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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das Stenographiennwesen

und ihres ebenbürtigen Anhanges wissenschaftlich gebildete Männer die Sache
der Stenographie nicht ganz haben fallen lassen.

Der tiefste Niedergang scheint nun jetzt überwunden zu sein, es ist ein
Zeichen von eiuer Wendung zum Bessern, daß sich wieder akademisch geschulte
Kräfte an die Aufstellung stenographischer Systeme wagen -- mit wie ver¬
heißungsvollem Erfolge, zeigt das treffliche und kunstreiche System des Neal-
schullehrers Dr. I. Brauns. Jedenfalls hätten die deutschen Stenographen
Ursache, bescheiden von ihren Erfindern zu sprechen, bescheiden von der Steno¬
graphie selbst, die nur eine untergeordnete Dienerin bei der Geistesarbeit sein
kann und will. Was findet man aber in den stenographischen Kreisen? Eine
lächerliche Vergötterung der Personen wie der Sache. Die Großmannssucht
der Stenographienarren will aus all diesen Meistern und Meisterlein, deren
wirkliches Verdienst innerhalb der gebührenden Grenzen gern anerkannt werden
soll, mit aller Gewalt Geistestitanen und Sterne erster Größe machen. Nicht
bloß lächerlich, sondern auch abstoßend wirkt dieses Treiben auf unbefangene
Beobachter. In stenographischen Fachzeitschriften und Büchern wimmelt es
von Anräucherungen wie: der "unsterbliche Meister," sein "unverletzliches
Erbteil," der "große Geistesriesc," der "erhabene Erfinder." Von der
Berechtigung, den Stcnographieerfindern Denkmäler zu setzen, wird jemand,
der das Große und Ganze des menschlichen Fortschritts im Auge behält,
nimmermehr überzeugt werden. Jedenfalls genügen die Denksteine ans den
Gräbern von Babelsberger, Stolze und Arends. Aber für den Dünkel reicht
so etwas Einfaches nicht ans, da werden die Behörden der große" Städte
fort und fort bombardirt, Straßen nach Gabelsberger oder Stolze zu lausen,
da müssen große Standbilder ans öffentlichen Plätzen geschaffen werden.
Gabelsberger hat vorigen Sommer in München sein ehernes Denkmal glück¬
lich wegbekommen, und es ist dabei mit Fanfarengeschmetter und Trommel¬
schall höher hergegangen, als man es für das Standbild eines Lessing oder
Goethe wünschen möchte. Noch hat sich die Gnbelsbergerei vom Rausch der
Entzückung kaum ermuntert, und schon können die Stvlzebrüder vor diesen
Lorbeeren nicht ruhig schlafen, auch Stolze muß nun ein öffentliches Stand¬
bild bekommen. Wie lange wirds dauern, so frißt die Deukmalsscuche weiter
um sich, bald wird Arends an die Reihe kommen, und vielleicht erleben wir
noch das niedliche Satyrdrama, daß z. B. auf dem Berliner Gendarmen¬
markte in trauter Eintracht neben Schiller der Leisteuschneider Lehmann aus¬
gehauen auf die Vorübergehenden hinabschaut.


Setzt euch Perücken auf vou Millionen Locken,
Setzt euern Fuß auf ellenhohe Socken,
Ihr bleibt doch immer, was ihr seid!

Ebenso albern zeigen sich die Stenographienarren gegenüber der Sache.
Unsre "herrliche Kunst," die "unübertreffliche Erfindung," der "Wunderbar


Das Stenographiennwesen

und ihres ebenbürtigen Anhanges wissenschaftlich gebildete Männer die Sache
der Stenographie nicht ganz haben fallen lassen.

Der tiefste Niedergang scheint nun jetzt überwunden zu sein, es ist ein
Zeichen von eiuer Wendung zum Bessern, daß sich wieder akademisch geschulte
Kräfte an die Aufstellung stenographischer Systeme wagen — mit wie ver¬
heißungsvollem Erfolge, zeigt das treffliche und kunstreiche System des Neal-
schullehrers Dr. I. Brauns. Jedenfalls hätten die deutschen Stenographen
Ursache, bescheiden von ihren Erfindern zu sprechen, bescheiden von der Steno¬
graphie selbst, die nur eine untergeordnete Dienerin bei der Geistesarbeit sein
kann und will. Was findet man aber in den stenographischen Kreisen? Eine
lächerliche Vergötterung der Personen wie der Sache. Die Großmannssucht
der Stenographienarren will aus all diesen Meistern und Meisterlein, deren
wirkliches Verdienst innerhalb der gebührenden Grenzen gern anerkannt werden
soll, mit aller Gewalt Geistestitanen und Sterne erster Größe machen. Nicht
bloß lächerlich, sondern auch abstoßend wirkt dieses Treiben auf unbefangene
Beobachter. In stenographischen Fachzeitschriften und Büchern wimmelt es
von Anräucherungen wie: der „unsterbliche Meister," sein „unverletzliches
Erbteil," der „große Geistesriesc," der „erhabene Erfinder." Von der
Berechtigung, den Stcnographieerfindern Denkmäler zu setzen, wird jemand,
der das Große und Ganze des menschlichen Fortschritts im Auge behält,
nimmermehr überzeugt werden. Jedenfalls genügen die Denksteine ans den
Gräbern von Babelsberger, Stolze und Arends. Aber für den Dünkel reicht
so etwas Einfaches nicht ans, da werden die Behörden der große» Städte
fort und fort bombardirt, Straßen nach Gabelsberger oder Stolze zu lausen,
da müssen große Standbilder ans öffentlichen Plätzen geschaffen werden.
Gabelsberger hat vorigen Sommer in München sein ehernes Denkmal glück¬
lich wegbekommen, und es ist dabei mit Fanfarengeschmetter und Trommel¬
schall höher hergegangen, als man es für das Standbild eines Lessing oder
Goethe wünschen möchte. Noch hat sich die Gnbelsbergerei vom Rausch der
Entzückung kaum ermuntert, und schon können die Stvlzebrüder vor diesen
Lorbeeren nicht ruhig schlafen, auch Stolze muß nun ein öffentliches Stand¬
bild bekommen. Wie lange wirds dauern, so frißt die Deukmalsscuche weiter
um sich, bald wird Arends an die Reihe kommen, und vielleicht erleben wir
noch das niedliche Satyrdrama, daß z. B. auf dem Berliner Gendarmen¬
markte in trauter Eintracht neben Schiller der Leisteuschneider Lehmann aus¬
gehauen auf die Vorübergehenden hinabschaut.


Setzt euch Perücken auf vou Millionen Locken,
Setzt euern Fuß auf ellenhohe Socken,
Ihr bleibt doch immer, was ihr seid!

Ebenso albern zeigen sich die Stenographienarren gegenüber der Sache.
Unsre „herrliche Kunst," die „unübertreffliche Erfindung," der „Wunderbar


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[0623] Das Stenographiennwesen und ihres ebenbürtigen Anhanges wissenschaftlich gebildete Männer die Sache der Stenographie nicht ganz haben fallen lassen. Der tiefste Niedergang scheint nun jetzt überwunden zu sein, es ist ein Zeichen von eiuer Wendung zum Bessern, daß sich wieder akademisch geschulte Kräfte an die Aufstellung stenographischer Systeme wagen — mit wie ver¬ heißungsvollem Erfolge, zeigt das treffliche und kunstreiche System des Neal- schullehrers Dr. I. Brauns. Jedenfalls hätten die deutschen Stenographen Ursache, bescheiden von ihren Erfindern zu sprechen, bescheiden von der Steno¬ graphie selbst, die nur eine untergeordnete Dienerin bei der Geistesarbeit sein kann und will. Was findet man aber in den stenographischen Kreisen? Eine lächerliche Vergötterung der Personen wie der Sache. Die Großmannssucht der Stenographienarren will aus all diesen Meistern und Meisterlein, deren wirkliches Verdienst innerhalb der gebührenden Grenzen gern anerkannt werden soll, mit aller Gewalt Geistestitanen und Sterne erster Größe machen. Nicht bloß lächerlich, sondern auch abstoßend wirkt dieses Treiben auf unbefangene Beobachter. In stenographischen Fachzeitschriften und Büchern wimmelt es von Anräucherungen wie: der „unsterbliche Meister," sein „unverletzliches Erbteil," der „große Geistesriesc," der „erhabene Erfinder." Von der Berechtigung, den Stcnographieerfindern Denkmäler zu setzen, wird jemand, der das Große und Ganze des menschlichen Fortschritts im Auge behält, nimmermehr überzeugt werden. Jedenfalls genügen die Denksteine ans den Gräbern von Babelsberger, Stolze und Arends. Aber für den Dünkel reicht so etwas Einfaches nicht ans, da werden die Behörden der große» Städte fort und fort bombardirt, Straßen nach Gabelsberger oder Stolze zu lausen, da müssen große Standbilder ans öffentlichen Plätzen geschaffen werden. Gabelsberger hat vorigen Sommer in München sein ehernes Denkmal glück¬ lich wegbekommen, und es ist dabei mit Fanfarengeschmetter und Trommel¬ schall höher hergegangen, als man es für das Standbild eines Lessing oder Goethe wünschen möchte. Noch hat sich die Gnbelsbergerei vom Rausch der Entzückung kaum ermuntert, und schon können die Stvlzebrüder vor diesen Lorbeeren nicht ruhig schlafen, auch Stolze muß nun ein öffentliches Stand¬ bild bekommen. Wie lange wirds dauern, so frißt die Deukmalsscuche weiter um sich, bald wird Arends an die Reihe kommen, und vielleicht erleben wir noch das niedliche Satyrdrama, daß z. B. auf dem Berliner Gendarmen¬ markte in trauter Eintracht neben Schiller der Leisteuschneider Lehmann aus¬ gehauen auf die Vorübergehenden hinabschaut. Setzt euch Perücken auf vou Millionen Locken, Setzt euern Fuß auf ellenhohe Socken, Ihr bleibt doch immer, was ihr seid! Ebenso albern zeigen sich die Stenographienarren gegenüber der Sache. Unsre „herrliche Kunst," die „unübertreffliche Erfindung," der „Wunderbar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/623>, abgerufen am 24.07.2024.