Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein vorachtmidvierziger

hinzugeben! Denn sein, wenn wir nicht irren, letzter Abstecher auf das Gebiet
der hohen Politik, eine Rede im Neichsrate gegen das deutsch-österreichische
Bündnis, verriet nur, daß die Geschichte der letzten vierzig Jahre für ihn keine
Lehre enthalten hatte.

Jetzt ist von ihm ein Buch über seine Thätigkeit und seine Erlebnisse
vom Februar 1848 bis zum April 1849 erschienen: Ein Jahr meines
Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus). Als die Dinge in der Lombardei eine
bedrohliche Wendung nahmen, wurde Hübner, damals Generalkonsul in Leipzig,
von Metternich, als dessen Schüler und Liebling er galt, nach Wien berufen
und dann nach Mailand gesandt, um in der aus dem Vizekönig Erzherzog
Rainer, dem Feldmarschall Radetzky und dem Statthalter bestehenden "Kon¬
ferenz" die Diplomatie zu vertreten, die italienischen Höfe, natürlich mit Aus¬
schluß Piemonts, zu gemeinsamem Handeln gegen die Partei des Umsturzes
zu bewegen u. s. w. An dieser Aufgabe sein Talent zu bewähren, ward ihm
dnrch die rasche Folge großer Ereignisse verwehrt. Noch in Wien erfuhr er
die Entthronung Ludwig Philipps, und in Mailand kam er eben recht, um
die Abreise der Zivilbehörden mit anzusehen, da niemand mehr daran zweifelte,
daß Österreich mit Piemont um den Besitz der Lombardei zu kämpfen haben
würde. Als der Aufstand ausgebrochen war, Radetzky sich zuerst auf das
Kastell zurückzog und daun die Stadt verließ, wurde Hübner als Geisel zurück¬
gehalten. Diese Gefangenschaft, die nicht zu drückend war, wurde nur durch
eine auf Wunsch der provisorischen Regierung unternommene Reise unter¬
brochen, um Radetzky zur Auswechslung der beiderseitigen Geiseln zu be¬
stimmen; doch kam Hühner unter mancherlei Fährlichkeiten nur bis Brescia.
Im Juli konnte er über die Schweiz nach Österreich zurückkehren.

Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit den Zuständen in Wien,
der Oktoberrevolution, der Verlegung des Reichstages nach Kremsier, dem
Thronwechsel und der Oktroyiruug einer Verfassung. Im März 1849 ging
der Verfasser als außerordentlicher Gesandter nach Paris. Schon vor der
Katastrophe in Wien hatte er, wie er mehrfach erzählt, für die Berufung des
Fürsten Felix Schwarzenberg an die Spitze der Regierung gewirkt; von diesem
wurde er daun in Olmütz zur Abfassung von Staatsschriften verwendet, die
wichtigsten Noten, Proklamationen u. s. w. aus dieser Zeit entstammen seiner
Feder, er uneben thätigen Anteil an den Sitzungen des Ministeriums, und es
gelang ihm, den Widerstand des Fürsten Windischgrätz gegen die -- bekanntlich
nie in Kraft getretene -- Verfassung zu überwinden.

Allen diesen Mitteilungen liegt das Tagebuch Hübners zu Grunde. Er
hat aber weder dies so gegeben, wie er es einst niedergeschrieben hat, noch
auch es für eine zusammenhängende geschichtliche Darstellung benutzt, sondern
es überarbeitet, mit Zusätzen versehen, ohne ihm seine ursprüngliche Form zu
nehmen. An mehrern Stellen gesteht er selbst, spätere Veröffentlichungen,


Ein vorachtmidvierziger

hinzugeben! Denn sein, wenn wir nicht irren, letzter Abstecher auf das Gebiet
der hohen Politik, eine Rede im Neichsrate gegen das deutsch-österreichische
Bündnis, verriet nur, daß die Geschichte der letzten vierzig Jahre für ihn keine
Lehre enthalten hatte.

Jetzt ist von ihm ein Buch über seine Thätigkeit und seine Erlebnisse
vom Februar 1848 bis zum April 1849 erschienen: Ein Jahr meines
Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus). Als die Dinge in der Lombardei eine
bedrohliche Wendung nahmen, wurde Hübner, damals Generalkonsul in Leipzig,
von Metternich, als dessen Schüler und Liebling er galt, nach Wien berufen
und dann nach Mailand gesandt, um in der aus dem Vizekönig Erzherzog
Rainer, dem Feldmarschall Radetzky und dem Statthalter bestehenden „Kon¬
ferenz" die Diplomatie zu vertreten, die italienischen Höfe, natürlich mit Aus¬
schluß Piemonts, zu gemeinsamem Handeln gegen die Partei des Umsturzes
zu bewegen u. s. w. An dieser Aufgabe sein Talent zu bewähren, ward ihm
dnrch die rasche Folge großer Ereignisse verwehrt. Noch in Wien erfuhr er
die Entthronung Ludwig Philipps, und in Mailand kam er eben recht, um
die Abreise der Zivilbehörden mit anzusehen, da niemand mehr daran zweifelte,
daß Österreich mit Piemont um den Besitz der Lombardei zu kämpfen haben
würde. Als der Aufstand ausgebrochen war, Radetzky sich zuerst auf das
Kastell zurückzog und daun die Stadt verließ, wurde Hübner als Geisel zurück¬
gehalten. Diese Gefangenschaft, die nicht zu drückend war, wurde nur durch
eine auf Wunsch der provisorischen Regierung unternommene Reise unter¬
brochen, um Radetzky zur Auswechslung der beiderseitigen Geiseln zu be¬
stimmen; doch kam Hühner unter mancherlei Fährlichkeiten nur bis Brescia.
Im Juli konnte er über die Schweiz nach Österreich zurückkehren.

Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit den Zuständen in Wien,
der Oktoberrevolution, der Verlegung des Reichstages nach Kremsier, dem
Thronwechsel und der Oktroyiruug einer Verfassung. Im März 1849 ging
der Verfasser als außerordentlicher Gesandter nach Paris. Schon vor der
Katastrophe in Wien hatte er, wie er mehrfach erzählt, für die Berufung des
Fürsten Felix Schwarzenberg an die Spitze der Regierung gewirkt; von diesem
wurde er daun in Olmütz zur Abfassung von Staatsschriften verwendet, die
wichtigsten Noten, Proklamationen u. s. w. aus dieser Zeit entstammen seiner
Feder, er uneben thätigen Anteil an den Sitzungen des Ministeriums, und es
gelang ihm, den Widerstand des Fürsten Windischgrätz gegen die — bekanntlich
nie in Kraft getretene — Verfassung zu überwinden.

Allen diesen Mitteilungen liegt das Tagebuch Hübners zu Grunde. Er
hat aber weder dies so gegeben, wie er es einst niedergeschrieben hat, noch
auch es für eine zusammenhängende geschichtliche Darstellung benutzt, sondern
es überarbeitet, mit Zusätzen versehen, ohne ihm seine ursprüngliche Form zu
nehmen. An mehrern Stellen gesteht er selbst, spätere Veröffentlichungen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209933"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein vorachtmidvierziger</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_170" prev="#ID_169"> hinzugeben! Denn sein, wenn wir nicht irren, letzter Abstecher auf das Gebiet<lb/>
der hohen Politik, eine Rede im Neichsrate gegen das deutsch-österreichische<lb/>
Bündnis, verriet nur, daß die Geschichte der letzten vierzig Jahre für ihn keine<lb/>
Lehre enthalten hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_171"> Jetzt ist von ihm ein Buch über seine Thätigkeit und seine Erlebnisse<lb/>
vom Februar 1848 bis zum April 1849 erschienen: Ein Jahr meines<lb/>
Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus). Als die Dinge in der Lombardei eine<lb/>
bedrohliche Wendung nahmen, wurde Hübner, damals Generalkonsul in Leipzig,<lb/>
von Metternich, als dessen Schüler und Liebling er galt, nach Wien berufen<lb/>
und dann nach Mailand gesandt, um in der aus dem Vizekönig Erzherzog<lb/>
Rainer, dem Feldmarschall Radetzky und dem Statthalter bestehenden &#x201E;Kon¬<lb/>
ferenz" die Diplomatie zu vertreten, die italienischen Höfe, natürlich mit Aus¬<lb/>
schluß Piemonts, zu gemeinsamem Handeln gegen die Partei des Umsturzes<lb/>
zu bewegen u. s. w. An dieser Aufgabe sein Talent zu bewähren, ward ihm<lb/>
dnrch die rasche Folge großer Ereignisse verwehrt. Noch in Wien erfuhr er<lb/>
die Entthronung Ludwig Philipps, und in Mailand kam er eben recht, um<lb/>
die Abreise der Zivilbehörden mit anzusehen, da niemand mehr daran zweifelte,<lb/>
daß Österreich mit Piemont um den Besitz der Lombardei zu kämpfen haben<lb/>
würde. Als der Aufstand ausgebrochen war, Radetzky sich zuerst auf das<lb/>
Kastell zurückzog und daun die Stadt verließ, wurde Hübner als Geisel zurück¬<lb/>
gehalten. Diese Gefangenschaft, die nicht zu drückend war, wurde nur durch<lb/>
eine auf Wunsch der provisorischen Regierung unternommene Reise unter¬<lb/>
brochen, um Radetzky zur Auswechslung der beiderseitigen Geiseln zu be¬<lb/>
stimmen; doch kam Hühner unter mancherlei Fährlichkeiten nur bis Brescia.<lb/>
Im Juli konnte er über die Schweiz nach Österreich zurückkehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_172"> Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit den Zuständen in Wien,<lb/>
der Oktoberrevolution, der Verlegung des Reichstages nach Kremsier, dem<lb/>
Thronwechsel und der Oktroyiruug einer Verfassung. Im März 1849 ging<lb/>
der Verfasser als außerordentlicher Gesandter nach Paris. Schon vor der<lb/>
Katastrophe in Wien hatte er, wie er mehrfach erzählt, für die Berufung des<lb/>
Fürsten Felix Schwarzenberg an die Spitze der Regierung gewirkt; von diesem<lb/>
wurde er daun in Olmütz zur Abfassung von Staatsschriften verwendet, die<lb/>
wichtigsten Noten, Proklamationen u. s. w. aus dieser Zeit entstammen seiner<lb/>
Feder, er uneben thätigen Anteil an den Sitzungen des Ministeriums, und es<lb/>
gelang ihm, den Widerstand des Fürsten Windischgrätz gegen die &#x2014; bekanntlich<lb/>
nie in Kraft getretene &#x2014; Verfassung zu überwinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> Allen diesen Mitteilungen liegt das Tagebuch Hübners zu Grunde. Er<lb/>
hat aber weder dies so gegeben, wie er es einst niedergeschrieben hat, noch<lb/>
auch es für eine zusammenhängende geschichtliche Darstellung benutzt, sondern<lb/>
es überarbeitet, mit Zusätzen versehen, ohne ihm seine ursprüngliche Form zu<lb/>
nehmen.  An mehrern Stellen gesteht er selbst, spätere Veröffentlichungen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Ein vorachtmidvierziger hinzugeben! Denn sein, wenn wir nicht irren, letzter Abstecher auf das Gebiet der hohen Politik, eine Rede im Neichsrate gegen das deutsch-österreichische Bündnis, verriet nur, daß die Geschichte der letzten vierzig Jahre für ihn keine Lehre enthalten hatte. Jetzt ist von ihm ein Buch über seine Thätigkeit und seine Erlebnisse vom Februar 1848 bis zum April 1849 erschienen: Ein Jahr meines Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus). Als die Dinge in der Lombardei eine bedrohliche Wendung nahmen, wurde Hübner, damals Generalkonsul in Leipzig, von Metternich, als dessen Schüler und Liebling er galt, nach Wien berufen und dann nach Mailand gesandt, um in der aus dem Vizekönig Erzherzog Rainer, dem Feldmarschall Radetzky und dem Statthalter bestehenden „Kon¬ ferenz" die Diplomatie zu vertreten, die italienischen Höfe, natürlich mit Aus¬ schluß Piemonts, zu gemeinsamem Handeln gegen die Partei des Umsturzes zu bewegen u. s. w. An dieser Aufgabe sein Talent zu bewähren, ward ihm dnrch die rasche Folge großer Ereignisse verwehrt. Noch in Wien erfuhr er die Entthronung Ludwig Philipps, und in Mailand kam er eben recht, um die Abreise der Zivilbehörden mit anzusehen, da niemand mehr daran zweifelte, daß Österreich mit Piemont um den Besitz der Lombardei zu kämpfen haben würde. Als der Aufstand ausgebrochen war, Radetzky sich zuerst auf das Kastell zurückzog und daun die Stadt verließ, wurde Hübner als Geisel zurück¬ gehalten. Diese Gefangenschaft, die nicht zu drückend war, wurde nur durch eine auf Wunsch der provisorischen Regierung unternommene Reise unter¬ brochen, um Radetzky zur Auswechslung der beiderseitigen Geiseln zu be¬ stimmen; doch kam Hühner unter mancherlei Fährlichkeiten nur bis Brescia. Im Juli konnte er über die Schweiz nach Österreich zurückkehren. Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit den Zuständen in Wien, der Oktoberrevolution, der Verlegung des Reichstages nach Kremsier, dem Thronwechsel und der Oktroyiruug einer Verfassung. Im März 1849 ging der Verfasser als außerordentlicher Gesandter nach Paris. Schon vor der Katastrophe in Wien hatte er, wie er mehrfach erzählt, für die Berufung des Fürsten Felix Schwarzenberg an die Spitze der Regierung gewirkt; von diesem wurde er daun in Olmütz zur Abfassung von Staatsschriften verwendet, die wichtigsten Noten, Proklamationen u. s. w. aus dieser Zeit entstammen seiner Feder, er uneben thätigen Anteil an den Sitzungen des Ministeriums, und es gelang ihm, den Widerstand des Fürsten Windischgrätz gegen die — bekanntlich nie in Kraft getretene — Verfassung zu überwinden. Allen diesen Mitteilungen liegt das Tagebuch Hübners zu Grunde. Er hat aber weder dies so gegeben, wie er es einst niedergeschrieben hat, noch auch es für eine zusammenhängende geschichtliche Darstellung benutzt, sondern es überarbeitet, mit Zusätzen versehen, ohne ihm seine ursprüngliche Form zu nehmen. An mehrern Stellen gesteht er selbst, spätere Veröffentlichungen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/66>, abgerufen am 24.07.2024.