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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

tholischen Pfarrer so. Erst dieser Tage erfuhr ich von einem, der den ärmern
nnter seinen Kirchkinder" -- das Dorf ist ganz katholisch -- nicht einen Morgen
Pachtacker abläßt, und wenn sie ihn kniefällig darum bitten. Er hat die ganze
Widmut dein gnädigen Herrn verpachtet, der, nebenbei bemerkt, Protestant und
Millionär ist. Höchst wahrscheinlich ist der ketzerische Junker dein Pfarrer nicht
weniger zuwider, als dieser, ein richtiger Pfaffe der allerunangenehmsten Sorte,
dein feingebildeten stolzen protestantischen Freiherrn; aber darin sind beide einig,
basi sie den armen Bewohnern ihres Dorfes keinen Scholle des Ackers gönnen,
der nach der ursprünglichen Idee der Kirche das xatrinittinmn znuxörmn sein soll.
Der Papst hätte, anstatt sich in seiner Enehklika mit Dingen zu befassen, die andre
Leute besser verstehen und gründlicher zu besorgen vermögen, lieber solchen Geist¬
lichen den Text lesen sollen.

In mehreren Gegenden haben auch die evangelischen Pfarrer Widmnten. Die
katholischen haben keine Familie und können daher, ohne dabei sonderliche Opfer
zu bringen, über deu Pfarracker stiftungsgemäß verfügen; um so härtern Tadel
verdienen sie, wenn sie es nicht thun. Den evangelischen fällt es um so schwerer,
je reichlicher ihr Kindersegen gewöhnlich ist; Ehre ihnen, wenn sie sich dennoch
diesen Zweig sozialer Wirksamkeit nicht entgehen lassen! In manchen Kleinstaaten
freilich, wie in Baden, ist ihnen die freie Verfügung über den Pfnrracker entzogen.
Man sage nicht, die Zahl der ländlichen Familien, denen auf solche Weise ihre
Existenz gesichert werden könnte, sei zu klein, als daß sie bei der großen sozialen
Frage in Betracht kommen könnte. Erstens giebt es in sozialer Beziehung nichts
Kleines, für die Wertschätzung des Christen, dem jede einzelne Menschenseele, ge¬
schweige denn eine ganze Familie teuer ist, schon lange nicht. Sodann aber kommt
alles ans die Wiederbelebung des rechten Geistes an. Der Erfolg großartiger
Nefvrmgesetze ist stets zweifelhaft. Unzweifelhaft ist nur das, daß gesundes Leben
aus dem gefunden Geiste hervorgeht, der im ganzen Volk in tausenderlei, je nach
Umständen verschiednen Gestalten thätig sein muß, und daß das Volk einem in
sozialen Mißbildungen sich äußernden Siechtum verfällt, wo der rechte Geist fehlt.
Fehlt er aber an Stellen, wo man ihn am ehesten zu erwarten berechtigt ist, dann
fehlt er meistens überhaupt.




Litteratur
Arbeitseinstellungen und Fortbildung des Arbeitsvertrages. Berichte von
G. Auerbach, W. Lob und F. Zahn, im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik heraus¬
gegeben und eingeleitet von L. Brentano. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890

Die Gedanken, denen Brentano und seine Schüler Geltung zu verschaffen
suchen, sind folgende. Die Befreiung des ländlichen und gewerblichen Arbeiters
von den mancherlei Fesseln, die er im Zeitalter des Feudalismus und der Zünfte
zu tragen hatte, war der Idee nach ein Fortschritt, der aber vorläufig eine Ver¬
schlechterung seiner wirklichen Lage zur Folge hatte. Der "freie Arbeitsvertrag"
war eine Lüge, so lange der einzelne Arbeiter dem einzelnen Unternehmer gegen-


Grenzboten III 1891 18
Litteratur

tholischen Pfarrer so. Erst dieser Tage erfuhr ich von einem, der den ärmern
nnter seinen Kirchkinder» — das Dorf ist ganz katholisch — nicht einen Morgen
Pachtacker abläßt, und wenn sie ihn kniefällig darum bitten. Er hat die ganze
Widmut dein gnädigen Herrn verpachtet, der, nebenbei bemerkt, Protestant und
Millionär ist. Höchst wahrscheinlich ist der ketzerische Junker dein Pfarrer nicht
weniger zuwider, als dieser, ein richtiger Pfaffe der allerunangenehmsten Sorte,
dein feingebildeten stolzen protestantischen Freiherrn; aber darin sind beide einig,
basi sie den armen Bewohnern ihres Dorfes keinen Scholle des Ackers gönnen,
der nach der ursprünglichen Idee der Kirche das xatrinittinmn znuxörmn sein soll.
Der Papst hätte, anstatt sich in seiner Enehklika mit Dingen zu befassen, die andre
Leute besser verstehen und gründlicher zu besorgen vermögen, lieber solchen Geist¬
lichen den Text lesen sollen.

In mehreren Gegenden haben auch die evangelischen Pfarrer Widmnten. Die
katholischen haben keine Familie und können daher, ohne dabei sonderliche Opfer
zu bringen, über deu Pfarracker stiftungsgemäß verfügen; um so härtern Tadel
verdienen sie, wenn sie es nicht thun. Den evangelischen fällt es um so schwerer,
je reichlicher ihr Kindersegen gewöhnlich ist; Ehre ihnen, wenn sie sich dennoch
diesen Zweig sozialer Wirksamkeit nicht entgehen lassen! In manchen Kleinstaaten
freilich, wie in Baden, ist ihnen die freie Verfügung über den Pfnrracker entzogen.
Man sage nicht, die Zahl der ländlichen Familien, denen auf solche Weise ihre
Existenz gesichert werden könnte, sei zu klein, als daß sie bei der großen sozialen
Frage in Betracht kommen könnte. Erstens giebt es in sozialer Beziehung nichts
Kleines, für die Wertschätzung des Christen, dem jede einzelne Menschenseele, ge¬
schweige denn eine ganze Familie teuer ist, schon lange nicht. Sodann aber kommt
alles ans die Wiederbelebung des rechten Geistes an. Der Erfolg großartiger
Nefvrmgesetze ist stets zweifelhaft. Unzweifelhaft ist nur das, daß gesundes Leben
aus dem gefunden Geiste hervorgeht, der im ganzen Volk in tausenderlei, je nach
Umständen verschiednen Gestalten thätig sein muß, und daß das Volk einem in
sozialen Mißbildungen sich äußernden Siechtum verfällt, wo der rechte Geist fehlt.
Fehlt er aber an Stellen, wo man ihn am ehesten zu erwarten berechtigt ist, dann
fehlt er meistens überhaupt.




Litteratur
Arbeitseinstellungen und Fortbildung des Arbeitsvertrages. Berichte von
G. Auerbach, W. Lob und F. Zahn, im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik heraus¬
gegeben und eingeleitet von L. Brentano. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890

Die Gedanken, denen Brentano und seine Schüler Geltung zu verschaffen
suchen, sind folgende. Die Befreiung des ländlichen und gewerblichen Arbeiters
von den mancherlei Fesseln, die er im Zeitalter des Feudalismus und der Zünfte
zu tragen hatte, war der Idee nach ein Fortschritt, der aber vorläufig eine Ver¬
schlechterung seiner wirklichen Lage zur Folge hatte. Der „freie Arbeitsvertrag"
war eine Lüge, so lange der einzelne Arbeiter dem einzelnen Unternehmer gegen-


Grenzboten III 1891 18
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[0145] Litteratur tholischen Pfarrer so. Erst dieser Tage erfuhr ich von einem, der den ärmern nnter seinen Kirchkinder» — das Dorf ist ganz katholisch — nicht einen Morgen Pachtacker abläßt, und wenn sie ihn kniefällig darum bitten. Er hat die ganze Widmut dein gnädigen Herrn verpachtet, der, nebenbei bemerkt, Protestant und Millionär ist. Höchst wahrscheinlich ist der ketzerische Junker dein Pfarrer nicht weniger zuwider, als dieser, ein richtiger Pfaffe der allerunangenehmsten Sorte, dein feingebildeten stolzen protestantischen Freiherrn; aber darin sind beide einig, basi sie den armen Bewohnern ihres Dorfes keinen Scholle des Ackers gönnen, der nach der ursprünglichen Idee der Kirche das xatrinittinmn znuxörmn sein soll. Der Papst hätte, anstatt sich in seiner Enehklika mit Dingen zu befassen, die andre Leute besser verstehen und gründlicher zu besorgen vermögen, lieber solchen Geist¬ lichen den Text lesen sollen. In mehreren Gegenden haben auch die evangelischen Pfarrer Widmnten. Die katholischen haben keine Familie und können daher, ohne dabei sonderliche Opfer zu bringen, über deu Pfarracker stiftungsgemäß verfügen; um so härtern Tadel verdienen sie, wenn sie es nicht thun. Den evangelischen fällt es um so schwerer, je reichlicher ihr Kindersegen gewöhnlich ist; Ehre ihnen, wenn sie sich dennoch diesen Zweig sozialer Wirksamkeit nicht entgehen lassen! In manchen Kleinstaaten freilich, wie in Baden, ist ihnen die freie Verfügung über den Pfnrracker entzogen. Man sage nicht, die Zahl der ländlichen Familien, denen auf solche Weise ihre Existenz gesichert werden könnte, sei zu klein, als daß sie bei der großen sozialen Frage in Betracht kommen könnte. Erstens giebt es in sozialer Beziehung nichts Kleines, für die Wertschätzung des Christen, dem jede einzelne Menschenseele, ge¬ schweige denn eine ganze Familie teuer ist, schon lange nicht. Sodann aber kommt alles ans die Wiederbelebung des rechten Geistes an. Der Erfolg großartiger Nefvrmgesetze ist stets zweifelhaft. Unzweifelhaft ist nur das, daß gesundes Leben aus dem gefunden Geiste hervorgeht, der im ganzen Volk in tausenderlei, je nach Umständen verschiednen Gestalten thätig sein muß, und daß das Volk einem in sozialen Mißbildungen sich äußernden Siechtum verfällt, wo der rechte Geist fehlt. Fehlt er aber an Stellen, wo man ihn am ehesten zu erwarten berechtigt ist, dann fehlt er meistens überhaupt. Litteratur Arbeitseinstellungen und Fortbildung des Arbeitsvertrages. Berichte von G. Auerbach, W. Lob und F. Zahn, im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik heraus¬ gegeben und eingeleitet von L. Brentano. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890 Die Gedanken, denen Brentano und seine Schüler Geltung zu verschaffen suchen, sind folgende. Die Befreiung des ländlichen und gewerblichen Arbeiters von den mancherlei Fesseln, die er im Zeitalter des Feudalismus und der Zünfte zu tragen hatte, war der Idee nach ein Fortschritt, der aber vorläufig eine Ver¬ schlechterung seiner wirklichen Lage zur Folge hatte. Der „freie Arbeitsvertrag" war eine Lüge, so lange der einzelne Arbeiter dem einzelnen Unternehmer gegen- Grenzboten III 1891 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/145>, abgerufen am 23.07.2024.