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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur
Meile, Mene. Tekel, Upharsin! Briefe des Ta-v-the und La-i-fo. Leipzig, Neugersche
Buchhandlung

An diesem sonst vortrefflichen Buche haben wir zweierlei auszusetzen. Erstens
den feuerrote" Umschlag mit Qualm, Wollen und Blitz; dergleichen sollte der
Reklamelitteratnr überlassen bleiben. Zweitens die seit Montesquieu zu sehr be¬
liebte Form, die Angelegenheiten eines Landes nnter der Maske eines Angehörigen
einer fremden, auf ganz andrer Kulturstufe stehenden Nation zu besprechen. Sie
Paßt unzweifelhaft besser für eine politische Satire, als sür eine ernsthafte Erörte¬
rung, und zudem ist China doch nnr mit großen Einschränkungen als ein Staats¬
wesen zu betrachten, das einen richtigen kritischen Maßstab für die europäischen
Zustände hergeben könnte. Im übrigen heißen wir die scharfe, wenn man will
grelle Beleuchtung der Zustände, die durch die "Hochkultur," wie der Verfasser
sagt, in Europa ins Leben gerufen worden sind, willkommen. Denkende Beobachter
sind ja längst zu denselben Urteilen gelangt und haben damit nicht zurückgehalten;
aber der großen Menge derer, die geflissentlich die Augen gegen alles schließen,
was sie in dein gedankenlosen Dahinleben stören könnte, müssen die Thatsachen, die
sie nicht leugnen können, immer aufs neue in Erinnerung gebracht werden, und es
kann nichts schaden, wenn das einmal in so rücksichtsloser Weise geschieht, wie hier.
Es ist kein freundliches Bild, das der ungenannte Verfasser aufrollt. Er findet,
daß Deutschland, solange es sich nur nach Einheit und Macht gesehnt hatte, den¬
noch unvorbereitet "durch einen politisch regen, militärisch geschlossenen Stamm
und durch einen über alles Maß hinausragenden staatsmännischen Genius aus
einem gewissen politischen Beharruugszustnude" emporgerissen und als erste, aber
junge politische Macht zwischen die Staaten mit alter Polnischer Tradition gestellt
worden sei. In der That befindet sich unser Volk in der Lage eines jungen
Mannes, der auf der Schule sehr fleißig gewesen ist und erst im praktischen Leben
lernen muß, daß das Leben sich nicht nach den von ihm aufgenommenen Lehr¬
meinungen richtet; er selbst stellt sich gewöhnlich unbeholfener an als sein Neben¬
mann, der mit weniger Wissen beladen von früh auf gewohnt ist zuzugreifen.
Aber wenn der Theoretiker eine tüchtige Natur ist, so holt er nach, was ihm noch
fehlt, und weiß auch seine Schulweisheit auszunutzen. Und das wird sich hoffent¬
lich auch an dem deutschen Volke bewähren.


Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Im
Auftrage der badischen historischen Kommission bearbeitet von Eberhard Gothein, Professor
°er Nationalökonomie der Universität Bonn. 1. Lieferung, Straßburg, K. I. Trübner, 1891

Wenn das Ganze hält, was die vorliegende erste Lieferung verspricht, so wird
^ ein Werk ersten Ranges werden, und wird ein auf gründlicher Einzelforschung
beruhendes klares Bild der wirtschaftlichen Entwicklung des südwestlichen Deutsch¬
lands darbieten, in dem solche dunkle Punkte der ältern deutschen Geschichte, wie
d>e Entstehung der Städte, des Stadtrechts und der Innungen ihre Aufklärung
senden, soweit solche bei der Spärlichkeit der Quellen nur irgend möglich ist.


Litteratur
Meile, Mene. Tekel, Upharsin! Briefe des Ta-v-the und La-i-fo. Leipzig, Neugersche
Buchhandlung

An diesem sonst vortrefflichen Buche haben wir zweierlei auszusetzen. Erstens
den feuerrote» Umschlag mit Qualm, Wollen und Blitz; dergleichen sollte der
Reklamelitteratnr überlassen bleiben. Zweitens die seit Montesquieu zu sehr be¬
liebte Form, die Angelegenheiten eines Landes nnter der Maske eines Angehörigen
einer fremden, auf ganz andrer Kulturstufe stehenden Nation zu besprechen. Sie
Paßt unzweifelhaft besser für eine politische Satire, als sür eine ernsthafte Erörte¬
rung, und zudem ist China doch nnr mit großen Einschränkungen als ein Staats¬
wesen zu betrachten, das einen richtigen kritischen Maßstab für die europäischen
Zustände hergeben könnte. Im übrigen heißen wir die scharfe, wenn man will
grelle Beleuchtung der Zustände, die durch die „Hochkultur," wie der Verfasser
sagt, in Europa ins Leben gerufen worden sind, willkommen. Denkende Beobachter
sind ja längst zu denselben Urteilen gelangt und haben damit nicht zurückgehalten;
aber der großen Menge derer, die geflissentlich die Augen gegen alles schließen,
was sie in dein gedankenlosen Dahinleben stören könnte, müssen die Thatsachen, die
sie nicht leugnen können, immer aufs neue in Erinnerung gebracht werden, und es
kann nichts schaden, wenn das einmal in so rücksichtsloser Weise geschieht, wie hier.
Es ist kein freundliches Bild, das der ungenannte Verfasser aufrollt. Er findet,
daß Deutschland, solange es sich nur nach Einheit und Macht gesehnt hatte, den¬
noch unvorbereitet „durch einen politisch regen, militärisch geschlossenen Stamm
und durch einen über alles Maß hinausragenden staatsmännischen Genius aus
einem gewissen politischen Beharruugszustnude" emporgerissen und als erste, aber
junge politische Macht zwischen die Staaten mit alter Polnischer Tradition gestellt
worden sei. In der That befindet sich unser Volk in der Lage eines jungen
Mannes, der auf der Schule sehr fleißig gewesen ist und erst im praktischen Leben
lernen muß, daß das Leben sich nicht nach den von ihm aufgenommenen Lehr¬
meinungen richtet; er selbst stellt sich gewöhnlich unbeholfener an als sein Neben¬
mann, der mit weniger Wissen beladen von früh auf gewohnt ist zuzugreifen.
Aber wenn der Theoretiker eine tüchtige Natur ist, so holt er nach, was ihm noch
fehlt, und weiß auch seine Schulweisheit auszunutzen. Und das wird sich hoffent¬
lich auch an dem deutschen Volke bewähren.


Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Im
Auftrage der badischen historischen Kommission bearbeitet von Eberhard Gothein, Professor
°er Nationalökonomie der Universität Bonn. 1. Lieferung, Straßburg, K. I. Trübner, 1891

Wenn das Ganze hält, was die vorliegende erste Lieferung verspricht, so wird
^ ein Werk ersten Ranges werden, und wird ein auf gründlicher Einzelforschung
beruhendes klares Bild der wirtschaftlichen Entwicklung des südwestlichen Deutsch¬
lands darbieten, in dem solche dunkle Punkte der ältern deutschen Geschichte, wie
d>e Entstehung der Städte, des Stadtrechts und der Innungen ihre Aufklärung
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[0245] Litteratur Meile, Mene. Tekel, Upharsin! Briefe des Ta-v-the und La-i-fo. Leipzig, Neugersche Buchhandlung An diesem sonst vortrefflichen Buche haben wir zweierlei auszusetzen. Erstens den feuerrote» Umschlag mit Qualm, Wollen und Blitz; dergleichen sollte der Reklamelitteratnr überlassen bleiben. Zweitens die seit Montesquieu zu sehr be¬ liebte Form, die Angelegenheiten eines Landes nnter der Maske eines Angehörigen einer fremden, auf ganz andrer Kulturstufe stehenden Nation zu besprechen. Sie Paßt unzweifelhaft besser für eine politische Satire, als sür eine ernsthafte Erörte¬ rung, und zudem ist China doch nnr mit großen Einschränkungen als ein Staats¬ wesen zu betrachten, das einen richtigen kritischen Maßstab für die europäischen Zustände hergeben könnte. Im übrigen heißen wir die scharfe, wenn man will grelle Beleuchtung der Zustände, die durch die „Hochkultur," wie der Verfasser sagt, in Europa ins Leben gerufen worden sind, willkommen. Denkende Beobachter sind ja längst zu denselben Urteilen gelangt und haben damit nicht zurückgehalten; aber der großen Menge derer, die geflissentlich die Augen gegen alles schließen, was sie in dein gedankenlosen Dahinleben stören könnte, müssen die Thatsachen, die sie nicht leugnen können, immer aufs neue in Erinnerung gebracht werden, und es kann nichts schaden, wenn das einmal in so rücksichtsloser Weise geschieht, wie hier. Es ist kein freundliches Bild, das der ungenannte Verfasser aufrollt. Er findet, daß Deutschland, solange es sich nur nach Einheit und Macht gesehnt hatte, den¬ noch unvorbereitet „durch einen politisch regen, militärisch geschlossenen Stamm und durch einen über alles Maß hinausragenden staatsmännischen Genius aus einem gewissen politischen Beharruugszustnude" emporgerissen und als erste, aber junge politische Macht zwischen die Staaten mit alter Polnischer Tradition gestellt worden sei. In der That befindet sich unser Volk in der Lage eines jungen Mannes, der auf der Schule sehr fleißig gewesen ist und erst im praktischen Leben lernen muß, daß das Leben sich nicht nach den von ihm aufgenommenen Lehr¬ meinungen richtet; er selbst stellt sich gewöhnlich unbeholfener an als sein Neben¬ mann, der mit weniger Wissen beladen von früh auf gewohnt ist zuzugreifen. Aber wenn der Theoretiker eine tüchtige Natur ist, so holt er nach, was ihm noch fehlt, und weiß auch seine Schulweisheit auszunutzen. Und das wird sich hoffent¬ lich auch an dem deutschen Volke bewähren. Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Im Auftrage der badischen historischen Kommission bearbeitet von Eberhard Gothein, Professor °er Nationalökonomie der Universität Bonn. 1. Lieferung, Straßburg, K. I. Trübner, 1891 Wenn das Ganze hält, was die vorliegende erste Lieferung verspricht, so wird ^ ein Werk ersten Ranges werden, und wird ein auf gründlicher Einzelforschung beruhendes klares Bild der wirtschaftlichen Entwicklung des südwestlichen Deutsch¬ lands darbieten, in dem solche dunkle Punkte der ältern deutschen Geschichte, wie d>e Entstehung der Städte, des Stadtrechts und der Innungen ihre Aufklärung senden, soweit solche bei der Spärlichkeit der Quellen nur irgend möglich ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/245>, abgerufen am 23.07.2024.