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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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seines Regiments die erste Geige spielen? Wer sich erfolglos bemüht hat,
das Niveau eines Stenographenvereins zu heben, tritt entweder aus oder
begnügt sich mit Zahlung der Beiträge, ohne an dem wirklichen Vereinsleben
teilzunehmen, oder er läßt sich dnrch ein besonders starkes Interesse an der Sache
oder durch ärmlichen Ehrgeiz dennoch im Vereinsleben zurückhalten, fühlt sich
mit der Zeit darin wohl und versumpft endlich, wie mancher bedauerns¬
werte Landgeistliche durch die Ungunst der Verhältnisse verbauert. Das ist
dann der traurigste Stenographienarr, er, der durch Bildung und Stellung
berufen gewesen wäre, die Sache zu heben, statt dessen aber sich hat hinab-
ziehen lassen! An beschränktem Fanatismus thuts ein solcher schließlich jedem
audern gleich, er behandelt wohlgefällig und wichtig den gleichgültigsten Vereins¬
krimskrams, und das mechanische Stenographentnm gilt ihm hoher und heiliger,
als die edelsten Geisteserzeugnisse unsrer Nation.


Mein Herr, ich denke bei mir so:
Ihr seid ein Narr in Folio!

Das Bild, dus wir von dem Stenvgraphiennwesen entworfen haben, ist
nicht erfreulich, es besitzt aber den Vorzug uuretonchirter photographischer
Treue. Den Stenographen wird es geringe Freude bereiten, die Fäulnis
ihres Staates dargestellt zu sehen, aber es war auch nicht unser Vorhaben,
ihnen die Ohren angenehm zu jucken, sondern sie darauf hinzuweisen, wo ge¬
bessert werden muß, wenn sie größeres Ansehen erringen und ihre Bemühungen
von mehr Erfolg gekrönt fehen wollen. Fort mit der Narretei, fort mit der
Übertreibung der Sache, fort mit der Unduldsamkeit! An Stelle des Kriechens
unter der Stenographie trete eine vornehme geistige Beherrschung und nüchterne
Würdigung der Sache. Die Schaffung einer gediegenen Fachlitteratur mag
ernstlich gefördert werden. Leute, die höchstens einen Sport mit der Sache
treiben können, halte man fern. Dem Überwuchern der kvpirenden Federbetten
in den Vereinen werde Einhalt geboten und die Leitung in berufene Hände
produktiver Geister gelegt. Mag bei der Sichtung das ganze stenographische
Wesen ans ein Zwanzigstel des jetzigen Umfangs und weniger zusammen¬
schmelzen, es wird doch noch ein innerer Gewinn herausspringen, denn hier
muß nicht gezählt, sondern gewogen werden. Solange sich die Stenographen-
Vereine nicht wenigstens auf die Stufe der Geschichts- und Altertumsvereine
hinaufgeschwungen haben, werden sie sich darein finden müssen, mit Achselzucken
und Naserümpfen betrachtet zu werden.




seines Regiments die erste Geige spielen? Wer sich erfolglos bemüht hat,
das Niveau eines Stenographenvereins zu heben, tritt entweder aus oder
begnügt sich mit Zahlung der Beiträge, ohne an dem wirklichen Vereinsleben
teilzunehmen, oder er läßt sich dnrch ein besonders starkes Interesse an der Sache
oder durch ärmlichen Ehrgeiz dennoch im Vereinsleben zurückhalten, fühlt sich
mit der Zeit darin wohl und versumpft endlich, wie mancher bedauerns¬
werte Landgeistliche durch die Ungunst der Verhältnisse verbauert. Das ist
dann der traurigste Stenographienarr, er, der durch Bildung und Stellung
berufen gewesen wäre, die Sache zu heben, statt dessen aber sich hat hinab-
ziehen lassen! An beschränktem Fanatismus thuts ein solcher schließlich jedem
audern gleich, er behandelt wohlgefällig und wichtig den gleichgültigsten Vereins¬
krimskrams, und das mechanische Stenographentnm gilt ihm hoher und heiliger,
als die edelsten Geisteserzeugnisse unsrer Nation.


Mein Herr, ich denke bei mir so:
Ihr seid ein Narr in Folio!

Das Bild, dus wir von dem Stenvgraphiennwesen entworfen haben, ist
nicht erfreulich, es besitzt aber den Vorzug uuretonchirter photographischer
Treue. Den Stenographen wird es geringe Freude bereiten, die Fäulnis
ihres Staates dargestellt zu sehen, aber es war auch nicht unser Vorhaben,
ihnen die Ohren angenehm zu jucken, sondern sie darauf hinzuweisen, wo ge¬
bessert werden muß, wenn sie größeres Ansehen erringen und ihre Bemühungen
von mehr Erfolg gekrönt fehen wollen. Fort mit der Narretei, fort mit der
Übertreibung der Sache, fort mit der Unduldsamkeit! An Stelle des Kriechens
unter der Stenographie trete eine vornehme geistige Beherrschung und nüchterne
Würdigung der Sache. Die Schaffung einer gediegenen Fachlitteratur mag
ernstlich gefördert werden. Leute, die höchstens einen Sport mit der Sache
treiben können, halte man fern. Dem Überwuchern der kvpirenden Federbetten
in den Vereinen werde Einhalt geboten und die Leitung in berufene Hände
produktiver Geister gelegt. Mag bei der Sichtung das ganze stenographische
Wesen ans ein Zwanzigstel des jetzigen Umfangs und weniger zusammen¬
schmelzen, es wird doch noch ein innerer Gewinn herausspringen, denn hier
muß nicht gezählt, sondern gewogen werden. Solange sich die Stenographen-
Vereine nicht wenigstens auf die Stufe der Geschichts- und Altertumsvereine
hinaufgeschwungen haben, werden sie sich darein finden müssen, mit Achselzucken
und Naserümpfen betrachtet zu werden.




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[0627] seines Regiments die erste Geige spielen? Wer sich erfolglos bemüht hat, das Niveau eines Stenographenvereins zu heben, tritt entweder aus oder begnügt sich mit Zahlung der Beiträge, ohne an dem wirklichen Vereinsleben teilzunehmen, oder er läßt sich dnrch ein besonders starkes Interesse an der Sache oder durch ärmlichen Ehrgeiz dennoch im Vereinsleben zurückhalten, fühlt sich mit der Zeit darin wohl und versumpft endlich, wie mancher bedauerns¬ werte Landgeistliche durch die Ungunst der Verhältnisse verbauert. Das ist dann der traurigste Stenographienarr, er, der durch Bildung und Stellung berufen gewesen wäre, die Sache zu heben, statt dessen aber sich hat hinab- ziehen lassen! An beschränktem Fanatismus thuts ein solcher schließlich jedem audern gleich, er behandelt wohlgefällig und wichtig den gleichgültigsten Vereins¬ krimskrams, und das mechanische Stenographentnm gilt ihm hoher und heiliger, als die edelsten Geisteserzeugnisse unsrer Nation. Mein Herr, ich denke bei mir so: Ihr seid ein Narr in Folio! Das Bild, dus wir von dem Stenvgraphiennwesen entworfen haben, ist nicht erfreulich, es besitzt aber den Vorzug uuretonchirter photographischer Treue. Den Stenographen wird es geringe Freude bereiten, die Fäulnis ihres Staates dargestellt zu sehen, aber es war auch nicht unser Vorhaben, ihnen die Ohren angenehm zu jucken, sondern sie darauf hinzuweisen, wo ge¬ bessert werden muß, wenn sie größeres Ansehen erringen und ihre Bemühungen von mehr Erfolg gekrönt fehen wollen. Fort mit der Narretei, fort mit der Übertreibung der Sache, fort mit der Unduldsamkeit! An Stelle des Kriechens unter der Stenographie trete eine vornehme geistige Beherrschung und nüchterne Würdigung der Sache. Die Schaffung einer gediegenen Fachlitteratur mag ernstlich gefördert werden. Leute, die höchstens einen Sport mit der Sache treiben können, halte man fern. Dem Überwuchern der kvpirenden Federbetten in den Vereinen werde Einhalt geboten und die Leitung in berufene Hände produktiver Geister gelegt. Mag bei der Sichtung das ganze stenographische Wesen ans ein Zwanzigstel des jetzigen Umfangs und weniger zusammen¬ schmelzen, es wird doch noch ein innerer Gewinn herausspringen, denn hier muß nicht gezählt, sondern gewogen werden. Solange sich die Stenographen- Vereine nicht wenigstens auf die Stufe der Geschichts- und Altertumsvereine hinaufgeschwungen haben, werden sie sich darein finden müssen, mit Achselzucken und Naserümpfen betrachtet zu werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/627>, abgerufen am 24.07.2024.