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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die psychologische Unmöglichkeit eines socialdemo¬
kratischen Staates
Von R. von Lchubcrt-öoldern

in psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates
darzulegen, ist kein neues Unternehmen, aber sie ist doch bisher
bei allen Erörterungen dieses Gegenstandes meist im Hinter¬
gründe abgehandelt worden, während in den Vordergrund die
rein wirtschaftliche Seite trat. Auch die Zurückführung ans ihre
Psychologischen Grundelemente war bisher unzureichend. Wenn es nun auch
nicht möglich sein wird, die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemo¬
kratischen Staates in einer kurzen Abhandlung ihren Grundelementen nach
vollständig darzulegen, so soll hier doch der Versuch gemacht werden, einen
Beitrag dazu zu liefern.

Zunächst muß ich mich jedoch dagegen verwahren, daß ich den Sozialis-
mus im allgemeinen oder die Möglichkeit eines sozialdemokratischen Staates
im allgemeinen bekämpfen wollte. Was den ersten Punkt anlangt, so ist die
in den Verhältnissen begründete Berechtigung sozialistischer Bestrebungen heut¬
zutage zu allgemein anerkannt, als daß man vernünftigerweise gegen sie an¬
kämpfen dürfte; es kann sich hier nur um den Punkt handeln, bis zu dem die
sozialistischen Prinzipien durchgeführt werden sollen. In diesem "Punkte" liegt
allerdings die ganze Schwierigkeit, die mich aber hier nichts angeht.

Was den zweiten Punkt anlangt, so will ich, wie aus dem Folgenden zu
ersehen sein wird, nicht leugnen, daß ein sozialdemokratischer Staat auf niedriger
Kulturstufe möglich ist. Wahrscheinlich hat sich ja das Privateigentum aus dem
Gemeineigentum entwickelt, ein Prozeß, von dem bei allen Völkern Spuren
vorhanden sind; daher haben wahrscheinlich einmal sozialdemokratische Zustände
vorgeherrscht. Aber es scheint mir undenkbar, daß die heutige Gesellschaft


Grenzboten III 1891 25


Die psychologische Unmöglichkeit eines socialdemo¬
kratischen Staates
Von R. von Lchubcrt-öoldern

in psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates
darzulegen, ist kein neues Unternehmen, aber sie ist doch bisher
bei allen Erörterungen dieses Gegenstandes meist im Hinter¬
gründe abgehandelt worden, während in den Vordergrund die
rein wirtschaftliche Seite trat. Auch die Zurückführung ans ihre
Psychologischen Grundelemente war bisher unzureichend. Wenn es nun auch
nicht möglich sein wird, die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemo¬
kratischen Staates in einer kurzen Abhandlung ihren Grundelementen nach
vollständig darzulegen, so soll hier doch der Versuch gemacht werden, einen
Beitrag dazu zu liefern.

Zunächst muß ich mich jedoch dagegen verwahren, daß ich den Sozialis-
mus im allgemeinen oder die Möglichkeit eines sozialdemokratischen Staates
im allgemeinen bekämpfen wollte. Was den ersten Punkt anlangt, so ist die
in den Verhältnissen begründete Berechtigung sozialistischer Bestrebungen heut¬
zutage zu allgemein anerkannt, als daß man vernünftigerweise gegen sie an¬
kämpfen dürfte; es kann sich hier nur um den Punkt handeln, bis zu dem die
sozialistischen Prinzipien durchgeführt werden sollen. In diesem „Punkte" liegt
allerdings die ganze Schwierigkeit, die mich aber hier nichts angeht.

Was den zweiten Punkt anlangt, so will ich, wie aus dem Folgenden zu
ersehen sein wird, nicht leugnen, daß ein sozialdemokratischer Staat auf niedriger
Kulturstufe möglich ist. Wahrscheinlich hat sich ja das Privateigentum aus dem
Gemeineigentum entwickelt, ein Prozeß, von dem bei allen Völkern Spuren
vorhanden sind; daher haben wahrscheinlich einmal sozialdemokratische Zustände
vorgeherrscht. Aber es scheint mir undenkbar, daß die heutige Gesellschaft


Grenzboten III 1891 25
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[0201] [Abbildung] Die psychologische Unmöglichkeit eines socialdemo¬ kratischen Staates Von R. von Lchubcrt-öoldern in psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates darzulegen, ist kein neues Unternehmen, aber sie ist doch bisher bei allen Erörterungen dieses Gegenstandes meist im Hinter¬ gründe abgehandelt worden, während in den Vordergrund die rein wirtschaftliche Seite trat. Auch die Zurückführung ans ihre Psychologischen Grundelemente war bisher unzureichend. Wenn es nun auch nicht möglich sein wird, die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemo¬ kratischen Staates in einer kurzen Abhandlung ihren Grundelementen nach vollständig darzulegen, so soll hier doch der Versuch gemacht werden, einen Beitrag dazu zu liefern. Zunächst muß ich mich jedoch dagegen verwahren, daß ich den Sozialis- mus im allgemeinen oder die Möglichkeit eines sozialdemokratischen Staates im allgemeinen bekämpfen wollte. Was den ersten Punkt anlangt, so ist die in den Verhältnissen begründete Berechtigung sozialistischer Bestrebungen heut¬ zutage zu allgemein anerkannt, als daß man vernünftigerweise gegen sie an¬ kämpfen dürfte; es kann sich hier nur um den Punkt handeln, bis zu dem die sozialistischen Prinzipien durchgeführt werden sollen. In diesem „Punkte" liegt allerdings die ganze Schwierigkeit, die mich aber hier nichts angeht. Was den zweiten Punkt anlangt, so will ich, wie aus dem Folgenden zu ersehen sein wird, nicht leugnen, daß ein sozialdemokratischer Staat auf niedriger Kulturstufe möglich ist. Wahrscheinlich hat sich ja das Privateigentum aus dem Gemeineigentum entwickelt, ein Prozeß, von dem bei allen Völkern Spuren vorhanden sind; daher haben wahrscheinlich einmal sozialdemokratische Zustände vorgeherrscht. Aber es scheint mir undenkbar, daß die heutige Gesellschaft Grenzboten III 1891 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/201>, abgerufen am 13.11.2024.