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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Landwucher

menschlichen Einrichtungen, also auch der Gesetze, und an der Fehlbarkeit der
Menschen selbst, zu denen sowohl die gelehrtesten wie mich die einsichtigsten,
d. h. die dem Rechtsbedürfuis möglichst entgegenkommenden Richter gehören.
Man hat zwar hie und da den Gerichten vorgeworfen, daß sie die Vor¬
schriften des Wuchergcsetzes in einer Weise angewendet hätten, die "von einer
einseitigen Schuldefiuitiou diktirt" sei, und ich will gar nicht in Abrede stellen,
daß es auch Richter giebt, die trotz ehrlichsten Strebens, ihrem Amte gerecht
zu werden, sich an der Kenntnis des Knochengerüstes ihres Rechtssystems
allzu gern genügen lassen und dabei selbst so verknöchern, daß sie die Haupt¬
sache, nämlich das lebendige Rechtsleben und das, was zu dessen Erhaltung
nötig ist, allzu wenig berücksichtigen. Nun bedenke man aber, daß die Wucher¬
gesetzgebung in zwei große Nechtsteile eingreift, sowohl in das Strafrecht wie
in das bürgerliche Recht. Hätte man es nur mit dem bürgerlichen Recht zu
thun, nur über die privatrechtliche Giltigkeit oder Ungiltigkeit der Wucher¬
rechtsgeschäfte zu richten, deren Beurteilung in dem einen oder andern Sinne
bloß zur Zusprechung oder Aberkennung von Vermögensansprücheu führen
könnte, so würde vielleicht die Rechtsprechung in Wuchersachen ein andres
Gesicht zeigen. Aber an der Spitze der ganzen neuen rechtlichen Regelung
steht ein Strafgesetz, und die Ungiltigkeitserklärung von Wucherverträgen hat
zur Voraussetzung, daß sie gegen dieses Strafgesetz verstoßen, das den Wucher
mit Gefängnis bedroht. Da es nun aber ein uralter und richtiger Grundsatz
unsers Strafrechts ist, daß niemand bestraft werden darf, der nicht etwas
ausdrücklich Verbotenes begangen hat -- denn was nicht verboten ist, gilt
als erlaubt, oder wie das lateinische Rechtssprichwort besagt: ^ullum eriinvn
sing logg xoenali --, so kann von einer ausdehnenden Auslegung des Wncher-
gesetzes nicht wohl die Rede sein, zumal da sie auch das deutsche Strafgesetz¬
buch im § 2 (ähnliches enthielt schon die Carolinci), wie folgt, untersagt:
"Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese
Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Dar¬
nach hat man insbesondre einen strafbaren Wucher nicht angenommen, wenn
ein Schuldner, dem die Forderung von dem bisherigen Gläubiger gekündigt
ist, sich an einen andern Geldgeber wendet, dem der alte Gläubiger gegen
Auszahlung des Schuldbetrags, ohne daß solcher erst durch die Hände des
Schuldners geht, die Forderung abtritt. Dergleichen Geschäfte sind nament¬
lich im Grundbuchverkehr üblich, weil hier diese sofortige Übertragung und
Umschreibung der Forderung ans den neuen Berechtigten, abgesehen von einer
gewissen Kostenersparnis, die Möglichkeit bietet, diesem auch das hypothekarische
Rangrecht unter den verschiedenen nach einander, mit den Rechten nach der
Zeitfolge der Eintragung, verdunsten Ansprüche mitznüberweisen. Und ebenso
nahe liegt es, daß vermöge des höhern Wertes und der größern Sicherstellung
solcher an einem Grundstück haftenden Vermögensrechte gerade hier eine


Der Landwucher

menschlichen Einrichtungen, also auch der Gesetze, und an der Fehlbarkeit der
Menschen selbst, zu denen sowohl die gelehrtesten wie mich die einsichtigsten,
d. h. die dem Rechtsbedürfuis möglichst entgegenkommenden Richter gehören.
Man hat zwar hie und da den Gerichten vorgeworfen, daß sie die Vor¬
schriften des Wuchergcsetzes in einer Weise angewendet hätten, die „von einer
einseitigen Schuldefiuitiou diktirt" sei, und ich will gar nicht in Abrede stellen,
daß es auch Richter giebt, die trotz ehrlichsten Strebens, ihrem Amte gerecht
zu werden, sich an der Kenntnis des Knochengerüstes ihres Rechtssystems
allzu gern genügen lassen und dabei selbst so verknöchern, daß sie die Haupt¬
sache, nämlich das lebendige Rechtsleben und das, was zu dessen Erhaltung
nötig ist, allzu wenig berücksichtigen. Nun bedenke man aber, daß die Wucher¬
gesetzgebung in zwei große Nechtsteile eingreift, sowohl in das Strafrecht wie
in das bürgerliche Recht. Hätte man es nur mit dem bürgerlichen Recht zu
thun, nur über die privatrechtliche Giltigkeit oder Ungiltigkeit der Wucher¬
rechtsgeschäfte zu richten, deren Beurteilung in dem einen oder andern Sinne
bloß zur Zusprechung oder Aberkennung von Vermögensansprücheu führen
könnte, so würde vielleicht die Rechtsprechung in Wuchersachen ein andres
Gesicht zeigen. Aber an der Spitze der ganzen neuen rechtlichen Regelung
steht ein Strafgesetz, und die Ungiltigkeitserklärung von Wucherverträgen hat
zur Voraussetzung, daß sie gegen dieses Strafgesetz verstoßen, das den Wucher
mit Gefängnis bedroht. Da es nun aber ein uralter und richtiger Grundsatz
unsers Strafrechts ist, daß niemand bestraft werden darf, der nicht etwas
ausdrücklich Verbotenes begangen hat — denn was nicht verboten ist, gilt
als erlaubt, oder wie das lateinische Rechtssprichwort besagt: ^ullum eriinvn
sing logg xoenali —, so kann von einer ausdehnenden Auslegung des Wncher-
gesetzes nicht wohl die Rede sein, zumal da sie auch das deutsche Strafgesetz¬
buch im § 2 (ähnliches enthielt schon die Carolinci), wie folgt, untersagt:
„Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese
Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Dar¬
nach hat man insbesondre einen strafbaren Wucher nicht angenommen, wenn
ein Schuldner, dem die Forderung von dem bisherigen Gläubiger gekündigt
ist, sich an einen andern Geldgeber wendet, dem der alte Gläubiger gegen
Auszahlung des Schuldbetrags, ohne daß solcher erst durch die Hände des
Schuldners geht, die Forderung abtritt. Dergleichen Geschäfte sind nament¬
lich im Grundbuchverkehr üblich, weil hier diese sofortige Übertragung und
Umschreibung der Forderung ans den neuen Berechtigten, abgesehen von einer
gewissen Kostenersparnis, die Möglichkeit bietet, diesem auch das hypothekarische
Rangrecht unter den verschiedenen nach einander, mit den Rechten nach der
Zeitfolge der Eintragung, verdunsten Ansprüche mitznüberweisen. Und ebenso
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solcher an einem Grundstück haftenden Vermögensrechte gerade hier eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/127>, abgerufen am 26.08.2024.