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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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<La Streifzug durch das Gestrüpp der Frauenfrage

sprechen hört und selbst sprechen lernt, tragen viel zu seiner innern Entwicklung
bei; sie können aber unmöglich eitles thun und sind uur von Wert mis Nahme",
der die systematische Erziehung und Heranbildung umgiebt. Viele Menschen
sind wohlerzogen und sind dennoch nicht erzogen. Von größter Wichtigkeit
ist bei der Beschäftigung mit Kindern das Vertrautsein mit den Naturwissen¬
schaften. Ein Mensch kann in der Pflanzen-, Tier- und Steinwelt und am
gestirnten Himmel gar nicht gut genug Bescheid wissen. Wie viele große und
kleine Kinder finden z. V. das Spazierengehen langweilig, weil sie etwas ge¬
boten haben wollen, und sie das, was sich ihnen auf Schritt und Tritt bietet,
uicht erkennen. Kinder und Erwachsene sollen sich in ihrer freien Zeit gut
unterhalten, gediegner ausgedrückt: sich ihren Neigungen entsprechend be¬
schäftigen, denn anch Langeweile ist aller Laster Anfang. Dazu, daß Kinder
die Natur kennen und lieben lernen, ist aber unbedingt nötig, daß die Er¬
wachsenen ihnen darin vorangehen. Es handelt sich hierbei weniger um ein¬
maliges Erzählen von Thatsachen, die man kurz vorher mit oder ohne Rücksicht
auf solche Verwertung gelesen oder gelernt hat, sondern um das Lebendig-
erhalten der Aufmerksamkeit durch häufiges Anknüpfen an das, was sich gerade
darbietet; und das läßt sich nicht im Fluge erlernen, dazu müssen die Kenntnisse
tief und fest sitzen.

Wenden wir uns nun der Altjuugferufrage zu, an die meist ausschließlich
gedacht wird, wenn man von der Frauenfrage spricht. Zu den Beweisen, die
ich für die Notwendigkeit anführen will, dein weiblichen Geschlecht einen größern
Wirkungskreis anzuweisen, liefern Unverheiratete das Hauptmaterial. Ver¬
heiratete Frauen kommen nur uuter schon früher erwähnten Umständen als
Ausnahmen in Betracht. Wollten wir nnn auch annehmen, daß alle unter
normalen, glücklichen Verhältnissen herangewachsenen Mädchen heiraten, so
bliebe immer noch 'eine große Schar andrer übrig, von denen zwar anch viele
heiraten, die aber im großen Ganzen weniger dazu berufen erscheinen. Aber
auch von den dazu erzogenen heiraten manche uicht, und diese gerade sind,
wenn der Ernst des Lebens an sie herantritt, die Bedauernswürdiger,!, weil
er sie so wenig gewappnet findet. Viele von ihnen greifen, wenn alle Stricke
reißen, zu dein, was sie am besten gelernt, am meisten geübt haben, zur
Handarbeit. Hier aber überlasse ich dem sehr lesenswerten ersten Rechenschafts¬
berichte der "Wiener Produktivgeuossenschaft für Fraueuhaudarbeit" das Wort,
eines rühmlichen Unternehmens, das den Zweck hat, die armen, von der Hand
in den Mund lebenden Handarbeiterinnen den Ansbentnngs-, ja Anssangungs-
bestrebnngen der Zwischenhändler zu entziehen. Dort heißt es: "Daß diese
Art der Erwerbsthätigkeit nicht etwa bloß das Los derjenigen ist, welche
-- wie man sich oft leichtfertigerweisc auszudrücken beliebt -- nichts besseres
gelernt haben, darüber kann unsre sonst noch in den Wickeln liegende Genvssen-
schaftsstatistik bereits Aufschluß geben. In den Reihen unsrer Mitglieder


<La Streifzug durch das Gestrüpp der Frauenfrage

sprechen hört und selbst sprechen lernt, tragen viel zu seiner innern Entwicklung
bei; sie können aber unmöglich eitles thun und sind uur von Wert mis Nahme»,
der die systematische Erziehung und Heranbildung umgiebt. Viele Menschen
sind wohlerzogen und sind dennoch nicht erzogen. Von größter Wichtigkeit
ist bei der Beschäftigung mit Kindern das Vertrautsein mit den Naturwissen¬
schaften. Ein Mensch kann in der Pflanzen-, Tier- und Steinwelt und am
gestirnten Himmel gar nicht gut genug Bescheid wissen. Wie viele große und
kleine Kinder finden z. V. das Spazierengehen langweilig, weil sie etwas ge¬
boten haben wollen, und sie das, was sich ihnen auf Schritt und Tritt bietet,
uicht erkennen. Kinder und Erwachsene sollen sich in ihrer freien Zeit gut
unterhalten, gediegner ausgedrückt: sich ihren Neigungen entsprechend be¬
schäftigen, denn anch Langeweile ist aller Laster Anfang. Dazu, daß Kinder
die Natur kennen und lieben lernen, ist aber unbedingt nötig, daß die Er¬
wachsenen ihnen darin vorangehen. Es handelt sich hierbei weniger um ein¬
maliges Erzählen von Thatsachen, die man kurz vorher mit oder ohne Rücksicht
auf solche Verwertung gelesen oder gelernt hat, sondern um das Lebendig-
erhalten der Aufmerksamkeit durch häufiges Anknüpfen an das, was sich gerade
darbietet; und das läßt sich nicht im Fluge erlernen, dazu müssen die Kenntnisse
tief und fest sitzen.

Wenden wir uns nun der Altjuugferufrage zu, an die meist ausschließlich
gedacht wird, wenn man von der Frauenfrage spricht. Zu den Beweisen, die
ich für die Notwendigkeit anführen will, dein weiblichen Geschlecht einen größern
Wirkungskreis anzuweisen, liefern Unverheiratete das Hauptmaterial. Ver¬
heiratete Frauen kommen nur uuter schon früher erwähnten Umständen als
Ausnahmen in Betracht. Wollten wir nnn auch annehmen, daß alle unter
normalen, glücklichen Verhältnissen herangewachsenen Mädchen heiraten, so
bliebe immer noch 'eine große Schar andrer übrig, von denen zwar anch viele
heiraten, die aber im großen Ganzen weniger dazu berufen erscheinen. Aber
auch von den dazu erzogenen heiraten manche uicht, und diese gerade sind,
wenn der Ernst des Lebens an sie herantritt, die Bedauernswürdiger,!, weil
er sie so wenig gewappnet findet. Viele von ihnen greifen, wenn alle Stricke
reißen, zu dein, was sie am besten gelernt, am meisten geübt haben, zur
Handarbeit. Hier aber überlasse ich dem sehr lesenswerten ersten Rechenschafts¬
berichte der „Wiener Produktivgeuossenschaft für Fraueuhaudarbeit" das Wort,
eines rühmlichen Unternehmens, das den Zweck hat, die armen, von der Hand
in den Mund lebenden Handarbeiterinnen den Ansbentnngs-, ja Anssangungs-
bestrebnngen der Zwischenhändler zu entziehen. Dort heißt es: „Daß diese
Art der Erwerbsthätigkeit nicht etwa bloß das Los derjenigen ist, welche
— wie man sich oft leichtfertigerweisc auszudrücken beliebt — nichts besseres
gelernt haben, darüber kann unsre sonst noch in den Wickeln liegende Genvssen-
schaftsstatistik bereits Aufschluß geben. In den Reihen unsrer Mitglieder


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[0095] <La Streifzug durch das Gestrüpp der Frauenfrage sprechen hört und selbst sprechen lernt, tragen viel zu seiner innern Entwicklung bei; sie können aber unmöglich eitles thun und sind uur von Wert mis Nahme», der die systematische Erziehung und Heranbildung umgiebt. Viele Menschen sind wohlerzogen und sind dennoch nicht erzogen. Von größter Wichtigkeit ist bei der Beschäftigung mit Kindern das Vertrautsein mit den Naturwissen¬ schaften. Ein Mensch kann in der Pflanzen-, Tier- und Steinwelt und am gestirnten Himmel gar nicht gut genug Bescheid wissen. Wie viele große und kleine Kinder finden z. V. das Spazierengehen langweilig, weil sie etwas ge¬ boten haben wollen, und sie das, was sich ihnen auf Schritt und Tritt bietet, uicht erkennen. Kinder und Erwachsene sollen sich in ihrer freien Zeit gut unterhalten, gediegner ausgedrückt: sich ihren Neigungen entsprechend be¬ schäftigen, denn anch Langeweile ist aller Laster Anfang. Dazu, daß Kinder die Natur kennen und lieben lernen, ist aber unbedingt nötig, daß die Er¬ wachsenen ihnen darin vorangehen. Es handelt sich hierbei weniger um ein¬ maliges Erzählen von Thatsachen, die man kurz vorher mit oder ohne Rücksicht auf solche Verwertung gelesen oder gelernt hat, sondern um das Lebendig- erhalten der Aufmerksamkeit durch häufiges Anknüpfen an das, was sich gerade darbietet; und das läßt sich nicht im Fluge erlernen, dazu müssen die Kenntnisse tief und fest sitzen. Wenden wir uns nun der Altjuugferufrage zu, an die meist ausschließlich gedacht wird, wenn man von der Frauenfrage spricht. Zu den Beweisen, die ich für die Notwendigkeit anführen will, dein weiblichen Geschlecht einen größern Wirkungskreis anzuweisen, liefern Unverheiratete das Hauptmaterial. Ver¬ heiratete Frauen kommen nur uuter schon früher erwähnten Umständen als Ausnahmen in Betracht. Wollten wir nnn auch annehmen, daß alle unter normalen, glücklichen Verhältnissen herangewachsenen Mädchen heiraten, so bliebe immer noch 'eine große Schar andrer übrig, von denen zwar anch viele heiraten, die aber im großen Ganzen weniger dazu berufen erscheinen. Aber auch von den dazu erzogenen heiraten manche uicht, und diese gerade sind, wenn der Ernst des Lebens an sie herantritt, die Bedauernswürdiger,!, weil er sie so wenig gewappnet findet. Viele von ihnen greifen, wenn alle Stricke reißen, zu dein, was sie am besten gelernt, am meisten geübt haben, zur Handarbeit. Hier aber überlasse ich dem sehr lesenswerten ersten Rechenschafts¬ berichte der „Wiener Produktivgeuossenschaft für Fraueuhaudarbeit" das Wort, eines rühmlichen Unternehmens, das den Zweck hat, die armen, von der Hand in den Mund lebenden Handarbeiterinnen den Ansbentnngs-, ja Anssangungs- bestrebnngen der Zwischenhändler zu entziehen. Dort heißt es: „Daß diese Art der Erwerbsthätigkeit nicht etwa bloß das Los derjenigen ist, welche — wie man sich oft leichtfertigerweisc auszudrücken beliebt — nichts besseres gelernt haben, darüber kann unsre sonst noch in den Wickeln liegende Genvssen- schaftsstatistik bereits Aufschluß geben. In den Reihen unsrer Mitglieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/95>, abgerufen am 24.07.2024.