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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Warten, bis ein "organisches" Gesetz für den ganzen Staat fertig ist, das aber,
weil zu viele und zu vieles umfassend, weder den Bittenden gerecht wird,
noch denen, die nicht gebeten haben; ein Rock für alle paßt eben keinem.

Wie die Dinge nun einmal liegen, d. h. weil die Parlamente nicht mehr
ihrer ursprünglichen Bestimmung nach bloß kvntrollirende, berichtende und
begutachtende, sondern gesetzgebende Körper sind, so bleibt allerdings nichts
übrig, als die Verschmelzung der vielen kleinen in wenige große Parteien
.anzustreben. Dabei ist die Dreiteilung der Zweiteilung vorzuziehen, aus zwei
Gründen. Erstens wird durch die Zweiteilung die Negierung zur Partei¬
regierung gestempelt, was sie notwendigerweise bei den oppositionellen Volks¬
massen verhaßt machen muß. Bei der Dreiteilung, wo sich bald diese bald
jene beiden Parteien zu einer Regierungsmehrheit zusammenfügen, kommt jede
der drei abwechselnd neben die Regierung und ihr gegenüber zu stehen.
Zweitens weil bei der Dreiteilung jede der drei Parteien mit den beiden
andern Fühlung unterhalten muß, demnach sich niemals ein das Volksleben
vergiftender tätlicher Haß einnisten kann wie bei der Zweiteilung. So z. B.
ist es ein großes Glück, daß wir der Konfession nach in Deutschland drei
Parteien haben: die evangelische, die katholische und die kirchenfeindliche.
Jede von ihnen braucht vou den andern zweien bald die eine bald die andre,
und wenn die vorübergehenden Bündnisse auch nur mit sauersüßer Miene ab¬
geschlossen werden, so verhindern sie doch wenigstens die Todfeindschaft, wie sie
in Frankreich zwischen den Republikanern und Klerikalen besteht. Das Übel
würde dort noch schlimmer sein, wenn nicht das eigentliche Volk, das schaffende
Volk, der Politik überdrüssig wäre und die Drohnen des Palais Vourbou,
wie mau die Abgeordneten oft nennt, lärmen ließe, ohne sich um sie zu kümmern.
Der französische Bürger ist schon froh, wenn feine nach Anweisung der Ne¬
gierung gewählten Vertreter die Millicirdenschnld nicht gar zu ungeheuerlich
vermehren und keine neuen Belästigungen erfinden. Die Staatsverwaltung läuft,
dank dem ausgebildeten Ordnungssinn der Franzosen und den gut geschulten
Unterbeamten, ganz allein, und so ist also dort das Staatsleben eigentlich
schon tot und verödet und der Staat zur Maschine geworden; denn von dein
politischen Lärm der kleinen hauptstädtischen Kreise wird das eigentliche Volk
nur wenig berührt.

Wo aber, wie bei uns in Deutschland, das Volk noch in politischer
Gährung begriffen ist, da gebietet die Staatsweisheit, dem Auseinanderfallen
des Volkes in zwei große Parteien möglichst vorzubeugen. Deshalb ist es auch
unerwünscht, wenn die kirchlichen, die wirtschaftlichen, die ständischen, die eigent¬
lich politischen Gegensätze sich multipliziren. Kreuzen sie sich hingegen, so bleibt
jede einzelne Partei der Masse der übrigen und dem Staate gegenüber schwach.

Nur in zwei Fällen bedroht der Parteikampf den Bestand des Staates:
wenn sich eine rücksichtslose Partei einer schwachen Negierung gegenüber findet,


Warten, bis ein „organisches" Gesetz für den ganzen Staat fertig ist, das aber,
weil zu viele und zu vieles umfassend, weder den Bittenden gerecht wird,
noch denen, die nicht gebeten haben; ein Rock für alle paßt eben keinem.

Wie die Dinge nun einmal liegen, d. h. weil die Parlamente nicht mehr
ihrer ursprünglichen Bestimmung nach bloß kvntrollirende, berichtende und
begutachtende, sondern gesetzgebende Körper sind, so bleibt allerdings nichts
übrig, als die Verschmelzung der vielen kleinen in wenige große Parteien
.anzustreben. Dabei ist die Dreiteilung der Zweiteilung vorzuziehen, aus zwei
Gründen. Erstens wird durch die Zweiteilung die Negierung zur Partei¬
regierung gestempelt, was sie notwendigerweise bei den oppositionellen Volks¬
massen verhaßt machen muß. Bei der Dreiteilung, wo sich bald diese bald
jene beiden Parteien zu einer Regierungsmehrheit zusammenfügen, kommt jede
der drei abwechselnd neben die Regierung und ihr gegenüber zu stehen.
Zweitens weil bei der Dreiteilung jede der drei Parteien mit den beiden
andern Fühlung unterhalten muß, demnach sich niemals ein das Volksleben
vergiftender tätlicher Haß einnisten kann wie bei der Zweiteilung. So z. B.
ist es ein großes Glück, daß wir der Konfession nach in Deutschland drei
Parteien haben: die evangelische, die katholische und die kirchenfeindliche.
Jede von ihnen braucht vou den andern zweien bald die eine bald die andre,
und wenn die vorübergehenden Bündnisse auch nur mit sauersüßer Miene ab¬
geschlossen werden, so verhindern sie doch wenigstens die Todfeindschaft, wie sie
in Frankreich zwischen den Republikanern und Klerikalen besteht. Das Übel
würde dort noch schlimmer sein, wenn nicht das eigentliche Volk, das schaffende
Volk, der Politik überdrüssig wäre und die Drohnen des Palais Vourbou,
wie mau die Abgeordneten oft nennt, lärmen ließe, ohne sich um sie zu kümmern.
Der französische Bürger ist schon froh, wenn feine nach Anweisung der Ne¬
gierung gewählten Vertreter die Millicirdenschnld nicht gar zu ungeheuerlich
vermehren und keine neuen Belästigungen erfinden. Die Staatsverwaltung läuft,
dank dem ausgebildeten Ordnungssinn der Franzosen und den gut geschulten
Unterbeamten, ganz allein, und so ist also dort das Staatsleben eigentlich
schon tot und verödet und der Staat zur Maschine geworden; denn von dein
politischen Lärm der kleinen hauptstädtischen Kreise wird das eigentliche Volk
nur wenig berührt.

Wo aber, wie bei uns in Deutschland, das Volk noch in politischer
Gährung begriffen ist, da gebietet die Staatsweisheit, dem Auseinanderfallen
des Volkes in zwei große Parteien möglichst vorzubeugen. Deshalb ist es auch
unerwünscht, wenn die kirchlichen, die wirtschaftlichen, die ständischen, die eigent¬
lich politischen Gegensätze sich multipliziren. Kreuzen sie sich hingegen, so bleibt
jede einzelne Partei der Masse der übrigen und dem Staate gegenüber schwach.

Nur in zwei Fällen bedroht der Parteikampf den Bestand des Staates:
wenn sich eine rücksichtslose Partei einer schwachen Negierung gegenüber findet,


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[0603] Warten, bis ein „organisches" Gesetz für den ganzen Staat fertig ist, das aber, weil zu viele und zu vieles umfassend, weder den Bittenden gerecht wird, noch denen, die nicht gebeten haben; ein Rock für alle paßt eben keinem. Wie die Dinge nun einmal liegen, d. h. weil die Parlamente nicht mehr ihrer ursprünglichen Bestimmung nach bloß kvntrollirende, berichtende und begutachtende, sondern gesetzgebende Körper sind, so bleibt allerdings nichts übrig, als die Verschmelzung der vielen kleinen in wenige große Parteien .anzustreben. Dabei ist die Dreiteilung der Zweiteilung vorzuziehen, aus zwei Gründen. Erstens wird durch die Zweiteilung die Negierung zur Partei¬ regierung gestempelt, was sie notwendigerweise bei den oppositionellen Volks¬ massen verhaßt machen muß. Bei der Dreiteilung, wo sich bald diese bald jene beiden Parteien zu einer Regierungsmehrheit zusammenfügen, kommt jede der drei abwechselnd neben die Regierung und ihr gegenüber zu stehen. Zweitens weil bei der Dreiteilung jede der drei Parteien mit den beiden andern Fühlung unterhalten muß, demnach sich niemals ein das Volksleben vergiftender tätlicher Haß einnisten kann wie bei der Zweiteilung. So z. B. ist es ein großes Glück, daß wir der Konfession nach in Deutschland drei Parteien haben: die evangelische, die katholische und die kirchenfeindliche. Jede von ihnen braucht vou den andern zweien bald die eine bald die andre, und wenn die vorübergehenden Bündnisse auch nur mit sauersüßer Miene ab¬ geschlossen werden, so verhindern sie doch wenigstens die Todfeindschaft, wie sie in Frankreich zwischen den Republikanern und Klerikalen besteht. Das Übel würde dort noch schlimmer sein, wenn nicht das eigentliche Volk, das schaffende Volk, der Politik überdrüssig wäre und die Drohnen des Palais Vourbou, wie mau die Abgeordneten oft nennt, lärmen ließe, ohne sich um sie zu kümmern. Der französische Bürger ist schon froh, wenn feine nach Anweisung der Ne¬ gierung gewählten Vertreter die Millicirdenschnld nicht gar zu ungeheuerlich vermehren und keine neuen Belästigungen erfinden. Die Staatsverwaltung läuft, dank dem ausgebildeten Ordnungssinn der Franzosen und den gut geschulten Unterbeamten, ganz allein, und so ist also dort das Staatsleben eigentlich schon tot und verödet und der Staat zur Maschine geworden; denn von dein politischen Lärm der kleinen hauptstädtischen Kreise wird das eigentliche Volk nur wenig berührt. Wo aber, wie bei uns in Deutschland, das Volk noch in politischer Gährung begriffen ist, da gebietet die Staatsweisheit, dem Auseinanderfallen des Volkes in zwei große Parteien möglichst vorzubeugen. Deshalb ist es auch unerwünscht, wenn die kirchlichen, die wirtschaftlichen, die ständischen, die eigent¬ lich politischen Gegensätze sich multipliziren. Kreuzen sie sich hingegen, so bleibt jede einzelne Partei der Masse der übrigen und dem Staate gegenüber schwach. Nur in zwei Fällen bedroht der Parteikampf den Bestand des Staates: wenn sich eine rücksichtslose Partei einer schwachen Negierung gegenüber findet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/603>, abgerufen am 24.07.2024.