
Dithmarse. Der Friesenfürst Naddod wollte lieber mit seinen Vorfahren in
der Hölle als mit allen Freuden im Himmel wohnen. Und wir fürchten,
Imsen wird bei denen bleiben wollen, die er einst in noch ganz anders ge¬
arteter Zeit als Jüngling verehrt hat. Heinrich Heine ist auch dabei, und
nicht bloß der Heine der Harzreise und des Buches der Lieder.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/306>, abgerufen am 26.08.2024.