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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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allein beständig die überschüssige Bevölkerung der altdeutschen Laude aufnahm,
sondern auch dazu beitrug, daß der durch die herrschaftliche Verwaltung nur
zurückgedrängte, aber noch nicht ertötete Geist der Freiheit und Selbstverwaltung
aufs neue lebendig wurde. Denn den Bauern, die sich in den Slawenlündern
niederließen, wurde von den Herren, die sie beriefen, überall die persönliche
Freiheit und das Recht der Selbstregierung zugestanden; der Grundzins war
die einzige Last, die sie übernahmen. Das scheint dann wieder auf die Bauern
in Altdeutschland zurückgewirkt zu haben. Freilich ereignete sich auch hier
immer noch ähnliches in der innern Kolonisation. Denn es gab da bis ins
zwölfte Jahrhundert noch genug Urwälder, zu deren Rodung von der Grund¬
herrschaft Kolonisten berufen oder dem eignen Gesinde entnommen wurden. Die
Ansiedler bekamen ihre Hufen "zu Waidrecht." Das war eine Art Erbpacht, die
ihnen die persönliche Freiheit ließ oder verschaffte; die Ansiedlergemeinden waren
von der Gewalt des Vogtes (Hoferichters) befreit, durften Gericht und Polizei
selbst verwalten und uuter Umständen auch ihren Schultheißen frei wählen.
"Es ist schwer zu sagen, bemerkt Juana, ob diese Entwicklung, welche die
innere Kolonisation Deutschlands genommen hat, von den Vorgängern beein¬
flußt war, welche in derselben Zeit in der Ostmark und in den Elbgebieten
sich abgespielt haben, oder ob diese die bereits bei der innern Kolonisation
angewendeten Formen übernommen haben. Das aber ist deutlich, daß es im
wesentlichen derselbe Geist ist, welcher aus den Einrichtungen und Vorgängen
dieser dreifachen Kolonisation hervorleuchtet. Das Hufeusystem derselben war
gegenüber dem im innern Deutschland weit verbreiteten Dorfsystem mit ver¬
kosten, im Gemenge liegenden Parzellen und seinem feldgemcinschaftlichen Zwange
an sich schon ein großer Vorteil, der strebsame Wirte in die Reihen der Kolo¬
nisten zu locken vermochte; im Zusammenhange mit den übrigen Zügen dieser
Kolonialverfassung, insbesondre der Gewährung persönlicher Freiheit, der ge¬
meindlichen Selbstverwaltung und Befreiung von der Vogtei stellen die koloni¬
satorischen Gründungen des zwölften Jahrhunderts die vollkommenste Form
autonomer Gemeinden dar, welche überhaupt in dieser Zeit vorkommt. Sie
haben in der That den Geist eines freien, selbstbewußten Bauernvolkes erzeugt
und sind damit für die Entwicklung freier autonomer Dorfmarkgenossenschasten
auch auf allein Kulturboden der deutschen Völkerschaften so maßgebend ge¬
worden, daß ihre Verfassung schon im dreizehnte" Jahrhundert ganz allgemein
als deutsche Sitte, ihr Recht als M touwmczum bezeichnet und sowohl den
französischen als den slawischen Einrichtungen der Gemeinde entgegengesetzt
worden ist."

Und während so die großen Grundherrschaften auf der einen Seite von
neuen Gemeinden freier Bauern durchbrochen wurden, wirkten von der andern
Seite her das Venefizienwesen und das Meieramt als auflösende Kräfte ein.
Sowohl die Lehnsleute wie die Gutsverwalter machten sich allmählich selb-


allein beständig die überschüssige Bevölkerung der altdeutschen Laude aufnahm,
sondern auch dazu beitrug, daß der durch die herrschaftliche Verwaltung nur
zurückgedrängte, aber noch nicht ertötete Geist der Freiheit und Selbstverwaltung
aufs neue lebendig wurde. Denn den Bauern, die sich in den Slawenlündern
niederließen, wurde von den Herren, die sie beriefen, überall die persönliche
Freiheit und das Recht der Selbstregierung zugestanden; der Grundzins war
die einzige Last, die sie übernahmen. Das scheint dann wieder auf die Bauern
in Altdeutschland zurückgewirkt zu haben. Freilich ereignete sich auch hier
immer noch ähnliches in der innern Kolonisation. Denn es gab da bis ins
zwölfte Jahrhundert noch genug Urwälder, zu deren Rodung von der Grund¬
herrschaft Kolonisten berufen oder dem eignen Gesinde entnommen wurden. Die
Ansiedler bekamen ihre Hufen „zu Waidrecht." Das war eine Art Erbpacht, die
ihnen die persönliche Freiheit ließ oder verschaffte; die Ansiedlergemeinden waren
von der Gewalt des Vogtes (Hoferichters) befreit, durften Gericht und Polizei
selbst verwalten und uuter Umständen auch ihren Schultheißen frei wählen.
„Es ist schwer zu sagen, bemerkt Juana, ob diese Entwicklung, welche die
innere Kolonisation Deutschlands genommen hat, von den Vorgängern beein¬
flußt war, welche in derselben Zeit in der Ostmark und in den Elbgebieten
sich abgespielt haben, oder ob diese die bereits bei der innern Kolonisation
angewendeten Formen übernommen haben. Das aber ist deutlich, daß es im
wesentlichen derselbe Geist ist, welcher aus den Einrichtungen und Vorgängen
dieser dreifachen Kolonisation hervorleuchtet. Das Hufeusystem derselben war
gegenüber dem im innern Deutschland weit verbreiteten Dorfsystem mit ver¬
kosten, im Gemenge liegenden Parzellen und seinem feldgemcinschaftlichen Zwange
an sich schon ein großer Vorteil, der strebsame Wirte in die Reihen der Kolo¬
nisten zu locken vermochte; im Zusammenhange mit den übrigen Zügen dieser
Kolonialverfassung, insbesondre der Gewährung persönlicher Freiheit, der ge¬
meindlichen Selbstverwaltung und Befreiung von der Vogtei stellen die koloni¬
satorischen Gründungen des zwölften Jahrhunderts die vollkommenste Form
autonomer Gemeinden dar, welche überhaupt in dieser Zeit vorkommt. Sie
haben in der That den Geist eines freien, selbstbewußten Bauernvolkes erzeugt
und sind damit für die Entwicklung freier autonomer Dorfmarkgenossenschasten
auch auf allein Kulturboden der deutschen Völkerschaften so maßgebend ge¬
worden, daß ihre Verfassung schon im dreizehnte» Jahrhundert ganz allgemein
als deutsche Sitte, ihr Recht als M touwmczum bezeichnet und sowohl den
französischen als den slawischen Einrichtungen der Gemeinde entgegengesetzt
worden ist."

Und während so die großen Grundherrschaften auf der einen Seite von
neuen Gemeinden freier Bauern durchbrochen wurden, wirkten von der andern
Seite her das Venefizienwesen und das Meieramt als auflösende Kräfte ein.
Sowohl die Lehnsleute wie die Gutsverwalter machten sich allmählich selb-


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[0263] allein beständig die überschüssige Bevölkerung der altdeutschen Laude aufnahm, sondern auch dazu beitrug, daß der durch die herrschaftliche Verwaltung nur zurückgedrängte, aber noch nicht ertötete Geist der Freiheit und Selbstverwaltung aufs neue lebendig wurde. Denn den Bauern, die sich in den Slawenlündern niederließen, wurde von den Herren, die sie beriefen, überall die persönliche Freiheit und das Recht der Selbstregierung zugestanden; der Grundzins war die einzige Last, die sie übernahmen. Das scheint dann wieder auf die Bauern in Altdeutschland zurückgewirkt zu haben. Freilich ereignete sich auch hier immer noch ähnliches in der innern Kolonisation. Denn es gab da bis ins zwölfte Jahrhundert noch genug Urwälder, zu deren Rodung von der Grund¬ herrschaft Kolonisten berufen oder dem eignen Gesinde entnommen wurden. Die Ansiedler bekamen ihre Hufen „zu Waidrecht." Das war eine Art Erbpacht, die ihnen die persönliche Freiheit ließ oder verschaffte; die Ansiedlergemeinden waren von der Gewalt des Vogtes (Hoferichters) befreit, durften Gericht und Polizei selbst verwalten und uuter Umständen auch ihren Schultheißen frei wählen. „Es ist schwer zu sagen, bemerkt Juana, ob diese Entwicklung, welche die innere Kolonisation Deutschlands genommen hat, von den Vorgängern beein¬ flußt war, welche in derselben Zeit in der Ostmark und in den Elbgebieten sich abgespielt haben, oder ob diese die bereits bei der innern Kolonisation angewendeten Formen übernommen haben. Das aber ist deutlich, daß es im wesentlichen derselbe Geist ist, welcher aus den Einrichtungen und Vorgängen dieser dreifachen Kolonisation hervorleuchtet. Das Hufeusystem derselben war gegenüber dem im innern Deutschland weit verbreiteten Dorfsystem mit ver¬ kosten, im Gemenge liegenden Parzellen und seinem feldgemcinschaftlichen Zwange an sich schon ein großer Vorteil, der strebsame Wirte in die Reihen der Kolo¬ nisten zu locken vermochte; im Zusammenhange mit den übrigen Zügen dieser Kolonialverfassung, insbesondre der Gewährung persönlicher Freiheit, der ge¬ meindlichen Selbstverwaltung und Befreiung von der Vogtei stellen die koloni¬ satorischen Gründungen des zwölften Jahrhunderts die vollkommenste Form autonomer Gemeinden dar, welche überhaupt in dieser Zeit vorkommt. Sie haben in der That den Geist eines freien, selbstbewußten Bauernvolkes erzeugt und sind damit für die Entwicklung freier autonomer Dorfmarkgenossenschasten auch auf allein Kulturboden der deutschen Völkerschaften so maßgebend ge¬ worden, daß ihre Verfassung schon im dreizehnte» Jahrhundert ganz allgemein als deutsche Sitte, ihr Recht als M touwmczum bezeichnet und sowohl den französischen als den slawischen Einrichtungen der Gemeinde entgegengesetzt worden ist." Und während so die großen Grundherrschaften auf der einen Seite von neuen Gemeinden freier Bauern durchbrochen wurden, wirkten von der andern Seite her das Venefizienwesen und das Meieramt als auflösende Kräfte ein. Sowohl die Lehnsleute wie die Gutsverwalter machten sich allmählich selb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/263>, abgerufen am 26.08.2024.