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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ein Streifzug durch das Gestrüpp der -sranenfrcizo

Worte ausführend, sagen: Das Weib hat nnr insoweit es Gattin und Mutter
ist, vollberechtigter Anspruch auf Schutz und Hilfe des Staates, d. h. insofern
es durch Familiengründung der Volkskraft die Reserven zum Kulturkampf
liefert, denn ans dem gesunden Familienleben ruht die Macht einer Nation u. s. w.,
so gehen sie damit entweder zu weit oder nicht weit genug. Zu weit, weil
das Weib die Familie nicht gründet und weil ihr guter Wille und ihre
Fähigkeiten nicht hinreichen, um ein Familienleben gesund zu machen. Nicht
weit genug, weil sie sonst auch dem unverheirateten Manne Schutz und Hilfe
des Staates entziehen und von diesem dreierlei verlangen müßten: I. den
Ausschluß unverheirateter Männer vom Staatsdienst, oder eine Besoldung der
Staatsbeamten, die es ihnen möglich macht, eine Familie zu erhalten, auch
ohne eignes Vermögen oder das einer Frau, die vielleicht nur des Geldes
wegen geheiratet wurde; 2. die Stiftung erfolgverbürgeuder Freiplätze in
Franzensbad, Phrmout und wie die Orte alle heißen mögen, für unbemittelte
kinderlose Staatsbürgersfrauen und 3. ein Gesetz, wonach mindestens ebenso
viele Knaben wie Mädchen geboren zu werden haben. Andernfalls wäre die
Ungerechtigkeit empörend, mit der das Schicksal einen großen Teil des einen
Geschlechtes von dem einzigen zum Sattesseu berechtigenden Beruf ausschlösse,
und ohne derartige Maßregeln wäre der Krebsschaden der alten Jungfern
beim besten Willen nicht anders als durch Mädcheumord aus der Welt zu
schaffen. Natürlich unterschreibe ich einen andern, demselben Aufsatz^) ent¬
lehnten Satz, nach dem "die tüchtigste, am höchsten zu ehrende Frau die ist,
die der Welt die größte Zahl besterzogeuer Kinder geschenkt hat," und bedaure
nur, daß er von vielen Frauen noch für ebenso richtig gehalten wird, wenn
das Wort "besterzogen" darin fehlt. Denn erst an der Erziehung werden
Nur den wahren Wert einer Mutter erkennen. Erziehen aber heißt Pflegen,
und Pflegen heißt, unermüdlich Opfer für des andern Wohl bringen. Alle
Eltern sind bereit, ihren Kindern Opfer zu bringen, aber wie viele verstehen
darunter andre als Geldopfer, und wie viel Geld kostet es oft, daß Eltern
vor kleinen Opfern an Zeit, an Selbstüberwindung zurückschrecken, wenn es
sich z.B. um das Geben des guten Beispieles, um das Erhalten des innern
und äußern Friedens handelt!

Jede Frau -- also auch eine alte Jungfer -- kann Gelegenheit haben,
sich der Erziehung eines Kindes anzunehmen, sei es auch nnr vorübergehend
oder durch Beeinflussung der rechtmäßigen Erzieher. Für solchen Fall muß
sie gründlich vorbereitet sein, da ein aufgewecktes Kind die höchsten Ansprüche
an seine Umgebung stellt, und das kleinste ausgestreute Samenkorn unabsehbaren
Nutzen oder Schaden stiften kann. Die Atmosphäre, in der ein Kind auf¬
wächst, der mehr oder weniger gebildete oder wohlwollende Ton, in dem es



*) Der Freisinn und die Frcmenfrcige. Grenzboten 1880.
Ein Streifzug durch das Gestrüpp der -sranenfrcizo

Worte ausführend, sagen: Das Weib hat nnr insoweit es Gattin und Mutter
ist, vollberechtigter Anspruch auf Schutz und Hilfe des Staates, d. h. insofern
es durch Familiengründung der Volkskraft die Reserven zum Kulturkampf
liefert, denn ans dem gesunden Familienleben ruht die Macht einer Nation u. s. w.,
so gehen sie damit entweder zu weit oder nicht weit genug. Zu weit, weil
das Weib die Familie nicht gründet und weil ihr guter Wille und ihre
Fähigkeiten nicht hinreichen, um ein Familienleben gesund zu machen. Nicht
weit genug, weil sie sonst auch dem unverheirateten Manne Schutz und Hilfe
des Staates entziehen und von diesem dreierlei verlangen müßten: I. den
Ausschluß unverheirateter Männer vom Staatsdienst, oder eine Besoldung der
Staatsbeamten, die es ihnen möglich macht, eine Familie zu erhalten, auch
ohne eignes Vermögen oder das einer Frau, die vielleicht nur des Geldes
wegen geheiratet wurde; 2. die Stiftung erfolgverbürgeuder Freiplätze in
Franzensbad, Phrmout und wie die Orte alle heißen mögen, für unbemittelte
kinderlose Staatsbürgersfrauen und 3. ein Gesetz, wonach mindestens ebenso
viele Knaben wie Mädchen geboren zu werden haben. Andernfalls wäre die
Ungerechtigkeit empörend, mit der das Schicksal einen großen Teil des einen
Geschlechtes von dem einzigen zum Sattesseu berechtigenden Beruf ausschlösse,
und ohne derartige Maßregeln wäre der Krebsschaden der alten Jungfern
beim besten Willen nicht anders als durch Mädcheumord aus der Welt zu
schaffen. Natürlich unterschreibe ich einen andern, demselben Aufsatz^) ent¬
lehnten Satz, nach dem „die tüchtigste, am höchsten zu ehrende Frau die ist,
die der Welt die größte Zahl besterzogeuer Kinder geschenkt hat," und bedaure
nur, daß er von vielen Frauen noch für ebenso richtig gehalten wird, wenn
das Wort „besterzogen" darin fehlt. Denn erst an der Erziehung werden
Nur den wahren Wert einer Mutter erkennen. Erziehen aber heißt Pflegen,
und Pflegen heißt, unermüdlich Opfer für des andern Wohl bringen. Alle
Eltern sind bereit, ihren Kindern Opfer zu bringen, aber wie viele verstehen
darunter andre als Geldopfer, und wie viel Geld kostet es oft, daß Eltern
vor kleinen Opfern an Zeit, an Selbstüberwindung zurückschrecken, wenn es
sich z.B. um das Geben des guten Beispieles, um das Erhalten des innern
und äußern Friedens handelt!

Jede Frau — also auch eine alte Jungfer — kann Gelegenheit haben,
sich der Erziehung eines Kindes anzunehmen, sei es auch nnr vorübergehend
oder durch Beeinflussung der rechtmäßigen Erzieher. Für solchen Fall muß
sie gründlich vorbereitet sein, da ein aufgewecktes Kind die höchsten Ansprüche
an seine Umgebung stellt, und das kleinste ausgestreute Samenkorn unabsehbaren
Nutzen oder Schaden stiften kann. Die Atmosphäre, in der ein Kind auf¬
wächst, der mehr oder weniger gebildete oder wohlwollende Ton, in dem es



*) Der Freisinn und die Frcmenfrcige. Grenzboten 1880.
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[0094] Ein Streifzug durch das Gestrüpp der -sranenfrcizo Worte ausführend, sagen: Das Weib hat nnr insoweit es Gattin und Mutter ist, vollberechtigter Anspruch auf Schutz und Hilfe des Staates, d. h. insofern es durch Familiengründung der Volkskraft die Reserven zum Kulturkampf liefert, denn ans dem gesunden Familienleben ruht die Macht einer Nation u. s. w., so gehen sie damit entweder zu weit oder nicht weit genug. Zu weit, weil das Weib die Familie nicht gründet und weil ihr guter Wille und ihre Fähigkeiten nicht hinreichen, um ein Familienleben gesund zu machen. Nicht weit genug, weil sie sonst auch dem unverheirateten Manne Schutz und Hilfe des Staates entziehen und von diesem dreierlei verlangen müßten: I. den Ausschluß unverheirateter Männer vom Staatsdienst, oder eine Besoldung der Staatsbeamten, die es ihnen möglich macht, eine Familie zu erhalten, auch ohne eignes Vermögen oder das einer Frau, die vielleicht nur des Geldes wegen geheiratet wurde; 2. die Stiftung erfolgverbürgeuder Freiplätze in Franzensbad, Phrmout und wie die Orte alle heißen mögen, für unbemittelte kinderlose Staatsbürgersfrauen und 3. ein Gesetz, wonach mindestens ebenso viele Knaben wie Mädchen geboren zu werden haben. Andernfalls wäre die Ungerechtigkeit empörend, mit der das Schicksal einen großen Teil des einen Geschlechtes von dem einzigen zum Sattesseu berechtigenden Beruf ausschlösse, und ohne derartige Maßregeln wäre der Krebsschaden der alten Jungfern beim besten Willen nicht anders als durch Mädcheumord aus der Welt zu schaffen. Natürlich unterschreibe ich einen andern, demselben Aufsatz^) ent¬ lehnten Satz, nach dem „die tüchtigste, am höchsten zu ehrende Frau die ist, die der Welt die größte Zahl besterzogeuer Kinder geschenkt hat," und bedaure nur, daß er von vielen Frauen noch für ebenso richtig gehalten wird, wenn das Wort „besterzogen" darin fehlt. Denn erst an der Erziehung werden Nur den wahren Wert einer Mutter erkennen. Erziehen aber heißt Pflegen, und Pflegen heißt, unermüdlich Opfer für des andern Wohl bringen. Alle Eltern sind bereit, ihren Kindern Opfer zu bringen, aber wie viele verstehen darunter andre als Geldopfer, und wie viel Geld kostet es oft, daß Eltern vor kleinen Opfern an Zeit, an Selbstüberwindung zurückschrecken, wenn es sich z.B. um das Geben des guten Beispieles, um das Erhalten des innern und äußern Friedens handelt! Jede Frau — also auch eine alte Jungfer — kann Gelegenheit haben, sich der Erziehung eines Kindes anzunehmen, sei es auch nnr vorübergehend oder durch Beeinflussung der rechtmäßigen Erzieher. Für solchen Fall muß sie gründlich vorbereitet sein, da ein aufgewecktes Kind die höchsten Ansprüche an seine Umgebung stellt, und das kleinste ausgestreute Samenkorn unabsehbaren Nutzen oder Schaden stiften kann. Die Atmosphäre, in der ein Kind auf¬ wächst, der mehr oder weniger gebildete oder wohlwollende Ton, in dem es *) Der Freisinn und die Frcmenfrcige. Grenzboten 1880.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/94>, abgerufen am 24.07.2024.