Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
wo soll das hinaus?

Die Frau B. war nicht wieder hinauf, sondern ins Dorf gegangen , Um
Bekannte zu besuchen. Nach zwei Stunden kehrt sie zurück. K. sieht nun den
Augenblick zur That gekommen und faßt das Mordinstrument, das er in der
Hand trägt, fest an. Aber da merkt er in seinem Versteck, daß die Frau nicht
allein kommt; sie hat eine Begleiterin. Ihre Schwiegertochter, die junge
Frau B., kommt mit ihr. Sie treten in die Stube ein; die alte Frau B.
setzt dem Besuche Kaffee vor, und es kommt auch noch andrer Besuch, ein
im Dorfe anwesender Landarzt, der eine Kurkostenrechnung bringt. K. über¬
steht auch die weitere einstündige Zeitdauer, ohne daß ein Gedanke von Reue
über ihn käme. Endlich, es ist an dem grauen nebligen Wintertage schon
dämmerig geworden, verläßt der Besuch die Wohnung, und mit ihm geht auch
die Frau B. fort und läßt die Stubenthür hinter sich offen. Der längst er¬
sehnte Augenblick ist gekommen, und K. begiebt sich in die Stube.

Dort nimmt er aus einem Spind -- der Aufbewahrungsort ist ihm be-
kannt -- das dort verwahrte dure Geld und steckt es zu sich. Es sind vier¬
zehn Mark und einige Groschen. Während er im Begriff ist, nach dem
Sparkassenbuch und sonstigen Wertpapieren zu suchen, vernimmt er, wie
jemand wieder die Treppe heraufkommt. Noch weiß er nicht, wer und wie
viele es sind. Rasch entschlossen tritt er in die neben der Stube liegende
Schlafkammer und verkriecht sich unter die Decke des dort stehenden Bettes,
nachdem er sich seines Huts und seiner Schuhe entledigt hat.

Die Eintretende ist die Frau B. Sie nimmt alsbald den Weg zur
Kammer, um das beim Kaffeetrinken benutzte Brot wieder dahin zu tragen
und wie sie gewohnt ist, unter das Kopfkissen zu verstecken. Da erhebt
sich der unter der Decke verborgne Junge, stürzt auf die mit gebeugtem Kopfe
vor ihm stehende wie ein Raubtier los und sticht sie mit dem bereit gehaltnen
'Nickfänger in den Kopf. Die Frau flieht nach der Stube, der Mörder folgt
ihr und bringt ihr eine zweite, diesmal tötliche Stichwunde am Halse bei
und versetzt ihr, während sie nach dem Vorsaale wankt, noch einen dritten
Stich, der mit solcher Kraft und Wucht geführt ist, daß die Spitze des
Messers in der Hirnschale abbricht und die Frau röchelnd am Thürpfosten
zusammensinkt. ^

Mit einemmale, wo er die Frau in ihrem Blute liegen sieht, verläßt ihn
der Gleichmut. Wie von den Furie" gepeitscht, stürzt er, seinen Hut und die
Schuhe zurücklassend, die Treppe hinunter, stößt den ihm dort begegnenden
Sohn des Tischlers zur Seite und jagt auf der Straße weiter -- hinaus in
die Nacht.

Unterwegs trifft er eine Anzahl Jungen, die auf der abschüssigen Straße
in der Nähe seines Wohnortes Schlitten fahren. Sie rufen den in bloßen
Strümpfen und barhäuptig dahin eilenden an. Mit einer flüchtigen Ent¬
schuldigung läuft er an ihnen vorüber. Zu Hause angekommen, versieht er


wo soll das hinaus?

Die Frau B. war nicht wieder hinauf, sondern ins Dorf gegangen , Um
Bekannte zu besuchen. Nach zwei Stunden kehrt sie zurück. K. sieht nun den
Augenblick zur That gekommen und faßt das Mordinstrument, das er in der
Hand trägt, fest an. Aber da merkt er in seinem Versteck, daß die Frau nicht
allein kommt; sie hat eine Begleiterin. Ihre Schwiegertochter, die junge
Frau B., kommt mit ihr. Sie treten in die Stube ein; die alte Frau B.
setzt dem Besuche Kaffee vor, und es kommt auch noch andrer Besuch, ein
im Dorfe anwesender Landarzt, der eine Kurkostenrechnung bringt. K. über¬
steht auch die weitere einstündige Zeitdauer, ohne daß ein Gedanke von Reue
über ihn käme. Endlich, es ist an dem grauen nebligen Wintertage schon
dämmerig geworden, verläßt der Besuch die Wohnung, und mit ihm geht auch
die Frau B. fort und läßt die Stubenthür hinter sich offen. Der längst er¬
sehnte Augenblick ist gekommen, und K. begiebt sich in die Stube.

Dort nimmt er aus einem Spind — der Aufbewahrungsort ist ihm be-
kannt — das dort verwahrte dure Geld und steckt es zu sich. Es sind vier¬
zehn Mark und einige Groschen. Während er im Begriff ist, nach dem
Sparkassenbuch und sonstigen Wertpapieren zu suchen, vernimmt er, wie
jemand wieder die Treppe heraufkommt. Noch weiß er nicht, wer und wie
viele es sind. Rasch entschlossen tritt er in die neben der Stube liegende
Schlafkammer und verkriecht sich unter die Decke des dort stehenden Bettes,
nachdem er sich seines Huts und seiner Schuhe entledigt hat.

Die Eintretende ist die Frau B. Sie nimmt alsbald den Weg zur
Kammer, um das beim Kaffeetrinken benutzte Brot wieder dahin zu tragen
und wie sie gewohnt ist, unter das Kopfkissen zu verstecken. Da erhebt
sich der unter der Decke verborgne Junge, stürzt auf die mit gebeugtem Kopfe
vor ihm stehende wie ein Raubtier los und sticht sie mit dem bereit gehaltnen
'Nickfänger in den Kopf. Die Frau flieht nach der Stube, der Mörder folgt
ihr und bringt ihr eine zweite, diesmal tötliche Stichwunde am Halse bei
und versetzt ihr, während sie nach dem Vorsaale wankt, noch einen dritten
Stich, der mit solcher Kraft und Wucht geführt ist, daß die Spitze des
Messers in der Hirnschale abbricht und die Frau röchelnd am Thürpfosten
zusammensinkt. ^

Mit einemmale, wo er die Frau in ihrem Blute liegen sieht, verläßt ihn
der Gleichmut. Wie von den Furie« gepeitscht, stürzt er, seinen Hut und die
Schuhe zurücklassend, die Treppe hinunter, stößt den ihm dort begegnenden
Sohn des Tischlers zur Seite und jagt auf der Straße weiter — hinaus in
die Nacht.

Unterwegs trifft er eine Anzahl Jungen, die auf der abschüssigen Straße
in der Nähe seines Wohnortes Schlitten fahren. Sie rufen den in bloßen
Strümpfen und barhäuptig dahin eilenden an. Mit einer flüchtigen Ent¬
schuldigung läuft er an ihnen vorüber. Zu Hause angekommen, versieht er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290003"/>
          <fw type="header" place="top"> wo soll das hinaus?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_651"> Die Frau B. war nicht wieder hinauf, sondern ins Dorf gegangen , Um<lb/>
Bekannte zu besuchen. Nach zwei Stunden kehrt sie zurück. K. sieht nun den<lb/>
Augenblick zur That gekommen und faßt das Mordinstrument, das er in der<lb/>
Hand trägt, fest an. Aber da merkt er in seinem Versteck, daß die Frau nicht<lb/>
allein kommt; sie hat eine Begleiterin. Ihre Schwiegertochter, die junge<lb/>
Frau B., kommt mit ihr. Sie treten in die Stube ein; die alte Frau B.<lb/>
setzt dem Besuche Kaffee vor, und es kommt auch noch andrer Besuch, ein<lb/>
im Dorfe anwesender Landarzt, der eine Kurkostenrechnung bringt. K. über¬<lb/>
steht auch die weitere einstündige Zeitdauer, ohne daß ein Gedanke von Reue<lb/>
über ihn käme. Endlich, es ist an dem grauen nebligen Wintertage schon<lb/>
dämmerig geworden, verläßt der Besuch die Wohnung, und mit ihm geht auch<lb/>
die Frau B. fort und läßt die Stubenthür hinter sich offen. Der längst er¬<lb/>
sehnte Augenblick ist gekommen, und K. begiebt sich in die Stube.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652"> Dort nimmt er aus einem Spind &#x2014; der Aufbewahrungsort ist ihm be-<lb/>
kannt &#x2014; das dort verwahrte dure Geld und steckt es zu sich. Es sind vier¬<lb/>
zehn Mark und einige Groschen. Während er im Begriff ist, nach dem<lb/>
Sparkassenbuch und sonstigen Wertpapieren zu suchen, vernimmt er, wie<lb/>
jemand wieder die Treppe heraufkommt. Noch weiß er nicht, wer und wie<lb/>
viele es sind. Rasch entschlossen tritt er in die neben der Stube liegende<lb/>
Schlafkammer und verkriecht sich unter die Decke des dort stehenden Bettes,<lb/>
nachdem er sich seines Huts und seiner Schuhe entledigt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653"> Die Eintretende ist die Frau B. Sie nimmt alsbald den Weg zur<lb/>
Kammer, um das beim Kaffeetrinken benutzte Brot wieder dahin zu tragen<lb/>
und wie sie gewohnt ist, unter das Kopfkissen zu verstecken. Da erhebt<lb/>
sich der unter der Decke verborgne Junge, stürzt auf die mit gebeugtem Kopfe<lb/>
vor ihm stehende wie ein Raubtier los und sticht sie mit dem bereit gehaltnen<lb/>
'Nickfänger in den Kopf. Die Frau flieht nach der Stube, der Mörder folgt<lb/>
ihr und bringt ihr eine zweite, diesmal tötliche Stichwunde am Halse bei<lb/>
und versetzt ihr, während sie nach dem Vorsaale wankt, noch einen dritten<lb/>
Stich, der mit solcher Kraft und Wucht geführt ist, daß die Spitze des<lb/>
Messers in der Hirnschale abbricht und die Frau röchelnd am Thürpfosten<lb/>
zusammensinkt. ^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654"> Mit einemmale, wo er die Frau in ihrem Blute liegen sieht, verläßt ihn<lb/>
der Gleichmut. Wie von den Furie« gepeitscht, stürzt er, seinen Hut und die<lb/>
Schuhe zurücklassend, die Treppe hinunter, stößt den ihm dort begegnenden<lb/>
Sohn des Tischlers zur Seite und jagt auf der Straße weiter &#x2014; hinaus in<lb/>
die Nacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_655" next="#ID_656"> Unterwegs trifft er eine Anzahl Jungen, die auf der abschüssigen Straße<lb/>
in der Nähe seines Wohnortes Schlitten fahren. Sie rufen den in bloßen<lb/>
Strümpfen und barhäuptig dahin eilenden an. Mit einer flüchtigen Ent¬<lb/>
schuldigung läuft er an ihnen vorüber. Zu Hause angekommen, versieht er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] wo soll das hinaus? Die Frau B. war nicht wieder hinauf, sondern ins Dorf gegangen , Um Bekannte zu besuchen. Nach zwei Stunden kehrt sie zurück. K. sieht nun den Augenblick zur That gekommen und faßt das Mordinstrument, das er in der Hand trägt, fest an. Aber da merkt er in seinem Versteck, daß die Frau nicht allein kommt; sie hat eine Begleiterin. Ihre Schwiegertochter, die junge Frau B., kommt mit ihr. Sie treten in die Stube ein; die alte Frau B. setzt dem Besuche Kaffee vor, und es kommt auch noch andrer Besuch, ein im Dorfe anwesender Landarzt, der eine Kurkostenrechnung bringt. K. über¬ steht auch die weitere einstündige Zeitdauer, ohne daß ein Gedanke von Reue über ihn käme. Endlich, es ist an dem grauen nebligen Wintertage schon dämmerig geworden, verläßt der Besuch die Wohnung, und mit ihm geht auch die Frau B. fort und läßt die Stubenthür hinter sich offen. Der längst er¬ sehnte Augenblick ist gekommen, und K. begiebt sich in die Stube. Dort nimmt er aus einem Spind — der Aufbewahrungsort ist ihm be- kannt — das dort verwahrte dure Geld und steckt es zu sich. Es sind vier¬ zehn Mark und einige Groschen. Während er im Begriff ist, nach dem Sparkassenbuch und sonstigen Wertpapieren zu suchen, vernimmt er, wie jemand wieder die Treppe heraufkommt. Noch weiß er nicht, wer und wie viele es sind. Rasch entschlossen tritt er in die neben der Stube liegende Schlafkammer und verkriecht sich unter die Decke des dort stehenden Bettes, nachdem er sich seines Huts und seiner Schuhe entledigt hat. Die Eintretende ist die Frau B. Sie nimmt alsbald den Weg zur Kammer, um das beim Kaffeetrinken benutzte Brot wieder dahin zu tragen und wie sie gewohnt ist, unter das Kopfkissen zu verstecken. Da erhebt sich der unter der Decke verborgne Junge, stürzt auf die mit gebeugtem Kopfe vor ihm stehende wie ein Raubtier los und sticht sie mit dem bereit gehaltnen 'Nickfänger in den Kopf. Die Frau flieht nach der Stube, der Mörder folgt ihr und bringt ihr eine zweite, diesmal tötliche Stichwunde am Halse bei und versetzt ihr, während sie nach dem Vorsaale wankt, noch einen dritten Stich, der mit solcher Kraft und Wucht geführt ist, daß die Spitze des Messers in der Hirnschale abbricht und die Frau röchelnd am Thürpfosten zusammensinkt. ^ Mit einemmale, wo er die Frau in ihrem Blute liegen sieht, verläßt ihn der Gleichmut. Wie von den Furie« gepeitscht, stürzt er, seinen Hut und die Schuhe zurücklassend, die Treppe hinunter, stößt den ihm dort begegnenden Sohn des Tischlers zur Seite und jagt auf der Straße weiter — hinaus in die Nacht. Unterwegs trifft er eine Anzahl Jungen, die auf der abschüssigen Straße in der Nähe seines Wohnortes Schlitten fahren. Sie rufen den in bloßen Strümpfen und barhäuptig dahin eilenden an. Mit einer flüchtigen Ent¬ schuldigung läuft er an ihnen vorüber. Zu Hause angekommen, versieht er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/235>, abgerufen am 26.08.2024.