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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Korruption am Theater

chon Goethe hat im "Wilhelm Meister" mit klassischer Objek¬
tivität geschildert, wie anders das Verhalten des Schauspielers
außerhalb des Theaters ist, als man nach seinem Auftreten auf
der Bühne erwarten sollte. Ein Uneingeweihter denkt natürlich,
daß, wer dnrch seinen Beruf in steter Berührung mit dem
Schönsten und Edelsten gehalten wird, was Talent und Genie der Menschheit
an geistigen Schätzen hinterlassen haben, auch im gewöhnlichen Leben stets
von einer höheren Stimmung erfüllt sei, die alles Gemeine und Unedle aus
seinem Benehmen fern hält. Aber es giebt kaum eine stärkere Enttäuschung
als die, die das Privatleben der Bühnen Mitglieder, namentlich ihr Verkehr
untereinander, dem bietet, der Beobachtungen über den veredelnden Einfluß
der Kunst an ihren Jüngern machen zu können glaubt. Nirgends ist die
Plattheit, die Trivialität, der Mangel an Verständnis für den geistigen Gehalt
der Kunst größer als. am Theater. Wie der Bühnenleiter an den Stücken, die
er zur Aufführung bringt, mir ein geschäftliches Interesse hat, so ist dein
Bühnenmitglied das Stück nur Mittel zu persönlichem Erfolge; die, die
noch etwas Verständnis und Genußfähigkeit für ein Werk als solches haben,
sind seltene Ausnahmen. Da nun aller innerer Anteil an dem Inhalte der
Kunst wegfüllt, so kann auch von einer erhebenden Wirkung keine Rede sein.
Desto einflußreicher erweisen sich die rein äußerlichen Umstünde. Das stete
Zusammenprobiren und Zusammenspielen in allen möglichen Beziehungen, von
den erhabensten, intimsten und zärtlichsten bis zu den frivolsten, erzeugt einen
Grad von Vertraulichkeit, der den Bühnenmitgliedern das Gefühl für ihre
Würde als Privntpersönlichkeiten gänzlich verloren gehen läßt; und wenn sie
sich ihrer infolge fremder Geringschätzung erinnern, so Pflegt man aus der
theatralischen Art der Reaktion zu sehen, daß anstatt des Gefühls für persön¬
liche Würde nur noch das Pathos gekränkter Eitelkeit vorhanden ist. Sich
selbst überlasse", ist das Benehmen der Bnhneumitglieder unter einander
-- Ausnahmen natürlich immer abgerechnet -- im allgemeinen jeder Würde
bar. Nun könnte man allenfalls denken, es gehe einen Unbeteiligten nichts an,
wie Mitglieder eines Berufes mit einander verkehren, wenn sie unter sich siud.




Die Korruption am Theater

chon Goethe hat im „Wilhelm Meister" mit klassischer Objek¬
tivität geschildert, wie anders das Verhalten des Schauspielers
außerhalb des Theaters ist, als man nach seinem Auftreten auf
der Bühne erwarten sollte. Ein Uneingeweihter denkt natürlich,
daß, wer dnrch seinen Beruf in steter Berührung mit dem
Schönsten und Edelsten gehalten wird, was Talent und Genie der Menschheit
an geistigen Schätzen hinterlassen haben, auch im gewöhnlichen Leben stets
von einer höheren Stimmung erfüllt sei, die alles Gemeine und Unedle aus
seinem Benehmen fern hält. Aber es giebt kaum eine stärkere Enttäuschung
als die, die das Privatleben der Bühnen Mitglieder, namentlich ihr Verkehr
untereinander, dem bietet, der Beobachtungen über den veredelnden Einfluß
der Kunst an ihren Jüngern machen zu können glaubt. Nirgends ist die
Plattheit, die Trivialität, der Mangel an Verständnis für den geistigen Gehalt
der Kunst größer als. am Theater. Wie der Bühnenleiter an den Stücken, die
er zur Aufführung bringt, mir ein geschäftliches Interesse hat, so ist dein
Bühnenmitglied das Stück nur Mittel zu persönlichem Erfolge; die, die
noch etwas Verständnis und Genußfähigkeit für ein Werk als solches haben,
sind seltene Ausnahmen. Da nun aller innerer Anteil an dem Inhalte der
Kunst wegfüllt, so kann auch von einer erhebenden Wirkung keine Rede sein.
Desto einflußreicher erweisen sich die rein äußerlichen Umstünde. Das stete
Zusammenprobiren und Zusammenspielen in allen möglichen Beziehungen, von
den erhabensten, intimsten und zärtlichsten bis zu den frivolsten, erzeugt einen
Grad von Vertraulichkeit, der den Bühnenmitgliedern das Gefühl für ihre
Würde als Privntpersönlichkeiten gänzlich verloren gehen läßt; und wenn sie
sich ihrer infolge fremder Geringschätzung erinnern, so Pflegt man aus der
theatralischen Art der Reaktion zu sehen, daß anstatt des Gefühls für persön¬
liche Würde nur noch das Pathos gekränkter Eitelkeit vorhanden ist. Sich
selbst überlasse», ist das Benehmen der Bnhneumitglieder unter einander
— Ausnahmen natürlich immer abgerechnet — im allgemeinen jeder Würde
bar. Nun könnte man allenfalls denken, es gehe einen Unbeteiligten nichts an,
wie Mitglieder eines Berufes mit einander verkehren, wenn sie unter sich siud.


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[0178] [Abbildung] Die Korruption am Theater chon Goethe hat im „Wilhelm Meister" mit klassischer Objek¬ tivität geschildert, wie anders das Verhalten des Schauspielers außerhalb des Theaters ist, als man nach seinem Auftreten auf der Bühne erwarten sollte. Ein Uneingeweihter denkt natürlich, daß, wer dnrch seinen Beruf in steter Berührung mit dem Schönsten und Edelsten gehalten wird, was Talent und Genie der Menschheit an geistigen Schätzen hinterlassen haben, auch im gewöhnlichen Leben stets von einer höheren Stimmung erfüllt sei, die alles Gemeine und Unedle aus seinem Benehmen fern hält. Aber es giebt kaum eine stärkere Enttäuschung als die, die das Privatleben der Bühnen Mitglieder, namentlich ihr Verkehr untereinander, dem bietet, der Beobachtungen über den veredelnden Einfluß der Kunst an ihren Jüngern machen zu können glaubt. Nirgends ist die Plattheit, die Trivialität, der Mangel an Verständnis für den geistigen Gehalt der Kunst größer als. am Theater. Wie der Bühnenleiter an den Stücken, die er zur Aufführung bringt, mir ein geschäftliches Interesse hat, so ist dein Bühnenmitglied das Stück nur Mittel zu persönlichem Erfolge; die, die noch etwas Verständnis und Genußfähigkeit für ein Werk als solches haben, sind seltene Ausnahmen. Da nun aller innerer Anteil an dem Inhalte der Kunst wegfüllt, so kann auch von einer erhebenden Wirkung keine Rede sein. Desto einflußreicher erweisen sich die rein äußerlichen Umstünde. Das stete Zusammenprobiren und Zusammenspielen in allen möglichen Beziehungen, von den erhabensten, intimsten und zärtlichsten bis zu den frivolsten, erzeugt einen Grad von Vertraulichkeit, der den Bühnenmitgliedern das Gefühl für ihre Würde als Privntpersönlichkeiten gänzlich verloren gehen läßt; und wenn sie sich ihrer infolge fremder Geringschätzung erinnern, so Pflegt man aus der theatralischen Art der Reaktion zu sehen, daß anstatt des Gefühls für persön¬ liche Würde nur noch das Pathos gekränkter Eitelkeit vorhanden ist. Sich selbst überlasse», ist das Benehmen der Bnhneumitglieder unter einander — Ausnahmen natürlich immer abgerechnet — im allgemeinen jeder Würde bar. Nun könnte man allenfalls denken, es gehe einen Unbeteiligten nichts an, wie Mitglieder eines Berufes mit einander verkehren, wenn sie unter sich siud.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/178>, abgerufen am 23.07.2024.