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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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durch einen gedehnten Nasenlaut das schallende Gelächter des Saales hervor¬
rief, Raa--men! zu rufen. Und -- fahrt der Erzähler fort -- der be¬
kannteste Mann daselbst (!) erlitt die Demütigung, seinen Namen geben (!) zu
müssen. Daher sein Haß, daher der Ingrimm seiner Anhänger." Und dein
damaligen Justizminister Bach, der vorher Advokat gewesen war, wird das
Zeugnis ausgestellt: "Übrigens benimmt, wäscht und kleidet er sich wie ein
Gentleman." Dieser Junkerton wird besonders auf die Leser Eindruck machen,
die sich erinnern, daß der, der so spricht, nicht immer Graf Hübner, anch nicht
Baron Hübner, auch nicht Hübner geheißen, sondern in seiner Wiege einen
noch viel bürgerlicher klingenden Namen gefunden haben soll.

Lassen wir uns auf seine politischen Auseinandersetzungen ein, so wird
uns nnr zu häufig zu Mute, als wohnten wir der Ausgrabung von Pfahlban¬
resten bei. Sollte mau es für möglich halten, daß ein politischer Mann in
Österreich noch nicht die Schwere des bis auf deu heutigen Tag fortwirkenden
Fehlers erkennt, den Reichstag gerade in dem Augenblick "ach Hause zu
schicken, wo er im Begriffe stand, seine Aufgabe zu losen, eine Verfassung ans
Grundlage der Verständigung aller Nationalitäten herzustellen? Auch wenn
er die von Springer herausgegebenen Sitzungsprotvkolle nicht kennt, wird ihm
die Thatsache doch nicht unbekannt sein, daß die Besorgnis vor der Wieder¬
herstellung der alten Zustände alle Parteien bewogen hatte, auf die Befriedi¬
gung von 'Sonderinteressen zu verzichten, in einem Grade, wie das seitdem
nie wieder erreicht worden ist, und augenblicklich ferner gerückt zu sein scheint
als jemals. "Recht" ist ihm ein sehr geläufiges Wort, aber Nechtskontinnität
steht nicht in seinem Wörterbuche. Die vktrvhirte Verfassung mißfällt ihm,
und ihre Zurücknahme, nachdem sie nur auf dem Papier gestanden hatte, findet
er in der Ordnung; auch ist er ein Geguer der Theorie, daß Ungarn durch
Absetzung des Hauses Habsburg das Recht verwirkt habe, anders, denn als
eroberte Provinz behandelt zu werden. Aber daß die Krone den dentsch-
slawischen Ländern gegenüber eine bindende Verpflichtung eingegangen war,
und die ungarische Verfassung anerkannt hatte, kümmert ihn nicht. Diese
"revolutiouüre Verfassung" ist für ihn keiner Beachtung wert. Sein Ideal
ist der Föderalismus, und schon im November 1848 gebraucht er das zehn
Jahre später landläufig gewordene Schlagwort "Individualität der Pro¬
vinzen" -- vorausgesetzt, daß wir es, da nicht wieder mit einer Interpolation
zu thun haben. Dennoch wird er auch mit. den alten Prvvinzialständen
Österreichs schnell fertig: "Obgleich niemals amtlich aufgehoben, sind sie that¬
sächlich aus dem Leben geschieden." Und da die Bureaukratie, unter Kaiser
Ferdinand "in vollkommne Ohnmacht verfallen," durch die Ereignisse von
1848 vollends totgemacht wurde, gelangt er zu dem Schlüsse: "Es giebt also
bei uus weder Provinzialstände noch Bureaukratie." Es bleiben nur die
Dynastie und die geschichtlichen Individualitäten der Provinzen. "Unsre Kaiser


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durch einen gedehnten Nasenlaut das schallende Gelächter des Saales hervor¬
rief, Raa—men! zu rufen. Und — fahrt der Erzähler fort — der be¬
kannteste Mann daselbst (!) erlitt die Demütigung, seinen Namen geben (!) zu
müssen. Daher sein Haß, daher der Ingrimm seiner Anhänger." Und dein
damaligen Justizminister Bach, der vorher Advokat gewesen war, wird das
Zeugnis ausgestellt: „Übrigens benimmt, wäscht und kleidet er sich wie ein
Gentleman." Dieser Junkerton wird besonders auf die Leser Eindruck machen,
die sich erinnern, daß der, der so spricht, nicht immer Graf Hübner, anch nicht
Baron Hübner, auch nicht Hübner geheißen, sondern in seiner Wiege einen
noch viel bürgerlicher klingenden Namen gefunden haben soll.

Lassen wir uns auf seine politischen Auseinandersetzungen ein, so wird
uns nnr zu häufig zu Mute, als wohnten wir der Ausgrabung von Pfahlban¬
resten bei. Sollte mau es für möglich halten, daß ein politischer Mann in
Österreich noch nicht die Schwere des bis auf deu heutigen Tag fortwirkenden
Fehlers erkennt, den Reichstag gerade in dem Augenblick »ach Hause zu
schicken, wo er im Begriffe stand, seine Aufgabe zu losen, eine Verfassung ans
Grundlage der Verständigung aller Nationalitäten herzustellen? Auch wenn
er die von Springer herausgegebenen Sitzungsprotvkolle nicht kennt, wird ihm
die Thatsache doch nicht unbekannt sein, daß die Besorgnis vor der Wieder¬
herstellung der alten Zustände alle Parteien bewogen hatte, auf die Befriedi¬
gung von 'Sonderinteressen zu verzichten, in einem Grade, wie das seitdem
nie wieder erreicht worden ist, und augenblicklich ferner gerückt zu sein scheint
als jemals. „Recht" ist ihm ein sehr geläufiges Wort, aber Nechtskontinnität
steht nicht in seinem Wörterbuche. Die vktrvhirte Verfassung mißfällt ihm,
und ihre Zurücknahme, nachdem sie nur auf dem Papier gestanden hatte, findet
er in der Ordnung; auch ist er ein Geguer der Theorie, daß Ungarn durch
Absetzung des Hauses Habsburg das Recht verwirkt habe, anders, denn als
eroberte Provinz behandelt zu werden. Aber daß die Krone den dentsch-
slawischen Ländern gegenüber eine bindende Verpflichtung eingegangen war,
und die ungarische Verfassung anerkannt hatte, kümmert ihn nicht. Diese
„revolutiouüre Verfassung" ist für ihn keiner Beachtung wert. Sein Ideal
ist der Föderalismus, und schon im November 1848 gebraucht er das zehn
Jahre später landläufig gewordene Schlagwort „Individualität der Pro¬
vinzen" — vorausgesetzt, daß wir es, da nicht wieder mit einer Interpolation
zu thun haben. Dennoch wird er auch mit. den alten Prvvinzialständen
Österreichs schnell fertig: „Obgleich niemals amtlich aufgehoben, sind sie that¬
sächlich aus dem Leben geschieden." Und da die Bureaukratie, unter Kaiser
Ferdinand „in vollkommne Ohnmacht verfallen," durch die Ereignisse von
1848 vollends totgemacht wurde, gelangt er zu dem Schlüsse: „Es giebt also
bei uus weder Provinzialstände noch Bureaukratie." Es bleiben nur die
Dynastie und die geschichtlichen Individualitäten der Provinzen. „Unsre Kaiser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/68>, abgerufen am 24.07.2024.