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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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er das eiserne Kreuz trage" wurde, wenn nicht sein Oberjäger Opitz, dem
Lehnert nicht unterwürfig und fügsam genug erschien, dagegen gesprochen hätte.
Diese Erfahrung uns der Dienstzeit wirkt in das ganze spätere Leben des
jungen Mannes hinüber, sein Unglück will, das; eben dieser Oberjäger als
gräflicher Förster sein Nachbar geworden ist, und daß seine Försterei zu Wvlfshau
dicht um Lehreres vom Vater ererbte Stellmacherei stößt. Lehnert Menz hat
die Anschauungen und Sitten der Grenzer, er ist im ganzen sür Gesetz und
ehrliche Arbeit, mag sich aber gelegentlich ein bischen Pnschen und Wildern
nicht versagen und hält das für keine besondre Sünde. Neben ihm sitzt jedoch
Opitz, die platte Feldwebelnatnr, die ihre Selbstsucht und gemeine Eitelkeit
in den stramm angezogenen Mantel der Pflichterfüllung hüllt. "Denn sich
umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben,
war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand." Er würde vielleicht Lehnert
bei Gelegenheit durch die Finger sehen, wenn sich dieser ehrerbietig und unter¬
würfig zeigen wollte, aber er haßt ihn, weil er schon von den Görlitzer Jägern
her weiß, daß der ländliche Stellmacher von der Größe des Försters nicht
durchdrungen ist. Aus dem irregeleiteten Selbstgefühl beider Männer ist eine
unüberwindbare Abneigung entstanden, die im Verlauf der Dinge anch der
ausgleichenden und versöhnlichen Bemühungen des braven Predigers Sieben¬
haar spottet. Für ein paar Wochen bezwingen sich die feindlich gesinnten,
indem sie einander aus dem Wege gehen, aber bei dem unbedeutendsten Vorfall
lodert der Streit wieder ans, und ein Hahn, den des Försters Hund erwürgt,
ein Hase, den Lehnert in seinem eignen Kornfeld erschießt, werden Anlaß zu
neuer, verschärfter Feindschaft. Lehnert ist entschlossen, nicht zum zweitenmal
durch den Förster ins Gefängnis zu kommen, und Opitz will die Gelegen¬
heit benutzen, dem übermütigen Stellmacher einen ordentlichen Denkzettel zu
verschaffen. Er schreibt einen Bericht an die Behörde, worin er seinen jungen
Nachbar nicht nur als rückfälligen Wilddieb anklagt, sondern ihn auch als
einen Aufwiegler und Verführer für die ganze Gegend bezeichnet, an dem man
ein Exempel statuiren müsse, "damit das Volk mal wieder sehe, daß noch
Ordnung und Gesetz und ein Herr im Lande sei." Lehnert, der unzühligemnle
davon gesprochen hat, nach Amerika auszuwandern, und fortgesetzt Bücher über
die Verewigten Staaten liest, wird zu seiner eignen Überraschung gewahr, wie
sehr er seiue Heimat liebt, sein Schlesierland, seine Berge, seine Koppe. "Das
sollte nnn alles nicht mehr sein. Um nichts, oder um so gut wie nichts, war
er das erstemal von Opitz zur Anzeige gebracht worden, und um nichts sollte
es wieder sein. Was war es denn? Ein Has, der in seinem Kornfelde ge¬
sessen, und den er über Eck gebracht hatte. Das war alles, und dies alles
war eben nichts. Und wenn es etwas war, wer war schuld daran? Wer
anders als "der da drüben," der ihm den Dienst verleidet hatte, sonst wär
alles anders gekommen, und er wäre, was eigentlich sein Ehrgeiz und seiue


Grenzboten II 1391 79
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er das eiserne Kreuz trage» wurde, wenn nicht sein Oberjäger Opitz, dem
Lehnert nicht unterwürfig und fügsam genug erschien, dagegen gesprochen hätte.
Diese Erfahrung uns der Dienstzeit wirkt in das ganze spätere Leben des
jungen Mannes hinüber, sein Unglück will, das; eben dieser Oberjäger als
gräflicher Förster sein Nachbar geworden ist, und daß seine Försterei zu Wvlfshau
dicht um Lehreres vom Vater ererbte Stellmacherei stößt. Lehnert Menz hat
die Anschauungen und Sitten der Grenzer, er ist im ganzen sür Gesetz und
ehrliche Arbeit, mag sich aber gelegentlich ein bischen Pnschen und Wildern
nicht versagen und hält das für keine besondre Sünde. Neben ihm sitzt jedoch
Opitz, die platte Feldwebelnatnr, die ihre Selbstsucht und gemeine Eitelkeit
in den stramm angezogenen Mantel der Pflichterfüllung hüllt. „Denn sich
umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben,
war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand." Er würde vielleicht Lehnert
bei Gelegenheit durch die Finger sehen, wenn sich dieser ehrerbietig und unter¬
würfig zeigen wollte, aber er haßt ihn, weil er schon von den Görlitzer Jägern
her weiß, daß der ländliche Stellmacher von der Größe des Försters nicht
durchdrungen ist. Aus dem irregeleiteten Selbstgefühl beider Männer ist eine
unüberwindbare Abneigung entstanden, die im Verlauf der Dinge anch der
ausgleichenden und versöhnlichen Bemühungen des braven Predigers Sieben¬
haar spottet. Für ein paar Wochen bezwingen sich die feindlich gesinnten,
indem sie einander aus dem Wege gehen, aber bei dem unbedeutendsten Vorfall
lodert der Streit wieder ans, und ein Hahn, den des Försters Hund erwürgt,
ein Hase, den Lehnert in seinem eignen Kornfeld erschießt, werden Anlaß zu
neuer, verschärfter Feindschaft. Lehnert ist entschlossen, nicht zum zweitenmal
durch den Förster ins Gefängnis zu kommen, und Opitz will die Gelegen¬
heit benutzen, dem übermütigen Stellmacher einen ordentlichen Denkzettel zu
verschaffen. Er schreibt einen Bericht an die Behörde, worin er seinen jungen
Nachbar nicht nur als rückfälligen Wilddieb anklagt, sondern ihn auch als
einen Aufwiegler und Verführer für die ganze Gegend bezeichnet, an dem man
ein Exempel statuiren müsse, „damit das Volk mal wieder sehe, daß noch
Ordnung und Gesetz und ein Herr im Lande sei." Lehnert, der unzühligemnle
davon gesprochen hat, nach Amerika auszuwandern, und fortgesetzt Bücher über
die Verewigten Staaten liest, wird zu seiner eignen Überraschung gewahr, wie
sehr er seiue Heimat liebt, sein Schlesierland, seine Berge, seine Koppe. „Das
sollte nnn alles nicht mehr sein. Um nichts, oder um so gut wie nichts, war
er das erstemal von Opitz zur Anzeige gebracht worden, und um nichts sollte
es wieder sein. Was war es denn? Ein Has, der in seinem Kornfelde ge¬
sessen, und den er über Eck gebracht hatte. Das war alles, und dies alles
war eben nichts. Und wenn es etwas war, wer war schuld daran? Wer
anders als »der da drüben,« der ihm den Dienst verleidet hatte, sonst wär
alles anders gekommen, und er wäre, was eigentlich sein Ehrgeiz und seiue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/629>, abgerufen am 24.07.2024.