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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Jäger vernugllickt sei, und Lehnert eilt dein Binder der Geliebten ans ge¬
fährlichen Pfaden zu Hilfe. Auf diesen Pfaden verunglückt er selbst,
während sich Toby wohlbehalten bei deu Seinen wieder einfindet. Er stürzt
von einer Felswand und stirbt ohne Menschenhilfe im Abgrunde, in der
Seele die tröstliche Gewißheit, daß dies Ende die Sühne seiner Schuld in
der alten Heimat sei. Obadsa Hornbvstel meldet in einem einfach ergreifenden
Briefe das Geschehene nach Wolfshan, und die regelmäßig wiederkehrenden
Berliner Sommergäste in dem Riescngebirgsdorfe haben Gelegenheit, den
tragischen Ausgang eines Dramas zu besprechen, dessen Anfang sie sieben
Jahre zuvor ergriffen und in ihrer Weise bewegt hat.

Diese kurze Wiedergabe des Hauptinhalts kann schon um deswillen kein
deutliches Bild von der Eigenart des Buches geben, weil die kräftigen Grund¬
linien einer klar entwickelten und durchgeführten Handlung von einer Fülle
episodischer Bilder zwar nicht unterbrochen, aber umrankt sind, weil der Er¬
zähler die hundert Zwischenspiele einer solchen Handlung, ihrer Rückwirkung
auf Persönlichkeiten, die nur zufällig im Nahmen oder sogar, wie die Familie
Espe und ihre Anhängsel, außerhalb des Rahmens stehen, fast mit gleicher
Liebe ausführt und in dem Bestreben, um seine Erfindung die Atmosphäre
des Wirklichen zu verbreiten, die Schilderung sogar zu breit ausgedehnt hat.
Freilich uninteressant lind trivial ist in dieser Schilderung wie in der
Charakteristik so grundverschiedner, zum Teil nur ganz flüchtig nnftnuchender
Menschen nichts. Die lügenhafte Mutter Lehreres, die weinerliche Förstern,
Frau Opitz, der brave Pfarrer Siebenhaar, der ehemalige Kommunard und
Erfinder Camille l'Hermite, der Rat und die Rätin Espe, der Assessor und
Gardereservelentnnnt Svphns Unverdorben, der ewig in preußischen Dienst¬
erinnerungen lebende Herr Kaulbars sind Meisterfiguren, so gut wie Lehnert
Merz und Förster Opitz, wie Obadja, Nuth und Tods Hornbvstel. Wenn
irgend etwas in dieser Geschichte nicht ganz deutlich und gegenständlich wird,
so ist es das Alltagsleben in der Mennonitengemeinde zu Nogat-Ehre. Darauf
käme nicht viel an, denn schließlich ist es doch die Lichtgestalt Ruths und
nicht das tägliche Singen und Beten der Taufgesinnten, durch die Lehnert in
den innersten Kreis der Gemeinde hineingezogen und mit dem Bedürfnis auch
nach religiösem Frieden erfüllt wird. Aber der sichern Einzelschilderung des
ersten Teils gegenüber wird der verwöhnte Leser hier doch einen Abstand
empfinden. Es hat eben seine Gefahren, die Phantasie allzusklavisch an die
Beobachtung zu fesseln und die Belebung jeder poetische" Darstellung lediglich
von der äußern Anschauung abhängig zu machen. Die innere Anschauung
hat ihr gutes' Recht, dein Dichter von "Grete Minde" braucht das allerdings
nicht gesagt zu werdeu. In dem Roman "Quitt" aber ists, als ob Fontane
über Dinge, die nur aus der Phautcisie geschildert werdeu müssen, wie über
einen heißen Boden hinwegeilte.


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Jäger vernugllickt sei, und Lehnert eilt dein Binder der Geliebten ans ge¬
fährlichen Pfaden zu Hilfe. Auf diesen Pfaden verunglückt er selbst,
während sich Toby wohlbehalten bei deu Seinen wieder einfindet. Er stürzt
von einer Felswand und stirbt ohne Menschenhilfe im Abgrunde, in der
Seele die tröstliche Gewißheit, daß dies Ende die Sühne seiner Schuld in
der alten Heimat sei. Obadsa Hornbvstel meldet in einem einfach ergreifenden
Briefe das Geschehene nach Wolfshan, und die regelmäßig wiederkehrenden
Berliner Sommergäste in dem Riescngebirgsdorfe haben Gelegenheit, den
tragischen Ausgang eines Dramas zu besprechen, dessen Anfang sie sieben
Jahre zuvor ergriffen und in ihrer Weise bewegt hat.

Diese kurze Wiedergabe des Hauptinhalts kann schon um deswillen kein
deutliches Bild von der Eigenart des Buches geben, weil die kräftigen Grund¬
linien einer klar entwickelten und durchgeführten Handlung von einer Fülle
episodischer Bilder zwar nicht unterbrochen, aber umrankt sind, weil der Er¬
zähler die hundert Zwischenspiele einer solchen Handlung, ihrer Rückwirkung
auf Persönlichkeiten, die nur zufällig im Nahmen oder sogar, wie die Familie
Espe und ihre Anhängsel, außerhalb des Rahmens stehen, fast mit gleicher
Liebe ausführt und in dem Bestreben, um seine Erfindung die Atmosphäre
des Wirklichen zu verbreiten, die Schilderung sogar zu breit ausgedehnt hat.
Freilich uninteressant lind trivial ist in dieser Schilderung wie in der
Charakteristik so grundverschiedner, zum Teil nur ganz flüchtig nnftnuchender
Menschen nichts. Die lügenhafte Mutter Lehreres, die weinerliche Förstern,
Frau Opitz, der brave Pfarrer Siebenhaar, der ehemalige Kommunard und
Erfinder Camille l'Hermite, der Rat und die Rätin Espe, der Assessor und
Gardereservelentnnnt Svphns Unverdorben, der ewig in preußischen Dienst¬
erinnerungen lebende Herr Kaulbars sind Meisterfiguren, so gut wie Lehnert
Merz und Förster Opitz, wie Obadja, Nuth und Tods Hornbvstel. Wenn
irgend etwas in dieser Geschichte nicht ganz deutlich und gegenständlich wird,
so ist es das Alltagsleben in der Mennonitengemeinde zu Nogat-Ehre. Darauf
käme nicht viel an, denn schließlich ist es doch die Lichtgestalt Ruths und
nicht das tägliche Singen und Beten der Taufgesinnten, durch die Lehnert in
den innersten Kreis der Gemeinde hineingezogen und mit dem Bedürfnis auch
nach religiösem Frieden erfüllt wird. Aber der sichern Einzelschilderung des
ersten Teils gegenüber wird der verwöhnte Leser hier doch einen Abstand
empfinden. Es hat eben seine Gefahren, die Phantasie allzusklavisch an die
Beobachtung zu fesseln und die Belebung jeder poetische» Darstellung lediglich
von der äußern Anschauung abhängig zu machen. Die innere Anschauung
hat ihr gutes' Recht, dein Dichter von „Grete Minde" braucht das allerdings
nicht gesagt zu werdeu. In dem Roman „Quitt" aber ists, als ob Fontane
über Dinge, die nur aus der Phautcisie geschildert werdeu müssen, wie über
einen heißen Boden hinwegeilte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/632>, abgerufen am 24.07.2024.