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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ignaz von Döllinger

die "Erinnerungen" der Frau von Kobell bei allem Bestreben, den Menschen
zu schildern, doch auch reich um wissenschaftlichen Anregungen sind, weil sie
eben nicht so sehr Beobachtungen an Döllinger mitteilen, als seine stets gehalt¬
vollen Äußerungen verzeichnen. Diese sind nach bestimmten Gruppen zwanglos
geordnet und sollen das Verhältnis Döllingers zu Religion, Staat, Litteratur,
Kunst und Politik beleuchten. Uns fesselt vor allem der Mensch Döllinger.
den wir hier auf Grund der Kobellschen Erinnerungen zu skizziren versuchen wollen.

Frau von Kobell und andre weisen gern ans die innere Verwandtschaft
Döllingers mit Dante hin, den er auch die ganze Zeit seines Lebens tief ver¬
ehrt und geliebt hat; als ein Denkmal dieser begeisterten Liebe bezeichnet Fran
von Kobell den schonen Text Döllingers zu den Umrissen, die Cornelius zu
Dantes Paradies gezeichnet und veröffentlicht hat, und von dem sie am Schluß
eine kleine Blumenlese mitteilt, weil er sehr selten geworden ist. Uns scheint
in dein Charakter Döllingers, so viel man auch über die Ähnlichkeit der
Schicksale reden mag. ein wesentlicher Zug Dantes zu fehlen: die Leidenschaft.
Döllinger war vou Haus aus eine beschaulich religiöse Natur. Seine Mutter,
die Gattin des berühmten Physiologen und Anatomen Döllinger an der
Würzburger Universität, war eine fromme Katholikin, die bei ihren fleißigen
Kirchenbesuchen den geliebten Sohn mitnahm. Die Poesie der katholischen
Kirche und ihres Kultes machte auf das Gemüt des empfänglichen Knaben
einen tiefen Eindruck. Er fragte viel über theologische Dinge, der strenge
Vater antwortete immer nnr ausweichend: "Das weiß ich nicht" oder "das
weiß man nicht," und da -- sährt Döllinger fort -- "dachte ich mir schon
als Knabe, wenn dn die Theologie erlernst, wirst dn vieles begreifen und
verstehen und der Mutter Auskunft geben können. . . . Ich erwählte also diesen
Stand, um zu ergründen, was möglich sei, und habe, wie Sokrates, den
Trost, durch Fleiß und Mühe bis an die Grenze des menschlichen Wissens
gedrungen zu sein, aber wie weit blieb ich hinter dem zurück, was ich zu er¬
reichen hoffte." Es war ihm weniger darum zu thun, Geistlicher als Theologe
zu werden; es war der Wissenstrieb, nicht der äußere Ehrgeiz, der ihn in
diese Bahn brachte. Und in der That: Fanatiker, ein leidenschaftlicher Ver¬
treter der eeelösig, militans ist Döllinger nie geworden. Einmal sagte er zum
Staatsrat vou Eisenbart: "Sie haben Recht, daß ich ehemals den Ruf hatte,
ein ultramontaucr Politiker zu sein; aber eigentlich wurde ich dazu doch mehr
von meinen Freunden geschoben, als daß ich es freiwillig ward. Zum Beispiel
sträubte ich mich geradezu, in die Kammer der Abgeordneten zu treten. Der
Minister Abel ließ jedoch keinen meiner Gegengründe gelten, ich mußte Knmmcr-
mitglicd werden und war wohl der einzige, der froh war, als König Ludwig I.
meiner Kammerthätigkeit ein Ende setzte." Daraus sieht man, daß Döllingers
richtige Gelehrtennatur ursprünglich uicht deu geringsten Trieb zur Politik in
sich spürte; er fühlte sich glücklich in der beschaulichen Forscherarbeit. Charak-


Ignaz von Döllinger

die „Erinnerungen" der Frau von Kobell bei allem Bestreben, den Menschen
zu schildern, doch auch reich um wissenschaftlichen Anregungen sind, weil sie
eben nicht so sehr Beobachtungen an Döllinger mitteilen, als seine stets gehalt¬
vollen Äußerungen verzeichnen. Diese sind nach bestimmten Gruppen zwanglos
geordnet und sollen das Verhältnis Döllingers zu Religion, Staat, Litteratur,
Kunst und Politik beleuchten. Uns fesselt vor allem der Mensch Döllinger.
den wir hier auf Grund der Kobellschen Erinnerungen zu skizziren versuchen wollen.

Frau von Kobell und andre weisen gern ans die innere Verwandtschaft
Döllingers mit Dante hin, den er auch die ganze Zeit seines Lebens tief ver¬
ehrt und geliebt hat; als ein Denkmal dieser begeisterten Liebe bezeichnet Fran
von Kobell den schonen Text Döllingers zu den Umrissen, die Cornelius zu
Dantes Paradies gezeichnet und veröffentlicht hat, und von dem sie am Schluß
eine kleine Blumenlese mitteilt, weil er sehr selten geworden ist. Uns scheint
in dein Charakter Döllingers, so viel man auch über die Ähnlichkeit der
Schicksale reden mag. ein wesentlicher Zug Dantes zu fehlen: die Leidenschaft.
Döllinger war vou Haus aus eine beschaulich religiöse Natur. Seine Mutter,
die Gattin des berühmten Physiologen und Anatomen Döllinger an der
Würzburger Universität, war eine fromme Katholikin, die bei ihren fleißigen
Kirchenbesuchen den geliebten Sohn mitnahm. Die Poesie der katholischen
Kirche und ihres Kultes machte auf das Gemüt des empfänglichen Knaben
einen tiefen Eindruck. Er fragte viel über theologische Dinge, der strenge
Vater antwortete immer nnr ausweichend: „Das weiß ich nicht" oder „das
weiß man nicht," und da — sährt Döllinger fort — „dachte ich mir schon
als Knabe, wenn dn die Theologie erlernst, wirst dn vieles begreifen und
verstehen und der Mutter Auskunft geben können. . . . Ich erwählte also diesen
Stand, um zu ergründen, was möglich sei, und habe, wie Sokrates, den
Trost, durch Fleiß und Mühe bis an die Grenze des menschlichen Wissens
gedrungen zu sein, aber wie weit blieb ich hinter dem zurück, was ich zu er¬
reichen hoffte." Es war ihm weniger darum zu thun, Geistlicher als Theologe
zu werden; es war der Wissenstrieb, nicht der äußere Ehrgeiz, der ihn in
diese Bahn brachte. Und in der That: Fanatiker, ein leidenschaftlicher Ver¬
treter der eeelösig, militans ist Döllinger nie geworden. Einmal sagte er zum
Staatsrat vou Eisenbart: „Sie haben Recht, daß ich ehemals den Ruf hatte,
ein ultramontaucr Politiker zu sein; aber eigentlich wurde ich dazu doch mehr
von meinen Freunden geschoben, als daß ich es freiwillig ward. Zum Beispiel
sträubte ich mich geradezu, in die Kammer der Abgeordneten zu treten. Der
Minister Abel ließ jedoch keinen meiner Gegengründe gelten, ich mußte Knmmcr-
mitglicd werden und war wohl der einzige, der froh war, als König Ludwig I.
meiner Kammerthätigkeit ein Ende setzte." Daraus sieht man, daß Döllingers
richtige Gelehrtennatur ursprünglich uicht deu geringsten Trieb zur Politik in
sich spürte; er fühlte sich glücklich in der beschaulichen Forscherarbeit. Charak-


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[0173] Ignaz von Döllinger die „Erinnerungen" der Frau von Kobell bei allem Bestreben, den Menschen zu schildern, doch auch reich um wissenschaftlichen Anregungen sind, weil sie eben nicht so sehr Beobachtungen an Döllinger mitteilen, als seine stets gehalt¬ vollen Äußerungen verzeichnen. Diese sind nach bestimmten Gruppen zwanglos geordnet und sollen das Verhältnis Döllingers zu Religion, Staat, Litteratur, Kunst und Politik beleuchten. Uns fesselt vor allem der Mensch Döllinger. den wir hier auf Grund der Kobellschen Erinnerungen zu skizziren versuchen wollen. Frau von Kobell und andre weisen gern ans die innere Verwandtschaft Döllingers mit Dante hin, den er auch die ganze Zeit seines Lebens tief ver¬ ehrt und geliebt hat; als ein Denkmal dieser begeisterten Liebe bezeichnet Fran von Kobell den schonen Text Döllingers zu den Umrissen, die Cornelius zu Dantes Paradies gezeichnet und veröffentlicht hat, und von dem sie am Schluß eine kleine Blumenlese mitteilt, weil er sehr selten geworden ist. Uns scheint in dein Charakter Döllingers, so viel man auch über die Ähnlichkeit der Schicksale reden mag. ein wesentlicher Zug Dantes zu fehlen: die Leidenschaft. Döllinger war vou Haus aus eine beschaulich religiöse Natur. Seine Mutter, die Gattin des berühmten Physiologen und Anatomen Döllinger an der Würzburger Universität, war eine fromme Katholikin, die bei ihren fleißigen Kirchenbesuchen den geliebten Sohn mitnahm. Die Poesie der katholischen Kirche und ihres Kultes machte auf das Gemüt des empfänglichen Knaben einen tiefen Eindruck. Er fragte viel über theologische Dinge, der strenge Vater antwortete immer nnr ausweichend: „Das weiß ich nicht" oder „das weiß man nicht," und da — sährt Döllinger fort — „dachte ich mir schon als Knabe, wenn dn die Theologie erlernst, wirst dn vieles begreifen und verstehen und der Mutter Auskunft geben können. . . . Ich erwählte also diesen Stand, um zu ergründen, was möglich sei, und habe, wie Sokrates, den Trost, durch Fleiß und Mühe bis an die Grenze des menschlichen Wissens gedrungen zu sein, aber wie weit blieb ich hinter dem zurück, was ich zu er¬ reichen hoffte." Es war ihm weniger darum zu thun, Geistlicher als Theologe zu werden; es war der Wissenstrieb, nicht der äußere Ehrgeiz, der ihn in diese Bahn brachte. Und in der That: Fanatiker, ein leidenschaftlicher Ver¬ treter der eeelösig, militans ist Döllinger nie geworden. Einmal sagte er zum Staatsrat vou Eisenbart: „Sie haben Recht, daß ich ehemals den Ruf hatte, ein ultramontaucr Politiker zu sein; aber eigentlich wurde ich dazu doch mehr von meinen Freunden geschoben, als daß ich es freiwillig ward. Zum Beispiel sträubte ich mich geradezu, in die Kammer der Abgeordneten zu treten. Der Minister Abel ließ jedoch keinen meiner Gegengründe gelten, ich mußte Knmmcr- mitglicd werden und war wohl der einzige, der froh war, als König Ludwig I. meiner Kammerthätigkeit ein Ende setzte." Daraus sieht man, daß Döllingers richtige Gelehrtennatur ursprünglich uicht deu geringsten Trieb zur Politik in sich spürte; er fühlte sich glücklich in der beschaulichen Forscherarbeit. Charak-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/173>, abgerufen am 26.08.2024.