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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wer hat Recht?

bewußt und entschlossen, die Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt,
zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen."
Zu den ersten Pflichten, die so dein Arbeiter durch den internationalen Grund¬
satz auferlegt werden, gehört es natürlich, die Liebe zum Baterland und zu
den vaterländischen Einrichtungen aus dem Herzen des Arbeiters herauszu¬
reißen. Die Trennung des Arbeiters von dem Leibe seines Volkes war vor
allem das Werk von K- Marx, dem es gelang, beim Hinüberwerfen der Agi¬
tation von der Fremde des englischen Bodens in sein Heimatland gerade die
internationale Theorie in die sozialdemokratische Bewegung zu bringen. Die
Londoner Statuten der Internationalen betonen nichts mehr, als daß bisher
alle auf das große Ziel der Arbeiteremanzipation gerichtete Anstrengung an
dem "NichtVorhandensein des brüderlichen Bandes der Einheit" der Arbeiter
aller Nationalitäten gescheitert sei, und daß diese Emanzipation alle Länder
umfassen müsst, in denen moderne Gesellschaft bestehe. Es war der Agitator
mit dem kalten, fanatischen Herzen, dem es sür sich selbst nie schwer geworden
war, die Heimat mit der Fremde zu vertauschen, und der mit scharfem Auge
erkannte, daß die ökonomischen Forderungen der sozialdemokratischen Gesell¬
schaft durch nichts mehr Propaganda machen würden, als wenn der wilde
Appetit der urteilslosen Masse nach den Gütern des kommunistischen Heils in
allen Kulturländern aufgeregt würde. Es ist ihm das aber nirgends besser
geglückt als in Deutschland, wo der vaterländische Gedanke auch noch nach den
großen Ereignissen von 1866 so schwer Wurzel fassen konnte. Als K. Marx
seine revolutionären Ideen nach Deutschland warf, war gerade der erste Grund
zu einem nationalen Ganzen durch die Errichtung des Norddeutschen Vnndes
gelegt worden. Alle die unzufriednen Elemente, die damals noch in so großer
Anzahl vorhanden warm, und die jedes gegen die Nation gerichtete Bestreben
willkommen hießen, boten ein ergiebiges Feld gerade für eine Agitation im
Sinne der Jnteruationalitüt. So ward der internationale Gedanke zuerst in
die Landesversammlnug sächsischer Arbeiter geworfen, die im August 1866 zu
Chemnitz zusammentrat. Das Programm, das hier von Bebel und Liebknecht,
denen sich eine Anzahl verbissener Partiknlaristen anschlössen, aufgestellt wurde,
konnte zwar damals noch nicht die reine kommunistische Gesellschaft von Marx
offen verkündigen; bis zu Marx reichten damals weder die Gedanken der Doktri¬
näre, noch die der Partikularsten, noch die der Arbeiter. Aber der partiku-
laristisch-volksparteiliche Boden der demokratischen Versammlung, für die der
Preußenhaß das Bindemittel war, war doch immerhin geeignet, den nations¬
feindlichen Gedanken zunächst in die Masse des sächsischen Arbeiterstandes zu
werfen. Alles, was man auf der Versammlung verlangte, mußte und sollte
dazu dienen, die Liebe zum vaterländischen Staate nicht keimen zu lassen. Und
so beklagte man den beendeten Krieg, der uns aus dem kleinstaatlichen Jammer
und dem Gespötte der Fremden herausgehoben hatte, als das größte National-


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bewußt und entschlossen, die Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt,
zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen."
Zu den ersten Pflichten, die so dein Arbeiter durch den internationalen Grund¬
satz auferlegt werden, gehört es natürlich, die Liebe zum Baterland und zu
den vaterländischen Einrichtungen aus dem Herzen des Arbeiters herauszu¬
reißen. Die Trennung des Arbeiters von dem Leibe seines Volkes war vor
allem das Werk von K- Marx, dem es gelang, beim Hinüberwerfen der Agi¬
tation von der Fremde des englischen Bodens in sein Heimatland gerade die
internationale Theorie in die sozialdemokratische Bewegung zu bringen. Die
Londoner Statuten der Internationalen betonen nichts mehr, als daß bisher
alle auf das große Ziel der Arbeiteremanzipation gerichtete Anstrengung an
dem „NichtVorhandensein des brüderlichen Bandes der Einheit" der Arbeiter
aller Nationalitäten gescheitert sei, und daß diese Emanzipation alle Länder
umfassen müsst, in denen moderne Gesellschaft bestehe. Es war der Agitator
mit dem kalten, fanatischen Herzen, dem es sür sich selbst nie schwer geworden
war, die Heimat mit der Fremde zu vertauschen, und der mit scharfem Auge
erkannte, daß die ökonomischen Forderungen der sozialdemokratischen Gesell¬
schaft durch nichts mehr Propaganda machen würden, als wenn der wilde
Appetit der urteilslosen Masse nach den Gütern des kommunistischen Heils in
allen Kulturländern aufgeregt würde. Es ist ihm das aber nirgends besser
geglückt als in Deutschland, wo der vaterländische Gedanke auch noch nach den
großen Ereignissen von 1866 so schwer Wurzel fassen konnte. Als K. Marx
seine revolutionären Ideen nach Deutschland warf, war gerade der erste Grund
zu einem nationalen Ganzen durch die Errichtung des Norddeutschen Vnndes
gelegt worden. Alle die unzufriednen Elemente, die damals noch in so großer
Anzahl vorhanden warm, und die jedes gegen die Nation gerichtete Bestreben
willkommen hießen, boten ein ergiebiges Feld gerade für eine Agitation im
Sinne der Jnteruationalitüt. So ward der internationale Gedanke zuerst in
die Landesversammlnug sächsischer Arbeiter geworfen, die im August 1866 zu
Chemnitz zusammentrat. Das Programm, das hier von Bebel und Liebknecht,
denen sich eine Anzahl verbissener Partiknlaristen anschlössen, aufgestellt wurde,
konnte zwar damals noch nicht die reine kommunistische Gesellschaft von Marx
offen verkündigen; bis zu Marx reichten damals weder die Gedanken der Doktri¬
näre, noch die der Partikularsten, noch die der Arbeiter. Aber der partiku-
laristisch-volksparteiliche Boden der demokratischen Versammlung, für die der
Preußenhaß das Bindemittel war, war doch immerhin geeignet, den nations¬
feindlichen Gedanken zunächst in die Masse des sächsischen Arbeiterstandes zu
werfen. Alles, was man auf der Versammlung verlangte, mußte und sollte
dazu dienen, die Liebe zum vaterländischen Staate nicht keimen zu lassen. Und
so beklagte man den beendeten Krieg, der uns aus dem kleinstaatlichen Jammer
und dem Gespötte der Fremden herausgehoben hatte, als das größte National-


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[0114] Wer hat Recht? bewußt und entschlossen, die Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt, zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen." Zu den ersten Pflichten, die so dein Arbeiter durch den internationalen Grund¬ satz auferlegt werden, gehört es natürlich, die Liebe zum Baterland und zu den vaterländischen Einrichtungen aus dem Herzen des Arbeiters herauszu¬ reißen. Die Trennung des Arbeiters von dem Leibe seines Volkes war vor allem das Werk von K- Marx, dem es gelang, beim Hinüberwerfen der Agi¬ tation von der Fremde des englischen Bodens in sein Heimatland gerade die internationale Theorie in die sozialdemokratische Bewegung zu bringen. Die Londoner Statuten der Internationalen betonen nichts mehr, als daß bisher alle auf das große Ziel der Arbeiteremanzipation gerichtete Anstrengung an dem „NichtVorhandensein des brüderlichen Bandes der Einheit" der Arbeiter aller Nationalitäten gescheitert sei, und daß diese Emanzipation alle Länder umfassen müsst, in denen moderne Gesellschaft bestehe. Es war der Agitator mit dem kalten, fanatischen Herzen, dem es sür sich selbst nie schwer geworden war, die Heimat mit der Fremde zu vertauschen, und der mit scharfem Auge erkannte, daß die ökonomischen Forderungen der sozialdemokratischen Gesell¬ schaft durch nichts mehr Propaganda machen würden, als wenn der wilde Appetit der urteilslosen Masse nach den Gütern des kommunistischen Heils in allen Kulturländern aufgeregt würde. Es ist ihm das aber nirgends besser geglückt als in Deutschland, wo der vaterländische Gedanke auch noch nach den großen Ereignissen von 1866 so schwer Wurzel fassen konnte. Als K. Marx seine revolutionären Ideen nach Deutschland warf, war gerade der erste Grund zu einem nationalen Ganzen durch die Errichtung des Norddeutschen Vnndes gelegt worden. Alle die unzufriednen Elemente, die damals noch in so großer Anzahl vorhanden warm, und die jedes gegen die Nation gerichtete Bestreben willkommen hießen, boten ein ergiebiges Feld gerade für eine Agitation im Sinne der Jnteruationalitüt. So ward der internationale Gedanke zuerst in die Landesversammlnug sächsischer Arbeiter geworfen, die im August 1866 zu Chemnitz zusammentrat. Das Programm, das hier von Bebel und Liebknecht, denen sich eine Anzahl verbissener Partiknlaristen anschlössen, aufgestellt wurde, konnte zwar damals noch nicht die reine kommunistische Gesellschaft von Marx offen verkündigen; bis zu Marx reichten damals weder die Gedanken der Doktri¬ näre, noch die der Partikularsten, noch die der Arbeiter. Aber der partiku- laristisch-volksparteiliche Boden der demokratischen Versammlung, für die der Preußenhaß das Bindemittel war, war doch immerhin geeignet, den nations¬ feindlichen Gedanken zunächst in die Masse des sächsischen Arbeiterstandes zu werfen. Alles, was man auf der Versammlung verlangte, mußte und sollte dazu dienen, die Liebe zum vaterländischen Staate nicht keimen zu lassen. Und so beklagte man den beendeten Krieg, der uns aus dem kleinstaatlichen Jammer und dem Gespötte der Fremden herausgehoben hatte, als das größte National-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/114>, abgerufen am 26.08.2024.