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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die internationale Annstansstcllung in Berlin

Reise noch erweiterte. Der nordafrikanische Orient ist nach Fvrtnnys Vor-
gange anch jetzt noch ein beliebtes Studienfeld spanischer und italienischer
Genre- und Landschaftsmaler. Was Albert Pasini und Josv Villegns daraus
geschöpft haben, ist auf unsrer Ausstellung nur ungenügend durch zwei Bilder
von Villegas: eine Erklärung des Korans durch einen Schriftgelehrten vor
wißbegierigen Zuhörern und eine Gruppe betender Araber vertreten. Aber
man sieht doch aus solchen Studien, daß auch Italiener und Spanier das
Bedürfnis fühlen, die "Sonnenhaftigkeit" ihrer Augen noch durch eine heißere
und grellere Sonne aufzufrischen, als sie ihnen die heimatlichen Bergplateaus
und Kampagnen darbieten. Der künstlerische Sinn der italienischen und
spanischen Maler für die Landschaft und ihre Abarten ist überhaupt erst in
jüngster Zeit erwacht. Seit der Mitte der siebziger Jahre, von wo etwa der
Zufluß italienischer und spanischer Kunstwerke nach Deutschland begonnen hat,
haben wir beobachten können -- lind diese Beobachtung haben wir, für Italien
wenigstens, auch in den dortigen Kunstausstellungen und Sammlungen be¬
stätigt gefunden --, daß eine Landschaftsmalers in unserm Sinne, d. h. mit
dein vollen Aufgebot von Stimmung, poetischer Empfindung, feiner Durch¬
bildung aller atmosphärischen Erscheinungen u. s. w., erst seit vier oder fünf
Jahren besteht. Die Gründe dafür mögen verschiedene gewesen sein. Viel¬
leicht mochten die Italiener eingesehen haben, daß sie den deutschen Land¬
schaftsmalern, die den ewig blauen Himmel Italiens zu einem künstlerischen
Dogma erhoben hatten und sich an intensiver Himmelsbläue mit rötlichen,
purpurrotem und violetten Abwandlungen überboten, doch keine Konkurrenz
zu machen vermochten. Vielleicht hatte sie ihr angeborner Farbensinn auch
von der Fruchtlosigkeit überzeugt, einem blauen, wolkenlosen Himmel ohne
romantische Schönfärbereien koloristische Wirkungen abzugewinnen, die nicht
roh auf die Sinne einstürmen. Jedenfalls lehren uns die italienischen und
spanischen Landschaften unsrer Ausstellung, daß ihre Schöpfer den typischen,
jetzt aber schon mehr sagenhaft gewordenen "Himmel Italiens" ans dem
Bereich ihrer Darstellung ausschließen und sich diesen Himmel lieber an¬
setzn, wenn er halb oder ganz bewölkt ist, wenn er Regen oder Schnee
herabsendet lind wenn die mit ihn: verbündeten Elemente und Wettererschei-
nnngen, Wind, reißendes Wasser, angeschwollene Flüsse u. s. w., seiner
Laune und seiner Physiognomie entsprechen. Der aufmerksame Zeitungsleser
wird finden, wie schön diese Landschaften mit den Unhcilspvsten übereinstimmen,
die die Agenzia Stefani, das Wolffsche Bureau und andre Sammelstellen von
Depeschen fast täglich aus der apenninischen Halbinsel den Zeitungen zur
weitern Verbreitung übermitteln. Der italienische Maler, der durch seiue große
Fruchtbarkeit in neuerer Zeit am meisten dazu beigetragen hat, deu Himmel
und die Witterungsverhältnisse Italiens in ihrer wahren Gestalt zu zeigen,
ist der Neapolitaner Carlo Braneaeeiv. Er steht in vollem Gegensatz zu den


Die internationale Annstansstcllung in Berlin

Reise noch erweiterte. Der nordafrikanische Orient ist nach Fvrtnnys Vor-
gange anch jetzt noch ein beliebtes Studienfeld spanischer und italienischer
Genre- und Landschaftsmaler. Was Albert Pasini und Josv Villegns daraus
geschöpft haben, ist auf unsrer Ausstellung nur ungenügend durch zwei Bilder
von Villegas: eine Erklärung des Korans durch einen Schriftgelehrten vor
wißbegierigen Zuhörern und eine Gruppe betender Araber vertreten. Aber
man sieht doch aus solchen Studien, daß auch Italiener und Spanier das
Bedürfnis fühlen, die „Sonnenhaftigkeit" ihrer Augen noch durch eine heißere
und grellere Sonne aufzufrischen, als sie ihnen die heimatlichen Bergplateaus
und Kampagnen darbieten. Der künstlerische Sinn der italienischen und
spanischen Maler für die Landschaft und ihre Abarten ist überhaupt erst in
jüngster Zeit erwacht. Seit der Mitte der siebziger Jahre, von wo etwa der
Zufluß italienischer und spanischer Kunstwerke nach Deutschland begonnen hat,
haben wir beobachten können — lind diese Beobachtung haben wir, für Italien
wenigstens, auch in den dortigen Kunstausstellungen und Sammlungen be¬
stätigt gefunden —, daß eine Landschaftsmalers in unserm Sinne, d. h. mit
dein vollen Aufgebot von Stimmung, poetischer Empfindung, feiner Durch¬
bildung aller atmosphärischen Erscheinungen u. s. w., erst seit vier oder fünf
Jahren besteht. Die Gründe dafür mögen verschiedene gewesen sein. Viel¬
leicht mochten die Italiener eingesehen haben, daß sie den deutschen Land¬
schaftsmalern, die den ewig blauen Himmel Italiens zu einem künstlerischen
Dogma erhoben hatten und sich an intensiver Himmelsbläue mit rötlichen,
purpurrotem und violetten Abwandlungen überboten, doch keine Konkurrenz
zu machen vermochten. Vielleicht hatte sie ihr angeborner Farbensinn auch
von der Fruchtlosigkeit überzeugt, einem blauen, wolkenlosen Himmel ohne
romantische Schönfärbereien koloristische Wirkungen abzugewinnen, die nicht
roh auf die Sinne einstürmen. Jedenfalls lehren uns die italienischen und
spanischen Landschaften unsrer Ausstellung, daß ihre Schöpfer den typischen,
jetzt aber schon mehr sagenhaft gewordenen „Himmel Italiens" ans dem
Bereich ihrer Darstellung ausschließen und sich diesen Himmel lieber an¬
setzn, wenn er halb oder ganz bewölkt ist, wenn er Regen oder Schnee
herabsendet lind wenn die mit ihn: verbündeten Elemente und Wettererschei-
nnngen, Wind, reißendes Wasser, angeschwollene Flüsse u. s. w., seiner
Laune und seiner Physiognomie entsprechen. Der aufmerksame Zeitungsleser
wird finden, wie schön diese Landschaften mit den Unhcilspvsten übereinstimmen,
die die Agenzia Stefani, das Wolffsche Bureau und andre Sammelstellen von
Depeschen fast täglich aus der apenninischen Halbinsel den Zeitungen zur
weitern Verbreitung übermitteln. Der italienische Maler, der durch seiue große
Fruchtbarkeit in neuerer Zeit am meisten dazu beigetragen hat, deu Himmel
und die Witterungsverhältnisse Italiens in ihrer wahren Gestalt zu zeigen,
ist der Neapolitaner Carlo Braneaeeiv. Er steht in vollem Gegensatz zu den


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[0132] Die internationale Annstansstcllung in Berlin Reise noch erweiterte. Der nordafrikanische Orient ist nach Fvrtnnys Vor- gange anch jetzt noch ein beliebtes Studienfeld spanischer und italienischer Genre- und Landschaftsmaler. Was Albert Pasini und Josv Villegns daraus geschöpft haben, ist auf unsrer Ausstellung nur ungenügend durch zwei Bilder von Villegas: eine Erklärung des Korans durch einen Schriftgelehrten vor wißbegierigen Zuhörern und eine Gruppe betender Araber vertreten. Aber man sieht doch aus solchen Studien, daß auch Italiener und Spanier das Bedürfnis fühlen, die „Sonnenhaftigkeit" ihrer Augen noch durch eine heißere und grellere Sonne aufzufrischen, als sie ihnen die heimatlichen Bergplateaus und Kampagnen darbieten. Der künstlerische Sinn der italienischen und spanischen Maler für die Landschaft und ihre Abarten ist überhaupt erst in jüngster Zeit erwacht. Seit der Mitte der siebziger Jahre, von wo etwa der Zufluß italienischer und spanischer Kunstwerke nach Deutschland begonnen hat, haben wir beobachten können — lind diese Beobachtung haben wir, für Italien wenigstens, auch in den dortigen Kunstausstellungen und Sammlungen be¬ stätigt gefunden —, daß eine Landschaftsmalers in unserm Sinne, d. h. mit dein vollen Aufgebot von Stimmung, poetischer Empfindung, feiner Durch¬ bildung aller atmosphärischen Erscheinungen u. s. w., erst seit vier oder fünf Jahren besteht. Die Gründe dafür mögen verschiedene gewesen sein. Viel¬ leicht mochten die Italiener eingesehen haben, daß sie den deutschen Land¬ schaftsmalern, die den ewig blauen Himmel Italiens zu einem künstlerischen Dogma erhoben hatten und sich an intensiver Himmelsbläue mit rötlichen, purpurrotem und violetten Abwandlungen überboten, doch keine Konkurrenz zu machen vermochten. Vielleicht hatte sie ihr angeborner Farbensinn auch von der Fruchtlosigkeit überzeugt, einem blauen, wolkenlosen Himmel ohne romantische Schönfärbereien koloristische Wirkungen abzugewinnen, die nicht roh auf die Sinne einstürmen. Jedenfalls lehren uns die italienischen und spanischen Landschaften unsrer Ausstellung, daß ihre Schöpfer den typischen, jetzt aber schon mehr sagenhaft gewordenen „Himmel Italiens" ans dem Bereich ihrer Darstellung ausschließen und sich diesen Himmel lieber an¬ setzn, wenn er halb oder ganz bewölkt ist, wenn er Regen oder Schnee herabsendet lind wenn die mit ihn: verbündeten Elemente und Wettererschei- nnngen, Wind, reißendes Wasser, angeschwollene Flüsse u. s. w., seiner Laune und seiner Physiognomie entsprechen. Der aufmerksame Zeitungsleser wird finden, wie schön diese Landschaften mit den Unhcilspvsten übereinstimmen, die die Agenzia Stefani, das Wolffsche Bureau und andre Sammelstellen von Depeschen fast täglich aus der apenninischen Halbinsel den Zeitungen zur weitern Verbreitung übermitteln. Der italienische Maler, der durch seiue große Fruchtbarkeit in neuerer Zeit am meisten dazu beigetragen hat, deu Himmel und die Witterungsverhältnisse Italiens in ihrer wahren Gestalt zu zeigen, ist der Neapolitaner Carlo Braneaeeiv. Er steht in vollem Gegensatz zu den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/132>, abgerufen am 26.08.2024.