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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Hieran schließen sich in den tztz 302 d, 302 o, 302ä Sonderbestimmungen über
solchen Wucher, der verschleiert, wechselmüßig, unter Ehrenwort- oder Eides¬
abnahme u. dergl. verübt worden ist, ferner gegen dritte ErWerber von Wucher¬
forderungen und gegen gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Wucher. Weiter
folgt im Artikel 2 des Gesetzes eine Ausdehnung der bisherigen Vorschriften
sür die Pfandleiher auf die Rückkaufhändler und endlich im Artikel 3 der
Ausspruch der bürgerlichrechtlichen Ungiltigkeit von Wucherverträgcn nebst der
nähern Regelung dieses Punktes.

Trotz zahlreicher Verurteilungen auf Grund des neuen Gesetzes, die am
besten dessen Notwendigkeit beweisen, haben doch auch manche Freisprechungen
die Unzulänglichkeit der neuen Strafbestimmung ergeben, und es haben deshalb
die auf Ergänzung des Fehlenden gerichteten Bestrebungen namentlich derer,
die den Landmann und die Landwirtschaft als die Hauptgrundlage unsrer
Ernährung vor dem drohenden Niedergang bewahren wollen, in immer höherm
Grade die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. So ist namentlich der Begriff des
Laudwuchcrs, mit dem zuweilen der hauptsächlich am Rhein und in Hessen
auftretende Viehwucher eng zusammenhängt, in neuerer Zeit in den Vorder¬
grund getreten und bildet eine" Teil der vielgestaltigen Aufgaben unsrer
Reichsgesetzgebung. Die Lösung der Ausgabe zu befördern und Stoff für die
sachgemäße Behandlung der Sache darzubieten, ist der Zweck des vorliegenden
Aufsatzes.

Wenn man sich mit einer allgemeinern Betrachtung des Wuchers befaßt,
selbst unter Einschränkung des Begriffes auf ein Ausbedingen übermäßig hoher
Vorteile unter Ausbeutung der Notlage eines andern und unter Ausschluß
desjenigen Eigennutzes, der durch Betrügereien, z. B. durch bezüglichen Bankerott,
schnell reich zu werden sucht, so könnte man allerhand Vorkommnisse in nnserm
täglichen Leben ohne große Mühe in gewisse Verwandtschaft mit dein Wucher
bringen. Wenn z. B. in unsrer Reichshauptstadt fette Häuseronkel ihre großen
Wohngebüudc mit Vorliebe in lauter ganz kleine Wohnungen zerlegen, die
aus je einer Stube und einer Küche bestehen, und dann von Jahr zu Jahr
den als Mieter aufgenommenen Arbeiterfamilien höhere, natürlich monatlich
im voraus zählbare Mieter abnötigen -- mir sind Jahresmieten von 450 Mark
bekannt geworden --, wenn manche Spezialärzte, auch solche von bedeutendem
Rufe, die Gewährung ihrer für die Erhaltung eines Menschenlebens vielleicht
entscheidenden Hilfe von der Zusicherung oder gar Vorauszahlung schier
unerschwinglichen Honorars abhängig machen, wogegen doch die ärztlichen
Standesvertretungen nachdrücklich einschreiten sollten, wenn ferner berühmte
Verteidiger in gleicher Weise einem Angeklagten gegenübertreten, dem es an
den Kragen geht, und der, wenn much vielleicht ans bloßer Einbildung, gerade
von diesem Fürsprecher sein Heil erwartet -- so kann man in diesen Fällen
"des Wunderns mit dem Pfunde" gewiß einen kleinen Beigeschmack von Aus-


Hieran schließen sich in den tztz 302 d, 302 o, 302ä Sonderbestimmungen über
solchen Wucher, der verschleiert, wechselmüßig, unter Ehrenwort- oder Eides¬
abnahme u. dergl. verübt worden ist, ferner gegen dritte ErWerber von Wucher¬
forderungen und gegen gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Wucher. Weiter
folgt im Artikel 2 des Gesetzes eine Ausdehnung der bisherigen Vorschriften
sür die Pfandleiher auf die Rückkaufhändler und endlich im Artikel 3 der
Ausspruch der bürgerlichrechtlichen Ungiltigkeit von Wucherverträgcn nebst der
nähern Regelung dieses Punktes.

Trotz zahlreicher Verurteilungen auf Grund des neuen Gesetzes, die am
besten dessen Notwendigkeit beweisen, haben doch auch manche Freisprechungen
die Unzulänglichkeit der neuen Strafbestimmung ergeben, und es haben deshalb
die auf Ergänzung des Fehlenden gerichteten Bestrebungen namentlich derer,
die den Landmann und die Landwirtschaft als die Hauptgrundlage unsrer
Ernährung vor dem drohenden Niedergang bewahren wollen, in immer höherm
Grade die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. So ist namentlich der Begriff des
Laudwuchcrs, mit dem zuweilen der hauptsächlich am Rhein und in Hessen
auftretende Viehwucher eng zusammenhängt, in neuerer Zeit in den Vorder¬
grund getreten und bildet eine» Teil der vielgestaltigen Aufgaben unsrer
Reichsgesetzgebung. Die Lösung der Ausgabe zu befördern und Stoff für die
sachgemäße Behandlung der Sache darzubieten, ist der Zweck des vorliegenden
Aufsatzes.

Wenn man sich mit einer allgemeinern Betrachtung des Wuchers befaßt,
selbst unter Einschränkung des Begriffes auf ein Ausbedingen übermäßig hoher
Vorteile unter Ausbeutung der Notlage eines andern und unter Ausschluß
desjenigen Eigennutzes, der durch Betrügereien, z. B. durch bezüglichen Bankerott,
schnell reich zu werden sucht, so könnte man allerhand Vorkommnisse in nnserm
täglichen Leben ohne große Mühe in gewisse Verwandtschaft mit dein Wucher
bringen. Wenn z. B. in unsrer Reichshauptstadt fette Häuseronkel ihre großen
Wohngebüudc mit Vorliebe in lauter ganz kleine Wohnungen zerlegen, die
aus je einer Stube und einer Küche bestehen, und dann von Jahr zu Jahr
den als Mieter aufgenommenen Arbeiterfamilien höhere, natürlich monatlich
im voraus zählbare Mieter abnötigen — mir sind Jahresmieten von 450 Mark
bekannt geworden —, wenn manche Spezialärzte, auch solche von bedeutendem
Rufe, die Gewährung ihrer für die Erhaltung eines Menschenlebens vielleicht
entscheidenden Hilfe von der Zusicherung oder gar Vorauszahlung schier
unerschwinglichen Honorars abhängig machen, wogegen doch die ärztlichen
Standesvertretungen nachdrücklich einschreiten sollten, wenn ferner berühmte
Verteidiger in gleicher Weise einem Angeklagten gegenübertreten, dem es an
den Kragen geht, und der, wenn much vielleicht ans bloßer Einbildung, gerade
von diesem Fürsprecher sein Heil erwartet — so kann man in diesen Fällen
»des Wunderns mit dem Pfunde" gewiß einen kleinen Beigeschmack von Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/125>, abgerufen am 26.08.2024.