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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wer hat Recht?

internationalen Arbeiterassoziation an, die im September 1864 als Bundes-
prvgramm auf dem Londoner Meeting durch Karl Marx aufgestellt wurden,
bis herab zu der Rede, die Bebel am 5. Juni dieses Jahres gehalten hat und
worin er die Vrotverteuerung als Beweis für die Notwendigkeit anführte,
daß eine Umwandlung der Gesellschaft von Grund aus vorzunehmen, und
zwar "in erster Linie durch Umwandlung der Privatwirtschaft des Grund und
Bodens in sozialistische Gcmeinwirtschaft vorzunehmen" sei, auf dieser ganzen
Reihe immer dieselben Ziele, Gedanken und Forderungen stehen: die Abtren¬
nung der arbeitenden Klassen von der übrigen bürgerlichen Gesellschaft, also
die Auflösung der staatlichen Gemeinschaft, die Aufhebung des Eigentums und
des Erbrechts, die Jnternationalität, d. h. die Vernichtung des nationalen
Geistes. Nur Lassalle, der wenige Wochen vor dem Londoner Meeting ge¬
storben war, war ein guter Patriot gewesen und hatte eine "nationale Kultur¬
bewegung" im Auge gehabt. Hätte er länger gelebt, so ist keine Frage, seine
leidenschaftliche Liebe zu dem Boden, der ihn erzeugt und ernährt hatte, wäre
auch ihm bei seinen eignen Anhängern zur Schmach geworden. Denn anch
die Anhänger Lassalles haben nach seinem Tode gnr bald die internationale
Phrase und mit ihr jenen Haß gegen das Vaterland gepflegt, wie er sich
jetzt in dem lügenhaften Gewebe Liebknechts über die Emser Depesche in
jedem sozialistischen Winkelblatt mit böser Grimasse ausspricht. Und so ist
denn jetzt auf der ganzen Linie der sozialdemokratischen Wühlerei jene Über¬
einstimmung in den letzten Zielen, die so lange bleiben wird, so lange es der
Kampf gegen 6le bürgerliche Gemeinschaft erfordert.

Worin diese Ziele bestehen, stellt am knappsten das Gothaer Programm
vom Mai 1875 zusammen. Da werden wir belehrt, daß, woran noch kein
Mensch gezweifelt hat, die Arbeit die Quelle alles Reichtums und aller Kultur
sei, und daran wird mit Berserkerlogik die Behauptung geknüpft, daß allge¬
mein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich sei; darum gehöre
auch das gesamte Arbeitsprodukt der Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern,
jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. Was das für "vernunft¬
gemäße" Bedürfnisse sind, und wie ihre Produktion und Konsumtion bei dieser
ungeheuern Gemeiuschaftsmasse geregelt werden soll, der Zwang, der zu solcher
Regelung erforderlich wäre und an den kein Zwang unsrer Zuchthäuser hinan¬
reichen würde, das alles wird unter der grauen Phrase der Verteilung des
Arbeitsprodukts nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Be¬
dürfnissen, vorläufig dem gläubigen Anhänger versteckt, thut aber bis zu der
Zeit, wo die Entfaltung der neuen Gesellschaft möglich wird, die vortreff¬
lichsten Dienste. Denn die Aufstellung des schönen Zukunftsbildes, wo alle
wünschenswerten Genüsse bei mäßiger Arbeit jedem zu teil werdeu, gewinnt
alle Urteilslvsen. In dem Gothaer Programm heißt es dann wieder: "In
der heutigen Gesellschaft sind alle Arbeitsmittel Monopol der 5Üipitalistenklnsse;


Wer hat Recht?

internationalen Arbeiterassoziation an, die im September 1864 als Bundes-
prvgramm auf dem Londoner Meeting durch Karl Marx aufgestellt wurden,
bis herab zu der Rede, die Bebel am 5. Juni dieses Jahres gehalten hat und
worin er die Vrotverteuerung als Beweis für die Notwendigkeit anführte,
daß eine Umwandlung der Gesellschaft von Grund aus vorzunehmen, und
zwar „in erster Linie durch Umwandlung der Privatwirtschaft des Grund und
Bodens in sozialistische Gcmeinwirtschaft vorzunehmen" sei, auf dieser ganzen
Reihe immer dieselben Ziele, Gedanken und Forderungen stehen: die Abtren¬
nung der arbeitenden Klassen von der übrigen bürgerlichen Gesellschaft, also
die Auflösung der staatlichen Gemeinschaft, die Aufhebung des Eigentums und
des Erbrechts, die Jnternationalität, d. h. die Vernichtung des nationalen
Geistes. Nur Lassalle, der wenige Wochen vor dem Londoner Meeting ge¬
storben war, war ein guter Patriot gewesen und hatte eine „nationale Kultur¬
bewegung" im Auge gehabt. Hätte er länger gelebt, so ist keine Frage, seine
leidenschaftliche Liebe zu dem Boden, der ihn erzeugt und ernährt hatte, wäre
auch ihm bei seinen eignen Anhängern zur Schmach geworden. Denn anch
die Anhänger Lassalles haben nach seinem Tode gnr bald die internationale
Phrase und mit ihr jenen Haß gegen das Vaterland gepflegt, wie er sich
jetzt in dem lügenhaften Gewebe Liebknechts über die Emser Depesche in
jedem sozialistischen Winkelblatt mit böser Grimasse ausspricht. Und so ist
denn jetzt auf der ganzen Linie der sozialdemokratischen Wühlerei jene Über¬
einstimmung in den letzten Zielen, die so lange bleiben wird, so lange es der
Kampf gegen 6le bürgerliche Gemeinschaft erfordert.

Worin diese Ziele bestehen, stellt am knappsten das Gothaer Programm
vom Mai 1875 zusammen. Da werden wir belehrt, daß, woran noch kein
Mensch gezweifelt hat, die Arbeit die Quelle alles Reichtums und aller Kultur
sei, und daran wird mit Berserkerlogik die Behauptung geknüpft, daß allge¬
mein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich sei; darum gehöre
auch das gesamte Arbeitsprodukt der Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern,
jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. Was das für „vernunft¬
gemäße" Bedürfnisse sind, und wie ihre Produktion und Konsumtion bei dieser
ungeheuern Gemeiuschaftsmasse geregelt werden soll, der Zwang, der zu solcher
Regelung erforderlich wäre und an den kein Zwang unsrer Zuchthäuser hinan¬
reichen würde, das alles wird unter der grauen Phrase der Verteilung des
Arbeitsprodukts nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Be¬
dürfnissen, vorläufig dem gläubigen Anhänger versteckt, thut aber bis zu der
Zeit, wo die Entfaltung der neuen Gesellschaft möglich wird, die vortreff¬
lichsten Dienste. Denn die Aufstellung des schönen Zukunftsbildes, wo alle
wünschenswerten Genüsse bei mäßiger Arbeit jedem zu teil werdeu, gewinnt
alle Urteilslvsen. In dem Gothaer Programm heißt es dann wieder: „In
der heutigen Gesellschaft sind alle Arbeitsmittel Monopol der 5Üipitalistenklnsse;


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[0112] Wer hat Recht? internationalen Arbeiterassoziation an, die im September 1864 als Bundes- prvgramm auf dem Londoner Meeting durch Karl Marx aufgestellt wurden, bis herab zu der Rede, die Bebel am 5. Juni dieses Jahres gehalten hat und worin er die Vrotverteuerung als Beweis für die Notwendigkeit anführte, daß eine Umwandlung der Gesellschaft von Grund aus vorzunehmen, und zwar „in erster Linie durch Umwandlung der Privatwirtschaft des Grund und Bodens in sozialistische Gcmeinwirtschaft vorzunehmen" sei, auf dieser ganzen Reihe immer dieselben Ziele, Gedanken und Forderungen stehen: die Abtren¬ nung der arbeitenden Klassen von der übrigen bürgerlichen Gesellschaft, also die Auflösung der staatlichen Gemeinschaft, die Aufhebung des Eigentums und des Erbrechts, die Jnternationalität, d. h. die Vernichtung des nationalen Geistes. Nur Lassalle, der wenige Wochen vor dem Londoner Meeting ge¬ storben war, war ein guter Patriot gewesen und hatte eine „nationale Kultur¬ bewegung" im Auge gehabt. Hätte er länger gelebt, so ist keine Frage, seine leidenschaftliche Liebe zu dem Boden, der ihn erzeugt und ernährt hatte, wäre auch ihm bei seinen eignen Anhängern zur Schmach geworden. Denn anch die Anhänger Lassalles haben nach seinem Tode gnr bald die internationale Phrase und mit ihr jenen Haß gegen das Vaterland gepflegt, wie er sich jetzt in dem lügenhaften Gewebe Liebknechts über die Emser Depesche in jedem sozialistischen Winkelblatt mit böser Grimasse ausspricht. Und so ist denn jetzt auf der ganzen Linie der sozialdemokratischen Wühlerei jene Über¬ einstimmung in den letzten Zielen, die so lange bleiben wird, so lange es der Kampf gegen 6le bürgerliche Gemeinschaft erfordert. Worin diese Ziele bestehen, stellt am knappsten das Gothaer Programm vom Mai 1875 zusammen. Da werden wir belehrt, daß, woran noch kein Mensch gezweifelt hat, die Arbeit die Quelle alles Reichtums und aller Kultur sei, und daran wird mit Berserkerlogik die Behauptung geknüpft, daß allge¬ mein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich sei; darum gehöre auch das gesamte Arbeitsprodukt der Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern, jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. Was das für „vernunft¬ gemäße" Bedürfnisse sind, und wie ihre Produktion und Konsumtion bei dieser ungeheuern Gemeiuschaftsmasse geregelt werden soll, der Zwang, der zu solcher Regelung erforderlich wäre und an den kein Zwang unsrer Zuchthäuser hinan¬ reichen würde, das alles wird unter der grauen Phrase der Verteilung des Arbeitsprodukts nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Be¬ dürfnissen, vorläufig dem gläubigen Anhänger versteckt, thut aber bis zu der Zeit, wo die Entfaltung der neuen Gesellschaft möglich wird, die vortreff¬ lichsten Dienste. Denn die Aufstellung des schönen Zukunftsbildes, wo alle wünschenswerten Genüsse bei mäßiger Arbeit jedem zu teil werdeu, gewinnt alle Urteilslvsen. In dem Gothaer Programm heißt es dann wieder: „In der heutigen Gesellschaft sind alle Arbeitsmittel Monopol der 5Üipitalistenklnsse;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/112>, abgerufen am 26.08.2024.