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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Antisemitische Litteratur

einen solchen Beweis gebracht. Im Abgeordnetenhaus" brachte ein Redner die
heikle Frage der Vereidigung von Christen durch jüdische Richter vor. Er
that es nicht in würdiger Weise, das muß zugegeben werden. Aber seine
Gegner verbargen so wenig das Triumphgefühl, die Strafen aufzahlen zu
können, die ein Christ zu gewärtigen hat, dessen Gewissen sich dagegen sträubt,
den Eid in die Hand eines Juden abzulegen, sie fügten dem Hohn so kecke
Abkanzelungen des Justizministers hinzu, der gewagt hatte, an den Takt der
jüdischen Richter zu appelliren, und einer scheute sich nicht, mit Berufung auf
einen "berühmten Physiologen," der wahrscheinlich auch dem auserwählten
Volke angehört, alle, die das Bestehen einer Judenfrage anerkennen, für ver¬
rückt zu erklären, daß es ein Wunder wäre, wenn diese Reden nicht dem
Antisemitismus viele neue Anhänger zuführten. Das streitende Judentum
zitirt jetzt gern das Alte Testament: offenbar kennen es die Herren nicht genau,
sonst würden sie wissen, daß ihre Gegner gar nicht nötig hätten, ihre An¬
griffswaffen aus dein Talmud zu holen.

Ein interessantes Kapitel wird in der kleinen Schrift von Alexander
Berg: Judentum und Sozialdemokratie (Berlin, Dewald) abgehandelt.
Der Verfasser kritisirt die ungeheuerliche Erscheinung, daß die deutschen Ar¬
beiter, die sich durch jüdische Agitatoren haben in den blinden Haß gegen alle
Arbeitgeber hineinsetzen lassen, noch zehnmal verblendeter jüdischen Führern
folgen, die durch wirkliche Ausbeutung der Arbeiter oder durch Wucher reich
geworden sind, und bemerkt treffend, daß die Marxsche Theorie nur in
Deutschland so vollständig zum Siege gebracht werden konnte, weil "von
allen Nationen die deutsche leider das bei weitem am schwächsten entwickelte
Nationalgefühl aufzuweisen hat. Nicht ein Zeichen ihrer Intelligenz, wie die
deutschen Arbeiter sich so gern einreden und von andern vorreden lassen, ist
es, daß sie zur Hochburg des internationalen Judentums geworden sind, son¬
dern vielmehr ein Zeichen dafür, daß sie dem Eindringen einer Theorie mit
internationalem Charakter überhaupt die nötige nationale Widerstandskraft
uicht entgegenzusetzen hatten." Das ist unzweifelhaft richtig, bedarf aber einer
Ergänzung dahin, daß in unserm Volke immer uoch ein stärkerer idealistischer
Zug wirkt, auch in denen, die sich von solcher Schwäche gänzlich frei wähnen.
Wir haben es schon wiederholt ausgesprochen: der Sozialdemokrat in England,
in Frankreich, in Dünemark, in den slawischen Ländern bleibt immer Eng¬
länder, Franzose, Däne, Slawe und hat bei dem Gerede von allgemeiner
Verbrüderung stets den Vorbehalt, daß sein Land und Volk nicht in den
allgemeinen Brei mit eingerührt werden dürfen; nur in Deutschland blüht die
bornirte Ehrlichkeit, es mit den Redensarten ernst zu nehmen. Der gute
Michel stirbt nicht aus. Wie es wohl einem Pariser Schwachkopf ergehen
würde, der einen Genossen wie der große Bebel den Herrn von Vollmar
wegen eines Restes nationaler Gesinnung schulmeistern wollte!


Antisemitische Litteratur

einen solchen Beweis gebracht. Im Abgeordnetenhaus« brachte ein Redner die
heikle Frage der Vereidigung von Christen durch jüdische Richter vor. Er
that es nicht in würdiger Weise, das muß zugegeben werden. Aber seine
Gegner verbargen so wenig das Triumphgefühl, die Strafen aufzahlen zu
können, die ein Christ zu gewärtigen hat, dessen Gewissen sich dagegen sträubt,
den Eid in die Hand eines Juden abzulegen, sie fügten dem Hohn so kecke
Abkanzelungen des Justizministers hinzu, der gewagt hatte, an den Takt der
jüdischen Richter zu appelliren, und einer scheute sich nicht, mit Berufung auf
einen „berühmten Physiologen," der wahrscheinlich auch dem auserwählten
Volke angehört, alle, die das Bestehen einer Judenfrage anerkennen, für ver¬
rückt zu erklären, daß es ein Wunder wäre, wenn diese Reden nicht dem
Antisemitismus viele neue Anhänger zuführten. Das streitende Judentum
zitirt jetzt gern das Alte Testament: offenbar kennen es die Herren nicht genau,
sonst würden sie wissen, daß ihre Gegner gar nicht nötig hätten, ihre An¬
griffswaffen aus dein Talmud zu holen.

Ein interessantes Kapitel wird in der kleinen Schrift von Alexander
Berg: Judentum und Sozialdemokratie (Berlin, Dewald) abgehandelt.
Der Verfasser kritisirt die ungeheuerliche Erscheinung, daß die deutschen Ar¬
beiter, die sich durch jüdische Agitatoren haben in den blinden Haß gegen alle
Arbeitgeber hineinsetzen lassen, noch zehnmal verblendeter jüdischen Führern
folgen, die durch wirkliche Ausbeutung der Arbeiter oder durch Wucher reich
geworden sind, und bemerkt treffend, daß die Marxsche Theorie nur in
Deutschland so vollständig zum Siege gebracht werden konnte, weil „von
allen Nationen die deutsche leider das bei weitem am schwächsten entwickelte
Nationalgefühl aufzuweisen hat. Nicht ein Zeichen ihrer Intelligenz, wie die
deutschen Arbeiter sich so gern einreden und von andern vorreden lassen, ist
es, daß sie zur Hochburg des internationalen Judentums geworden sind, son¬
dern vielmehr ein Zeichen dafür, daß sie dem Eindringen einer Theorie mit
internationalem Charakter überhaupt die nötige nationale Widerstandskraft
uicht entgegenzusetzen hatten." Das ist unzweifelhaft richtig, bedarf aber einer
Ergänzung dahin, daß in unserm Volke immer uoch ein stärkerer idealistischer
Zug wirkt, auch in denen, die sich von solcher Schwäche gänzlich frei wähnen.
Wir haben es schon wiederholt ausgesprochen: der Sozialdemokrat in England,
in Frankreich, in Dünemark, in den slawischen Ländern bleibt immer Eng¬
länder, Franzose, Däne, Slawe und hat bei dem Gerede von allgemeiner
Verbrüderung stets den Vorbehalt, daß sein Land und Volk nicht in den
allgemeinen Brei mit eingerührt werden dürfen; nur in Deutschland blüht die
bornirte Ehrlichkeit, es mit den Redensarten ernst zu nehmen. Der gute
Michel stirbt nicht aus. Wie es wohl einem Pariser Schwachkopf ergehen
würde, der einen Genossen wie der große Bebel den Herrn von Vollmar
wegen eines Restes nationaler Gesinnung schulmeistern wollte!


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[0230] Antisemitische Litteratur einen solchen Beweis gebracht. Im Abgeordnetenhaus« brachte ein Redner die heikle Frage der Vereidigung von Christen durch jüdische Richter vor. Er that es nicht in würdiger Weise, das muß zugegeben werden. Aber seine Gegner verbargen so wenig das Triumphgefühl, die Strafen aufzahlen zu können, die ein Christ zu gewärtigen hat, dessen Gewissen sich dagegen sträubt, den Eid in die Hand eines Juden abzulegen, sie fügten dem Hohn so kecke Abkanzelungen des Justizministers hinzu, der gewagt hatte, an den Takt der jüdischen Richter zu appelliren, und einer scheute sich nicht, mit Berufung auf einen „berühmten Physiologen," der wahrscheinlich auch dem auserwählten Volke angehört, alle, die das Bestehen einer Judenfrage anerkennen, für ver¬ rückt zu erklären, daß es ein Wunder wäre, wenn diese Reden nicht dem Antisemitismus viele neue Anhänger zuführten. Das streitende Judentum zitirt jetzt gern das Alte Testament: offenbar kennen es die Herren nicht genau, sonst würden sie wissen, daß ihre Gegner gar nicht nötig hätten, ihre An¬ griffswaffen aus dein Talmud zu holen. Ein interessantes Kapitel wird in der kleinen Schrift von Alexander Berg: Judentum und Sozialdemokratie (Berlin, Dewald) abgehandelt. Der Verfasser kritisirt die ungeheuerliche Erscheinung, daß die deutschen Ar¬ beiter, die sich durch jüdische Agitatoren haben in den blinden Haß gegen alle Arbeitgeber hineinsetzen lassen, noch zehnmal verblendeter jüdischen Führern folgen, die durch wirkliche Ausbeutung der Arbeiter oder durch Wucher reich geworden sind, und bemerkt treffend, daß die Marxsche Theorie nur in Deutschland so vollständig zum Siege gebracht werden konnte, weil „von allen Nationen die deutsche leider das bei weitem am schwächsten entwickelte Nationalgefühl aufzuweisen hat. Nicht ein Zeichen ihrer Intelligenz, wie die deutschen Arbeiter sich so gern einreden und von andern vorreden lassen, ist es, daß sie zur Hochburg des internationalen Judentums geworden sind, son¬ dern vielmehr ein Zeichen dafür, daß sie dem Eindringen einer Theorie mit internationalem Charakter überhaupt die nötige nationale Widerstandskraft uicht entgegenzusetzen hatten." Das ist unzweifelhaft richtig, bedarf aber einer Ergänzung dahin, daß in unserm Volke immer uoch ein stärkerer idealistischer Zug wirkt, auch in denen, die sich von solcher Schwäche gänzlich frei wähnen. Wir haben es schon wiederholt ausgesprochen: der Sozialdemokrat in England, in Frankreich, in Dünemark, in den slawischen Ländern bleibt immer Eng¬ länder, Franzose, Däne, Slawe und hat bei dem Gerede von allgemeiner Verbrüderung stets den Vorbehalt, daß sein Land und Volk nicht in den allgemeinen Brei mit eingerührt werden dürfen; nur in Deutschland blüht die bornirte Ehrlichkeit, es mit den Redensarten ernst zu nehmen. Der gute Michel stirbt nicht aus. Wie es wohl einem Pariser Schwachkopf ergehen würde, der einen Genossen wie der große Bebel den Herrn von Vollmar wegen eines Restes nationaler Gesinnung schulmeistern wollte!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/230>, abgerufen am 26.08.2024.